In der Architektur – zumal der Landschaftsarchitektur und dem Städtebau – geht es nicht bloß um Ästhetik und Funktionalität. Qualitätsvolle Architektur ist stets auch ein Dialog. Ein Dialog mit der Umgebung und der Geschichte des Ortes. Als Ausgangspunkt für die Planung dient dabei der Genius Loci (dt. Geist des Ortes). Er beschreibt das bisweilen nicht Sicht- jedoch Spürbare einer Lokalität.
Seit Jahren wird in Innsbruck über eine längst überfällige Umgestaltung des Bozner Platzes am Rande der Innenstadt debattiert. Nach einer Ausschreibung steht laut Informationsportal der Stadt nun das Siegerprojekt fest, das bis 2025 umgesetzt werden soll.
Ungeachtet der rein städtebaulichen Qualität der Umgestaltung durch EGKK Landschaftsarchitektur aus Wien ist die Terminologie, mit der das Projekt präsentiert wird, ein ziemlicher Griff ins Klo. “Bozner Platz wird zur Piazza” und “Gemeinderat beschließt mehrheitlich Projekt ‘Piazza’” heißt es auf der Internetseite und im Info-Magazin der Stadt Innsbruck. Fragen zum Projekt können über die Mailadresse piazza@innsbruck.gv.at gestellt werden, heißt es. Das Ziel sei, italienisches Flair nach Innsbruck zu bringen. Das ist an und für sich überhaupt kein Problem. Es gibt jedoch genau zwei Plätze in Innsbruck, wo die Umsetzung dieses Unterfangens ein No-Go ist, weil es dem “Geist des Ortes” diametral entgegensteht.
Angesichts der Teilung Tirols und der faschistischen Verbrechen in Südtirol, die mit einem Verbot der endonymen Ortsbezeichnungen und generell der deutschen Sprache einhergingen, hat der Innsbrucker Gemeinderat 1923 beschlossen, mehrere Straßen und Plätze im Zentrum der Stadt nach Südtiroler Orten zu benennen. Seither heißt der Platz am Hauptbahnhof “Südtiroler Platz”. Von dort nach Norden führt die Brunecker Straße und nach Süden die Salurner Straße. Gegen Westen hin kommt man über die Brixner Straße zum Bozner Platz und weiter zur Meraner Straße. Dieser ganze Bereich Innsbrucks ist also ein toponomastisches Mahnmal gegen Faschismus, eine Sichtbarmachung dessen, dass Mussolini versucht hat, alles Deutschsprachige zu eliminieren und Südtirol gewaltsam zu italianisieren.
Und jetzt kommt man in der Tiroler Landeshauptstadt auf die großartige Idee, ausgerechnet den Bozner Platz symbolisch zu italianisieren. Also genau jenen Akt zu setzen, gegen den sich die Umbenennung vor knapp über 100 Jahren richtete. Angeblich soll auch bereits die Bezeichnung “Piazza Bolzano” die Runde machen. Zwar wird der Platz laut Bürgermeister Johannes Anzengruber (JA-Jetzt Innsbruck) auch weiterhin Bozner Platz heißen, aber die Optik ist dennoch schiach, wie der Innsbrucker sagen würde. Nicht zuletzt in Anbetracht des Erstarkens rechtspopulistischer bis rechtsextremer Gruppierungen (FPÖ, AfD usw.), postfaschistischer Kräfte an Italiens Regierungsspitze (Fratelli d’Italia) und genereller illiberaler Tendenzen in ganz Europa (Ungarn, Slowakei usw.) ist dieser geschichtsvergessene Umgang mit belasteter und belastender Geschichte ein zutiefst befremdlicher und der “Weltstadt” unwürdiger.
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