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Schule: Heuchler unter sich.

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Der entgrenzte Streit um die »Sonderklasse« an der Bozner Grundschule Goethe hat eines gezeigt, Südtirol ist weit von einer Normalität entfernt.

Die Befürworter der »Sonderklasse« wurden schnell ins rechte Eck gestellt. User »sozialer Medien« machten aus der verantwortlichen Direktorin Christina Holzer eine »rechte Ikone«. Deren — möglicherweise auch fragwürdigen — Argumente wurden vom Tisch gefegt. Eine Diskussion über Integration und Inklusion fand nicht statt.

Die Gegner der »Sonderklasse« sehen darin die Gefahr von Ausgrenzung und Diskriminierung. Zweifelsohne ernsthafte Argumente. Also weiter wie bisher. Klagen der Lehrer:innen über die wachsende Unmöglichkeit, Migrantenkinder und einsprachige italienische Kinder in die »deutsche« Schule zu integrieren, ließ man nicht gelten.

Eine vertane Chance, vernünftig über die Notwendigkeit nachzudenken, die deutsche Schule angesichts der vielen Ansprüche neu aufzustellen, ohne ideologische Scheuklappen.

Schützen, rechte SVPler, Süd-Tiroler Freiheit und die Freiheitlichen tönten unüberhörbar gegen das Klassenverbot, die parteiinternen Anhänger von LH Arno Kompatscher (SVP), die Grünen, die italienischen Parteien von links bis rechts hingegen lehnten den Schulversuch an der Goetheschule vehement ab.

Ungebremster Shitstorm

Beeindruckend waren die Reaktionen auf ein Interview der Tageszeitung Corriera della Sera mit dem SVP-Fraktionsvorsitzenden Harald Stauder. Die auch untergriffige Kritik an Stauder führte zurück in die ethnischen Schützengräben. Stauder sagte im Corriere-Gespräch, dass es gar nicht um Migrantenkinder gehe. Er zitierte aus der Sitzung der SVP-Arbeitsgruppe zur Schule, wonach nicht die »ausländischen« Kinder das Problem seien, sondern italienische Schüler ohne ausreichende Deutschkenntnisse, die unnötigen Druck auf das Schulsystem ausübten.

Stauder pochte auf das Recht auf Muttersprachenunterricht, wie im Artikel 19 des Autonomiestatuts festgeschrieben. Die Corriere-Journalistin hingegen betonte, dass es in Südtirol um den Schutz der italienischen Minderheit gehen müsse. Eine These, die besonders von der italienischen Rechten — aber nicht nur — gehegt und gepflegt wird.

Der einsetzende Shitstorm überraschte keineswegs. »Unser italienisches Geld nehmen die da oben aber gerne« oder »haben die immer noch nicht kapiert, dass sie in der Schule mit uns sind – und nicht umgekehrt?« tönte es in den »sozialen Medien«. Vor wenigen Monaten rechneten große italienische Zeitungen den Südtiroler:innen vor, dass die italienischen Steuerzahler:innen die Autonomie samt ihren »Privilegien« finanzierten. Passt gut ins Märchen der undankbaren Südtiroler:innen. Sie sollten deshalb doch nach Österreich auswandern, so eine Empfehlung aus dem Netz. Ähnliches formulierte vor Jahren schon Giorgia Meloni (FdI), inzwischen Partnerin der SVP.

Die antisüdtirolerische nationale Aufwallung erreichte die rechtsrechte Meloni-Regierung in Rom, die — laut Neuer Südtiroler Tageszeitung — von ihrem Mann in der Landesregierung Aufklärung forderte. LH-Vize Marco Galateo soll Innehalten empfohlen haben.

Pädagogik statt Politik

In einem klugen Beitrag forderte die grüne Landtagsabgeordnete Brigitte Foppa eine Diskussion auf Expert:innen-Ebene. Pädagogik statt Politik, Integration statt Ethno-Krampf. Die deutsche Schule soll sich um alle Kinder bemühen, wie es auch der Meraner Schuldirektor David Augschöller im Podcast mit Vizebürgermeisterin Katharina Zeller (SVP) formulierte. So weit so gut. Sind aber Lehrerinnen an den Grundschulen, die täglich mit der Situation konfrontiert sind, keine Expertinnen?

Vor vier Jahren beklagten Lehrerinnen und Lehrer in einer Petition »Lehrerwunderland Südtirol«, neben der dürftigen Entlohnung auch, dass sie allein gelassen werden. Die Lehrberufe seien einem vielfältigen Anpassungsdruck ausgesetzt, analysierten die Initiatoren: »Einerseits erwartet man die Umsetzung von Lernutopien wie Individualisierung und Chancengleichheit, anderseits ignoriert man, dass mit dem Schönreden Bildungsqualität eingespart wird.«

Wie sollen Individualisierung und Chancengleichheit gewährleistet werden, wenn Lehrkräfte und Ressourcen fehlen?

In einem weiteren Offenen Brief warfen vor einem Jahr mehr als 1.000 Lehrerinnen und Lehrer Landesrat Philipp Achammer (SVP) und Schulamtsleiterin Sigrun Falkensteiner vor, die Schule im Stich gelassen zu haben. Besonders in der Frage des Sprachunterrichts für Migrantenkinder.

Wie soll Integration gelingen, fragt Silvia Leider von der ASGB-Schulgewerkschaft im Salto-Podcast Sechsaugengespräch, wenn in manchen Schulklassen mehr als zwei Drittel Migrantenkinder seien. Fehlende Lehrkräfte und Ressourcen verhinderten Integration und Inklusion. Eine deutliche Ansage — zwar nicht von einer Bildungswissenschaftlerin, sondern von einer Grundschullehrerin. Ein nicht gehörter Weckruf.

Schräge Kampagne

Besonders schräg ist aber die Geschichte um die verbotene »Sonderklasse«. Der Athesia-Konzern sponserte die Direktorin der Bozner Grundschule Christina Holzer, wusste Christoph Franceschini auf Salto zu berichten. SVP-Obmann Dieter Steger stellte sich demonstrativ hinter die Direktorin. Athesia und Steger als die Hüter der deutschen Schule. Athesia und Steger spielen einerseits die ethnischen Hardliner, andererseits biedern und bieten sie sich ständig Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihren Fratelli d’Italia an.  

Vor den Parlamentswahlen vor zwei Jahren durfte Meloni auf einer ganzen Dolomiten-Seite für ihre Fratelli werben, Steger suchte schon immer die Nähe zur italienischen Rechten. Die Liberalen in der SVP holten zuerst die Lega, dann die Fratelli in die Landesregierung. Um was geht es hier denn eigentlich?


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Comentârs

2 responses to “Schule: Heuchler unter sich.”

  1. Martin Piger avatar
    Martin Piger

    Lieber Herr Mayr, Sie nennen den Text der Frau Foppa einen klugen Beitrag. Das mag anfänglich so erscheinen. Bei mehrmaligen Durchlesen habe ich aber leider die üblichen ideologischen Positionen vorgefunden, für die Frau Foppa seit langem bekannt ist. Klug wäre gewesen, anhand der konkreten, inzwischen durchaus recht gut beleuchteten Situation von üblichen ideologiegetränkten Slogans abzurücken, weil die konkreten Situationen die Unart haben, die Undurchführbarkeit derselben, die in der Theorie oft sehr gut und sehr menschenrechtlich daherkommen, zu entlarven. In welche Richtung die Reise der Frau Foppa in diesem Artikel gehen soll, ist schon in ihren 4 Punkten ersichtlich. Sie vermeidet peinlichst, zu erwähnen, dass es eigentlich darum geht, dass es in einer Schule, deren Vehikelsprache zum Erlernen des Stoffes die deutsche Sprache ist, um die 50% Kinder sein sollen, die mit dieser Sprache nicht umgehen können. Um ihre 4 Punkte geht es, in der Art, wie von Frau Foppa dargestellt, ganz klar nicht. Falsch ist auch, dass aus einer pädagogischen Frage eine bildungspolitische und dann eine identitätspolitische geworden sei. Die deutsche Schule ist immer schon diese drei Sachen zusammen gewesen und muss es auch sein, wenn sie ihrem Auftrag gerecht werden will. Es ist ähnlich, wie beim Bergsteigen. Die Ideolgie ist der direkte Weg zum Gipfel, praktisch Luftlinie, ohne zu schauen, ob er letztlich in den Abgrund führt. In der Realität muss man sich manches mal sogar (Luftlinie) vorübergehend weiter vom Ziel entfernen, als man schon war, um den Gipfel zu erreichen. Solches Denken ist Ideologen verhasst, wie es auch Frau Foppa in ihrem Artikel äussert. Sie positioniert sich ohne wenn und aber gegen die Lösung der Frau Holzer. Die Expertinnen sind für Frau Foppa z.B. Frau Demo und Frau Seitz, die mit Studien und Artikeln an die Sache herangegangen sind, die für die Situation an der Goetheschule nicht gerade viel Aussagewert haben. Wenn der Artikel der beiden in salto den Stand der Wissenschaft wiederspiegeln soll, dann macht mir diese Vorgangsweise eher Angst als dass es mir Vertrauen über kompetente Begleitung in der Sache einflösst. Wenn ich mich recht erinnere hat, auch was die Parteinahme der Dolomiten anbelangt, eigentlich schon Herr Dr. Achammer im Rücken des Schulamtes, oder mit dem Schulamt im Rücken, ganz offensichtlich jedoch mit einer Diffamierungskampagne gegen Frau Holzer begonnen und damit jegliche kreative und situationsgerechte Lösung erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Der teils ehrenrührige Shitstorm ist eigentlich von den Vertretern der Inklusion, der Menschenrechte und was weiss ich von was noch allem ausgegangen. Frau Foppa ergreift im Artikel noch einmal ganz genau Partei für das Lieblingsprojekt der Grünen und der italienischen Nationalisten in der ehemaligen DC (sogar schon in den 50er Jahren). Es wird sich zeigen, ob es klug ist, dass die Grünen in Sachen Schulwesen gemeinsame Sache mit den Faschisten machen. Das ist aber keine Neuigkeit.
    Erschreckend ist hingegen die offenkundig nicht vorhandene Kompetenz in Schulfragen, insbesondere,was die deutsche Schule betrifft, des Herrn Dr, Achammer.
    Somit warte ich noch immer auf den ersten klugen Beitrag von Frau Foppa zu diesem Thema.

  2. Martin Piger avatar
    Martin Piger

    Ich vergass, zu erwähnen: das Lieblingsprojekt der Grünen ist die mehrsprachige Schule.

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