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Den Bock zum Gärtner machen.

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von Marco Manfrini

Es mag unfair sein, Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) allein für den desolaten Zustand der Südtirolautonomie verantwortlich zu machen. Gewiss liegt es nicht nur an ihm, dass Rom die Landeszuständigkeiten nach und nach gekürzt und gestrichen hat, bis nur noch eine magere Restautonomie übrig blieb.

Ebenso mag es stimmen, dass die Ursache dafür, dass die Autonomie teils radikal beschnitten wurde, vor allem in der Verfassungsreform von 2001 liegt und somit lange vor seinem Amtsantritt zu suchen ist.

Dennoch ist Kompatscher der einflussreichste Südtiroler Politiker der letzten Jahre. Er ist nicht nur Landeshauptmann, sondern auch die unbestrittene Führungspersönlichkeit der SVP und hat diese Rolle auch stets und hartnäckig für sich beansprucht. Als Landeshauptmann hat Kompatscher die Autonomiepolitik seit 2013 maßgeblich geprägt und zwar sowohl in der Landesregierung als auch in der SVP.

Daher ist es ebenso folgerichtig wie unvermeidbar, dass er für den autonomiepolitischen Kahlschlag während seiner bisherigen Amtszeit Rede und Antwort stehen muss.

Aber der Reihe nach: In den ersten beiden Landtagswahlkämpfen (2013 und 2018) verlor Kompatscher kein Wort über die Autonomiekürzungen und vermied jede Debatte darüber, obwohl schon damals ein autonomiepolitisches Loch klaffte. Er setze stattdessen auf Wohlfühlpolitik und bediente lieber modische Schlagwörter wie die damals allgegenwärtige Nachhaltigkeit.

Für Kompatscher waren 2018 andere Themen wichtiger. Die ständigen Angriffe auf die Autonomie wurden nicht thematisiert, weder im Wahlkampf noch in der Regierungsarbeit. Man vermied es penibel, die Südtiroler:innen darüber aufzuklären, dass Rom die Autonomie in weiten Teilen wieder einkassiert hatte.

Ob dies aus politischer Kurzsichtigkeit und falscher Schwerpunktsetzung geschah oder ob Kompatscher den Konflikt mit dem Zentralstaat scheute, um seine politischen Prioritäten medial besser verkaufen zu können, sei dahingestellt. Der Verdacht liegt allerdings nahe, dass das Bild des ruhig und souverän agierenden Politikers nicht getrübt werden sollte. Eine harte politische Auseinandersetzung mit Rom hätte die eine oder andere Schramme und Niederlage bedeutet. Das Image des lässigen Landesmanagers wäre schnell verblasst. 

Wie dem auch sei: Die Autonomiepolitik wurde jahrelang vernachlässigt, obwohl es eine zentrale Aufgabe der Landespolitik gewesen wäre, gegen die zahlreichen Kürzungen aufzubegehren.

Seit der Verfassungsreform von 2001 hat Italien nämlich grundlegende Zuständigkeiten fortlaufend beschnitten und gleichzeitig den Spielraum für deren Umsetzung so stark eingeschränkt, dass in den meisten Bereichen kein eigenständiges und vom Zentralstaat abweichendes Handeln mehr möglich ist. Im Wesentlichen hat Italien dadurch das Autonomiestatut einseitig aufgekündigt — und somit auch den politischen Kompromiss, den es darstellt.

Statt in Rom und Wien Protest einzulegen, hat sich Kompatscher in seinen ersten beiden Amtszeiten über die Kürzung der Autonomie ausgeschwiegen und stattdessen bei jeder Gelegenheit sogar ihren angeblichen Vorbildcharakter gepriesen und ihr beste Gesundheit bescheinigt.

Zudem inszenierte sich Kompatscher immer wieder als erfolgreicher Autonomieverhandler, der die Landeszuständigkeiten ausgebaut und erweitert habe, obwohl er als Landeshauptmann doch wissen musste, dass das genaue Gegenteil der Fall war.

Während Kompatscher seine vermeintlichen Erfolge feiern ließ, wurde Südtirols Autonomie immer stärker eingeschränkt. Großteils besteht sie heute nur mehr darin, dass der Landtag die in Rom beschlossenen Bestimmungen nachspricht und sie der Südtiroler Bevölkerung als eigene Entscheidung verkauft. Es geht oft nur noch darum, die römischen Vorgaben formell zu übernehmen. Eine echte politische Autonomie, bei der sowohl Inhalte und Zielsetzungen als auch Detailregelungen frei bestimmt werden können, gibt es kaum mehr.

Im Wahlkampf 2023 kam dann die große Wende: Kompatscher sprach plötzlich davon, dass man die Autonomie widerherstellen müsse. Die Autonomie sei in eine gehörige Schieflage geraten. Es war aber kein Eingeständnis des eigenen Versagens, obwohl allein das Wort wiederherstellen bereits besagt, dass etwas kaputtgegangen ist und repariert werden muss. Vielmehr schlüpfte Kompatscher von einem Tag auf den anderen in die Rolle des prinzipientreuen Autonomiepolitikers, der die verlorenen Zuständigkeiten zurückholen, ja sogar ausbauen und für die nächsten Jahrzehnte festigen würde. Vergessen waren die salbungsvollen Reden über die angebliche Vorzeigeautonomie, um die uns alle beneiden würden. Vergessen waren aber auch Kompatschers bisherige thematische Steckenpferde, die beinahe über Nacht allesamt ausgedient hatten. War Kompatscher im Herbst 2022 ein Symposium zur Nachhaltigkeit noch 2,3 Millionen Euro wert, wurde das Thema nun sang- und klanglos entsorgt. Jetzt war Autonomiepolitik angesagt. Der große Wurf sollte her. Kompatscher würde die Südtirolautonomie wiederherstellen und langfristig sichern, posaunte die Südtiroler Presse. 

Es klang ganz so, als habe nicht Kompatscher selbst zehn Jahre lang die Geschicke des Landes geleitet und dabei als Landeshauptmann den Autonomieabbau beaufsichtigt und ihm tatenlos zugesehen.

Um die verlorenen Zuständigkeiten zurückzugewinnen, wurde sogar eine Koalition mit der italienischen Rechten und Giorgia Melonis Postfaschisten (FdI) eingegangen, also mit denjenigen Kräften, denen die Autonomie stets ein Dorn im Auge war und die hinter vorgehaltener Hand weiterhin von der vollständigen Italienisierung Südtirols träumen.

Wenn man Kompatschers bisherige politische Bilanz im Blick behält ist sein plötzlicher Wandel zum Autonomiepolitiker allerdings weder überzeugend noch glaubhaft. Nun soll aber gerade er Südtirols Autonomie nach jahrelangen Angriffen und der ständigen Demontage durch den Zentralstaat wieder auf die Beine stellen. Es ist mehr als Skepsis angebracht.

Vor allem sollte hinterfragt werden, weshalb die Landesregierung und die SVP dieser Demontage bisher stillschweigend zugesehen haben. Es braucht eine ehrliche Antwort darauf, wie es soweit kommen konnte, ohne dass man in Südtirol auf die Barrikaden gestiegen ist und den Autonomienotstand ausgerufen hat.

Die Sorge um Südtirols Autonomie ist nämlich berechtigt, denn auch das, was bisher von den Verhandlungen durchgesickert ist, verheißt nichts Gutes. Die angekündigte Wiederherstellung der Autonomie könnte in einem Fiasko enden, das die erfolgten Kürzungen nicht beseitigt, sondern sogar festschreibt, wobei Südtirol dann auch noch offiziell seinen Segen und seine Zustimmung dazu erteilt hätte.

Wem die Autonomie am Herzen liegt, ist gut beraten, keine allzu großen Hoffnungen in die derzeitigen Verhandlungen zu stecken. Die Gefahr ist nämlich groß, dass es noch schlimmer wird, als es bereits ist.


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Comentârs

One response to “Den Bock zum Gärtner machen.”

  1. G.P. avatar
    G.P.

    Chapeau!!! Besser kann man die Lage der “Autonomie” – unter Anführungszeichen, weil es sie praktisch nicht mehr gibt – nicht beschreiben.

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