→→ Autorinnen →→ Gastbeiträge →→

Elsass: Immer mehr Kinder sprechen immer weniger Deutsch.
Frankreich

Autor:a

ai


Die Deutschkenntnisse der alemannischen Elsässer verschlechtern sich jährlich. Die Schule soll helfen, fordern Eltern.

Eltern im Elsass sind besorgt, weiß die Basler Zeitung (BAZ), sie fürchten um die Deutschkenntnisse ihrer Kinder. Auch deshalb, beklagt die Vereinigung Eltern Alsace, weil es zu wenig zweisprachige Schulen gibt.

Laut BAZ werden in Basel und Umgebung schwer zu findende Französischlehrer gesucht, im Elsass ist das Gegenteil der Fall. Es fehlen Deutschlehrer. Die BAZ zitiert Claude Froehlicher von der Vereinigung Eltern Alsace mit folgender Aussage: »Die Schweiz und Deutschland sind dem Elsass so nah. In diesem wirtschaftlichen Umfeld macht es einfach Sinn, wenn mein Kind Deutsch spricht.«

Das kann Patrick Bossard bestätigen, er leitet die Berufsausbildung des Elektrounternehmens Etavis. Sein Eindruck: Jugendliche aus dem Elsass sprechen schlechter Deutsch als noch vor einigen Jahren. Etavis bildet 120 Lernende aus, darunter auch Jugendliche aus dem deutschen und elsässischen Raum. Aus dem Elsass kommen immer weniger Auszubildende. Der Grund: »Sie können kein Deutsch mehr. Das ist ein Problem.«

Mit der Französischen Revolution und der darauffolgenden Zentralisierung des Staates beginnt das Schrumpfen der vielen nicht-französischen Sprachen von der Bretagne über das Elsass nach Okzitanien, rüber nach Korsika sowie in die katalanischen und baskischen Exklaven in den französischen Pyrenäen. 

Erst spät anerkannte der französische Nationalstaat die sogenannten Regionalsprachen, die Sprachen der erwähnten Minderheiten. In den 1990er Jahren initiierte das Bildungsministerium eine Deutsch-Offensive, um das völlige Verschwinden des Elsässischen zu stoppen. 

Der Verband zweisprachiges Elsass versucht dieses Schrumpfen zu dokumentieren. Vom Verband recherchierte Daten belegen, dass zwischen 2004 und 2019 eine immer größer werdende Zahl von Gymnasiasten das deutsch-französische Abitur absolvierte. Von 528 Schülerinnen und Schülern stieg sie auf 1570. Danach stagnierte die Zahl und sinkt nun leicht.

Im Jahr 2023 sind laut dem Verband zweisprachiges Elsass neun bilinguale Klassen im Département Haut-Rhin eröffnet, aber 19 geschlossen worden. Eltern Alsace drängt deshalb auf einen flächendeckenden Deutschunterricht. Aber »jeder neue zweisprachige Standort ist ein Kampf«, kritisiert Froehlicher.

Hohe Nachfrage nach Deutschunterricht in Saint-Louis

Die Gründe für diese Entwicklung sind divers. Es fehlen Lehrer:innen und das große Interesse am Englischen führt zu einer Reduzierung des Deutschunterrichts. Und: Der Anteil bilingualer Schüler in der Grundschule ist zwar noch relativ hoch, nimmt aber dann in den höheren Schulstufen deutlich ab.

Eltern müssen frühzeitig, nämlich bereits im Kindergartenalter, entscheiden, ob ihr Kind zweisprachig beschult wird. »Später erlauben die Lehrer das kaum noch«, weiß Claude Froehlicher. »Außerdem verlieren wir zweisprachige Schüler, wenn die Eltern in ein Dorf ziehen, wo das nicht angeboten wird.«

Laut Eltern Alsace besuchen im Schulbezirk Straßburg 18 Prozent der Schüler:innen den zweisprachigen Unterricht. Saint-Louis an der Grenze zu Basel zählt 19 zweisprachige Klassen von insgesamt 86 Vorschul- und Grundschulklassen. Thierry Decorde, Leiter der Bildungsabteilung im Rathaus von Saint-Louis, bestätigte die relativ hohe Nachfrage nach Deutschkursen, diese habe in den letzten Jahren zugenommen.

Nur 2.000 Euro Lehrer:innen-Lohn

Decorde bestätigt, dass es Schwierigkeiten gibt, Deutschlehrer:innenzu finden. Einer der Gründe, die Nähe zur Schweiz und zu Deutschland, wo Lehrer »wahrscheinlich bessere Gehälter beziehen.«

Gemäß der Job-Börse Connexion Emploi verdienen Universitätsabgänger als Lehrer in Deutschland zwischen 3.500 und 4.000 Euro, während sie in Frankreich mit 1800 bis 2.000 Euro starten.

Eltern Alsace kritisiert die verantwortlichen Behörden, zu wenig zu unternehmen, um Deutschlehrer zu rekrutieren. Froehlicher vermutet, die Behörden hoffen darauf, dass bilinguale Schüler wegen der vielen Schwierigkeiten abspringen. Außerdem gilt die Zweisprachigkeit in Paris als ein »Klotz am Bein«. Die Bildungspolitiker stufen die Regionalsprachen als eine Art Folklore ein, »mit der man doch bitte nicht die Éducation nationale nerven solle«, ärgert sich Froehlicher.

Elsässerditsch – einst verbannt

Der französische Staat misstraute dem Elsässerdeutsch lange, ein historisch belastetes Verhältnis. Nach dem Ersten Weltkrieg, das Elsass wurde wieder »französisch« und dann wieder nach dem Zweiten Weltkrieg — nach der NS-Annexion kehrte das Elsass wieder zurück in den französischen Zentralstaat — setzte die Bildungspolitik auf die französische Einsprachigkeit und verbannte den alemannischen Dialekt aus den Schulen. Immer mehr elsässische Familien verzichteten auf die eigene Muttersprache. Erfolgreiche Assimilation.

»Als ich 1950 in Huttenheim zur Schule ging, sprachen alle Kinder im Dorf Elsässerditsch«, erzählte Pierre Klein vom Verband zweisprachiges Elsass der BAZ. Heute, weiß Klein, spricht kein Kind mehr in der Schule in Huttenheim Elsässerditsch.

Der elsässische Sprachwissenschaftler und Dichter Edgar Zeidler sowie sein Internationales Dialektinstitut wollen das Elsässerditsch wieder stärken. Sie sehen darin den Weg, die Deutschkenntnisse der Elsässer Jugendlichen aufzubessern. »Absolute Priorität hat das Elsässische. Es ist in Gefahr, nicht die deutsche Sprache«, ist Zeidler überzeugt. Zeidler meint, dass der Staat Kindergärtner und Lehrerinnen ausbildet, die auf Elsässisch unterrichten, und auch Lehrmittel in der Regionalsprache entwickeln.

Ein elsässerditsches Wörterbuch

Sprachwissenschaftler Zeidler wirbt für »immersive Klassen«, in denen Elsässerditsch nicht wie eine Fremdsprache gelehrt wird, sondern als zweite Muttersprache. Zeidler ist von diesem Ansatz überzeugt, um die Deutschkenntnisse der Jugendlichen zu verbessern. »Der Humusboden für das Deutsche ist ausgetrocknet, weil der elsässische Dialekt in einem sehr schlechten Zustand ist«, beschreibt der Wissenschaftler den Zustand des Elsässerditschen.

Im Mai nimmt ein neues Sprachamt seinen Dienst auf. Für Zeidler ein »Funken Hoffnung« für das Erstarken der »Regionalsprache«. Er veröffentlichte mit Kolleg:innen ein Grammatik-Nachschlagwerk für den elsässischen Dialekt. Damit »man sich nicht mehr damit herausreden kann, die Sprache habe keine Regeln.«

Weitere Infos: Dreylanddichterweg, Grenzgedichte aus dem Elsass, Sprochlosi Elsässer, Abgesang oder Hoffnung, René-Schickele-Gesellschaft, Schick Süd-Elsass, Schick Lothringen, Elsässisches Kulturzentrum, Unser Land, Regions et Peuples Solidaires


Autor:innen- und Gastbeiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung oder die Position von BBD wider, so wie die jeweiligen Verfasser:innen nicht notwendigerweise die Ziele von BBD unterstützen. · I contributi esterni non necessariamente riflettono le opinioni o la posizione di BBD, come a loro volta le autrici/gli autori non necessariamente condividono gli obiettivi di BBD. — ©


Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.

Comentârs

Scrì na resposta

Your email address will not be published. Required fields are marked *

You are now leaving BBD

BBD provides links to web sites of other organizations in order to provide visitors with certain information. A link does not constitute an endorsement of content, viewpoint, policies, products or services of that web site. Once you link to another web site not maintained by BBD, you are subject to the terms and conditions of that web site, including but not limited to its privacy policy.

You will be redirected to

Click the link above to continue or CANCEL