Bei der Sendung im Fokus vom 15. April hat der Landeshauptmann auf Rai Südtirol die Halbierung der Ansässigkeitsklausel folgendermaßen verteidigt:
Wir würden nie, im Gegenzug für etwas was wir verlangen, Minderheitenschutz aufgeben. Wir müssen uns die Regelung anschauen: Diese vier Jahre Ansässigkeit sind in einer Zeit entstanden, wo es noch eine völlig andere Situation und Bedrohungssituation in Südtirol gab. Die sind ja auch letztlich ein Verwehren eines fundamentalen Rechts an Personen, die Ausübung des Wahlrechts. Sie haben sich übrigens nicht nur gegen die Italiener ausgewirkt, diese vier Jahre, auch gegenüber unseren Schülerinnen und Studentinnen und Studenten, die aus verschiedenen Gründen den Wohnsitz verlegt haben ins Ausland — nicht alle behalten den Wohnsitz, wenn sie studieren gehen —, die mussten genauso vier Jahre warten, bis sie nicht mehr (sic) wählen konnten. Angesichts welcher Gefahr? Einer Zwangs-Massenumsiedlung oder einer geplanten Massenumsiedlung, um in Südtirol das Wahlrecht (sic) zu beeinflussen, damit nicht mehr bestimmte Parteien die Mehrheit haben? Das ist doch ein Szenario, das in die heutige Welt nicht mehr passt. Wenn man Südtirol überrollen würde, dann würde man wahrscheinlich das mit Panzern tun und nicht mit einer solchen, sehr langwierigen Methode. Da reichen zwei Jahre in unserer Einschätzung als Schutz genauso wie vier. Übrigens wir haben auf die zwei Jahre bestanden, Aosta, Friaul, die ja eben auch Minderheitensituationen haben, die haben ein Jahr. Wir haben gesagt: »Nein, nein, Südtirol braucht das Doppelte. Wir wollen die zwei Jahre haben.« Und gleichzeitig haben wir den historischen Wohnsitz eingeführt, das dient dann unseren Südtirolerinnen und Südtirolern, die ins Ausland gehen, die sofort, sobald sie zurückkommen — weil sie hier geboren sind, weil sie Südtirolerinnen sind — dürfen gleich wählen. Also wir haben bei dieser Gelegenheit die ganze Norm erneuert, zeitgemäßer geschrieben und nicht irgendetwas einer Sprachgruppe gegeben.
– Arno Kompatscher
Transkription von mir
Dazu einige Gedanken:
- Man kann natürlich unterschiedlicher Ansicht darüber sein, wie schwer die Schwächung der Ansässigkeitsklausel wiegt. Die Behauptung »wir würden nie, im Gegenzug für etwas was wir verlangen, Minderheitenschutz aufgeben«, ist aber faktisch falsch, denn genau das findet unzweifelhaft statt.
- Dass der »historische Wohnsitz« keinerlei Auswirkungen auf Menschen hat, die vorübergehend im Ausland waren, habe ich schon an anderer Stelle thematisiert. Mir hat inzwischen übrigens auch ein Jurist geschrieben, der mir dies bestätigt hat. (Wink mit dem Zaunpfahl: Vielleicht wäre das ja ein Thema für eine Landtagsanfrage.)
- Ob diejenigen, die im Ausland waren, den Wohnsitz dorthin verlegt hatten oder nicht, ist übrigens unerheblich.
- Das Szenario einer geplanten Massenumsiedlung ist gar nicht nötig, um die etwaige Notwendigkeit der Ansässigkeitsklausel zu belegen. Wir haben schon heute eine massive Zuwanderung aus Italien, sodass die Konsistenz der deutschen und der ladinischen Sprachgruppen heute vielerorts sogar geringer ist, als zum Zeitpunkt der Einführung der Ansässigkeitsklausel.
- Heute kann man leider wirklich gar nichts mehr ausschließen, doch warum es wahrscheinlicher sein sollte, dass man Südtirol mit Panzern überrollt, erschließt sich mir wirklich nicht. Angesichts der internationalen Bedrohungslage ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht, die zu einer noch größeren Zuwanderung aus dem Staatsgebiet führen könnte, nicht mehr so unwahrscheinlich wie noch vor wenigen Jahren. Aber Panzer? Nicht einmal die Faschisten haben Südtirol mit Panzern überrollt.
- Unverständlich ist auch, warum wir laut Landeshauptmann überhaupt die zweijährige Ansässigkeitsklausel benötigen, wenn er die Szenarien, die für eine vierjährige Klausel gesprochen hätten, quasi ausschließt. Welches Szenario kann es geben, für das die vierjährige Ansässigkeitsklausel zu lang, aber die zweijährige genau richtig ist? Das klingt doch eher so, als wollte Kompatscher einfach die von der Zentralregierung oktroyierte Kürzung schönreden.
- Dass er uns die Halbierung der Ansässigkeitsfrist zudem mit dem Argument der »Verdoppelung« im Vergleich zu Aosta und Friaul schmackhaft machen will, ist zwar verständlich, aber nichts als ein rhetorischer Trick. Außerdem sind mehrere Minderheiten in beiden genannten Regionen weitgehend assimiliert, weshalb sich die dortige Lage kaum als Maßstab (oder gar zur Beruhigung) eignet.
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