Keine Woche ist vergangen, seit die Ergebnisse der Sprachzählung veröffentlicht wurden, doch schon erheben politische Vertreterinnen der staatlichen Mehrheit auf ihrer Grundlage erste Forderungen. Die neofaschistischen Fratelli d’Italia wollen einem Bericht von Rai Südtirol zufolge, dass in Meran die sprachliche Reihenfolge auf der öffentlichen Beschilderung umgestellt wird: zuerst Italienisch, dann Deutsch. Die erhobene Minorisierung soll also eine weitere Minorisierung rechtfertigen. Dieselben, die — obschon Titularnation — im Rahmen der Autonomieverhandlungen ungeniert Ausnahmen zu ihren Gunsten fordern, wo sie in der zahlenmäßigen Minderheit sind, nehmen einen minimalen Vorsprung (in der Passerstadt stieg der Anteil der italienischen Sprachgruppe von 49,06% auf nunmehr 51,37%) zum Anlass, kleinlichste Forderungen zu erheben.
In anderen Minderheitengebieten wird das grundsätzlich anders, nämlich großzügig zugunsten der Sprachminderheiten gehandhabt: Obschon die Kastilischsprachigen klar in der Mehrheit sind, sind etwa in Barcelona öffentliche Schilder in der Regel sogar ausschließlich auf Katalanisch. In Galicien sind Schilder ungeachtet der Mehrheitsverhältnisse normalerweise ausschließlich in galicischer Sprache. Und in Caerdydd, der Hauptstadt von Cymru (engl. Wales) sind neuere Schilder — und viele andere Angaben (01
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) — oft in der Reihung Walisisch-Englisch gehalten, obwohl die Walisischsprachigen klar in der Minderheit sind. Man nennt das: Affirmative action, also positive Diskriminierung. Anders als in Südtirol würde dort niemandem einfallen, die zahlenmäßige Vorherrschaft der staatlichen Mehrheitsbevölkerung zum Anlass zu nehmen, die Staatssprache auch noch zu bevorzugen. Ganz im Gegenteil.
Wegweiser in Caerdydd (11% Walisischsprachige in 2011)
Laut Rai Südtirol sollte »nach dem Gesetz« nun in Meran »die Sprache von Dante tatsächlich wieder an erster Stelle stehen, also “Corso della Libertà” vor “Freiheitsstraße”, zumindest auf den neuen Schildern.« Es mag solche Gepflogenheiten geben, doch ein Gesetz, das die Sprachreihung in Südtirol definiert, ist mir jedenfalls nicht bekannt. Wenn es existiert, wird es von vielen Stellen — auch auf Landesebene — nicht eingehalten, wo Italienisch (gefühlt immer öfter) erstgereiht ist.
Sehr wohl gibt es jedoch Gesetze, die (ungeachtet der Sprachreihung) die Zweisprachigkeit per se vorschreiben, doch leider werden sie speziell von staatlicher Stelle (aber nicht nur) systematisch missachtet. In zahlreichen anderen Bereichen sind die deutsche und noch mehr die ladinische Sprache anderslautenden Verheißungen (Art. 99 – Autonomiestatut) zum Trotz auch gesetzlich nicht gleichgestellt, sondern ganz offiziell diskriminiert.
In diesem Kontext und im unmittelbaren Anschluss an eine Zählung, die das Schrumpfen der Minherheiten konstatiert hat, die weitere Bevorzugung der staatlichen Mehrheitssprache zu fordern, zeugt von einer kolonialistischen Einstellung.
Der LH hält aber nicht nur diese Entwicklung für normal, sondern koaliert mit diesen offen minderheitenfeindlichen Kräften auch noch.
Cëla enghe: 01
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