Vor wenigen Monaten war ich auf Unterschiede im Umgang mit der Mehrsprachigkeit und dem Nationalismus im Marketing bei Lidl eingegangen und hatte hierzu die Situation in Alba/Schottland, Cymru/Wales, Katalonien und Südtirol verglichen. Der weltgrößte Discounter eignet sich für eine solche Darstellung, weil er in vielen Ländern vertreten ist, doch er kann exemplarisch auch für andere Unternehmen stehen.
Da ich neulich im Tessin war, will ich jetzt am Beispiel eines Marktes in Lugano zeigen, wie Lidl im italienischen Teil der Schweiz agiert:
Anders als in Deutschland und Spanien setzt Lidl im Marketing in der Schweiz auf banalen Nationalismus, allerdings bei weitem nicht so aufdringlich wie in Italien (einschließlich Südtirol). Zudem schließt der Nationalismus in einer mehrsprachigen Willensgemeinschaft wie der Schweiz — im Unterschied zu einem Nationalstaat wie Italien — per Definition alle Landessprachen und alle Sensibilitäten mit ein. Fürs italienischsprachige Tessin ist das also unproblematisch.
Anders als in Südtirol respektiert der Discounter im Tessin auch die örtliche Sprachsituation voll und ganz, indem alle Informationen auf Italienisch verfügbar sind. Einige Beispiele (alle Bilder von Oktober 2024):
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Produkte sind in der Regel mehrsprachig etikettiert, aber zumindest in der Ortssprache Italienisch. Durchwegs auf Deutsch, Französisch und Italienisch beschriftet sind die Produkte der schweizerischen Lidl-Eigenmarken, ohne dass dies große Platzprobleme schaffen würde:
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Dreisprachig sind meist auch sicherheitsrelevante Informationen wie die zum Notausgang (vorletztes Bild). Im Tessin gibt es aber auch Produkte der — nationalistischen — Eigenmarke Italiamo von Lidl Italien (letztes Bild), deren italienische Etiketten in der Schweiz aber nicht mit Informationen auf Deutsch und Französisch überklebt werden müssen — wie dies hingegen (umgekehrt) in Südtirol bei Produkten der Fall ist, die nur auf Deutsch beschriftet sind. Anders als die deutsche Sprache in Südtirol genießt die italienische Sprache in der Schweiz die volle Würde der rechtlichen Gleichstellung. Und obschon die Eidgenossenschaft nicht in der EU ist, scheint die Grenze hier paradoxerweise durchlässiger zu sein, zumindest aus sprachlicher Sicht.
Übrigens: Die gesamte italienischsprachige Schweiz zählt rund 350.000 Einwohnerinnen, eine Zahl, die ungefähr jener der deutschsprachigen Südtirolerinnen entspricht. Es zeigt sich also, dass sprachlicher Respekt und die Rechte von Verbraucherinnen nichts mit absoluten Zahlen, sondern mit politischem Willen und Regulierung zu tun haben. Lidl könnte sich außerdem auch auf die deutsch- und französischsprachigen Landesteile beschränken, wenn es die Dreisprachigkeit für zu teuer oder aufwendig hielte. Genauso aber wie offenbar die Berücksichtigung der italienischen Sprache in der Schweiz zumutbar — ja völlig selbstverständlich und unumstritten — ist, wäre es die Berücksichtigung der deutschen Sprache in Südtirol auch, wenn wir die absurden mentalen Hürden des Nationalstaats überwinden würden.
So unglaublich das heute manchen erscheinen mag, könnte ein unabhängiger Staat Südtirol die Berücksichtigung der deutschen, italienischen und ladinischen Sprache vorschreiben und alle — auch große internationale Unternehmen — müssten sich natürlich daran halten.
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