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Schule: Das mit der Chancengerechtigkeit.

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In der dieswöchigen ff ist unter dem Titel

Der Test-Ballon

Aussortieren, wer wenig Deutsch kann: Eine Direktorin, Politiker und eine Zeitung preschen vor, das Schulamt pfeift zurück. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

– ff 36/2024

ein Beitrag von Alexander van Gerven (allein die Wortwahl: »aussortieren«) über die sogenannte Sonderklasse an der Bozner Goetheschule erschienen. Dort heißt es unter anderem:

Italien, sagt [Landesschuldirektorin Sigrun] Falkensteiner, schneide im Vergleich der Bildungssysteme immer gut ab in Sachen Chancengerechtigkeit. Während in Deutschland gewisse Schichten keine Chance haben, aufzusteigen, gilt in Italien – theoretisch – der Grundsatz: Wenn man will, kann man alles schaffen. „Wenn wir das jetzt infrage stellen, was sagt das über uns als Gesellschaft aus? Das wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Die Bilder, die hier vermittelt werden, und die Haltungen dahinter.“

– ff 36/2024

Vorausgeschickt: Ich halte Inklusion — wenngleich ich sie, wie fast alles, nicht absolut setze — für ein sehr hohes Gut, insbesondere auch was die Inklusion von Menschen mit Behinderung betrifft. Dasselbe gilt für die Chancengerechtigkeit. Vermutlich gibt es auch im konkreten Fall der Goetheschule gute, ja sogar überlegene Lösungen, die ohne Einteilung der Klassen nach Sprachkenntnissen (nicht nach Herkunft, wiewohl es da eine Korrelation geben wird1diese Korrelation wird aber geringer als in »einsprachigen« Gesellschaften sein, da in Südtirol auch Kinder ohne Migrationshintergrund häufig eine andere Muttersprache haben) auskommen.

Stimmt es aber wirklich, dass Italien bezüglich der Chancengerechtigkeit »immer gut« abschneidet, wie die Landesschuldirektorin sagt? Bei der PISA-Studie 2022, Kapitel 4 Bildungsgerechtigkeit (Bericht S. 119 ff.) ist das einschlägige Ergebnis in Bezug auf Italien eher durchwachsen. Als besonders gerecht werden hier ausdrücklich die Schulsysteme in Dänemark, Finnland, Hongkong, Irland, Japan, Kanada, Korea, Lettland, Macau und Vereinigtem Königreich bezeichnet.

  • Die Fairness zeigt, ob und inwieweit sich der sozioökonomische Status auf die Leistungen der Schülerinnen auswirkt: Diesbezüglich weicht das Ergebnis von Italien nicht signifikant vom OECD-Durchschnitt ab — ähnlich wie jenes von Estland, Guatemala, Spanien oder Vietnam. Deutschland, Österreich und die Schweiz schneiden tatsächlich schlechter ab, doch zu den Ländern, wo der sozioökonomische Status den größten Einfluss hat, zählen die Slowakei, Ungarn und Rumänien. Am fairsten sind Macau und Hongkong, Kasachstan, Albanien, Usbekistan und Kambodscha. Deutlich besser als Italien schneiden auch Kanada, Norwegen, Griechenland, die Türkei sowie die Kleinstaaten Island oder Malta ab.2Bericht, u.a. Abb. I.4.2
  • Die Teilhabe gibt an, ob alle Schülerinnen Zugang zu guter Bildung haben und in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften wenigstens das Grundkompetenzniveau erreichen, also nicht gänzlich auf der Strecke bleiben: Diesbezüglich schneiden Singapur, Korea, Japan oder Korea am besten ab, Deutschland, Österreich und vor allem die Schweiz liegen über dem OECD-Durchschnitt, während Italien (wie auch Malta oder Island) darunter liegt.

Zu den Ländern mit überdurchschnittlicher Teilhabe und sozioökonomischer Fairness gehören demnach Macau und Hongkong, aber auch Japan, Finnland, Estland oder Spanien. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind Länder mit überdurchschnittlicher Teilhabe und unterdurchschnittlicher sozioökonomischer Fairness, während Italien wie zum Beispiel die USA oder Kroatien zu den Ländern mit unterdurchschnittlicher Teilhabe und überdurchschnittlicher Fairness gehört.3Bericht, Abb. I.4.20

Im Kapitel 7 Migration und Schülerleistungen (Bericht S. 215 ff.) zeigt sich, dass die Punktezahlen von Schülerinnen mit Migrationshintergrund, nach Berücksichtigung des sozioökonomischen Status und der Familiensprache, in Mathematik weder in Italien, noch in Österreich, der Schweiz oder Deutschland sowie Malta und Island signifikant von den Ergebnissen der Schülerinnen ohne Migrationshintergrund abweichen.4Bericht, Abb. I.7.7 Große Abweichungen nach oben gibt es in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Katar und den USA, nach unten hingegen in Finnland, Schweden und Dänemark. Ebenfalls nach Berücksichtigung von sozioökonomischem Status und Familiensprache gibt es in Italien, Österreich, der Schweiz oder Malta auch bei der Lesekompetenz keinen signifikanten Unterschied zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund, in Deutschland — wie in Finnland, Schweden oder Island — aber schon.5Bericht, Abb. I.7.8

Ich weiß nicht, ob es andere (bessere) Quellen gibt, um die Chanchengerechtigkeit der Schulsysteme miteinander zu vergleichen. Aufgrund der PISA-Studie lässt sich aber eine große Überlegenheit Italiens auf diesem Gebiet nicht unbedingt bestätigen. Maßstäbe setzen andere Länder.

Ich fände es gut, so wichtige Debatten auf der Grundlage von Fakten zu führen.

Cëla enghe: 01 | 02 || 01 02 03 04

  • 1
    diese Korrelation wird aber geringer als in »einsprachigen« Gesellschaften sein, da in Südtirol auch Kinder ohne Migrationshintergrund häufig eine andere Muttersprache haben
  • 2
    Bericht, u.a. Abb. I.4.2
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    Bericht, Abb. I.4.20
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    Bericht, Abb. I.7.7
  • 5
    Bericht, Abb. I.7.8


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Comentârs

4 responses to “Schule: Das mit der Chancengerechtigkeit.”

  1. G.P. avatar
    G.P.

    Du meine Güte, was die Falkensteiner immer schwafelt … sie könnte glatt mit Achammer verheiratet sein. :-)

  2. Kritischer Beobachter avatar
    Kritischer Beobachter

    Dass das italienische Schulsystem als besonders gut bezeichnet wird, finde ich in der Tat etwas befremdlich. Denn im internationalen Vergleich sind andere Länder führend. Aber unabhängig davon, was mich an diesen Vergleichen stört, ist der fehlende internationale Vergleich der Minderheitenschulen untereinander. Wollen wir wirklich eine Minderheitenschule mit einer Schule in einem Nichtminderheitengebiet vergleichen, vor allem wenn der Anspruch der Minderheitenschule das Erlernen der Minderheitensprache ist?

    1. Simon avatar

      Dass das italienische Schulsystem als besonders gut bezeichnet wird, finde ich in der Tat etwas befremdlich.

      Es geht hier aber nicht um die Güte an sich, sondern um die Chancengleichheit. Wenn (überspitzt gesagt) alle gleich schlecht sind, ist das System auch gerecht. Möglicherweise sind die abgehängtesten Schülerinnen in manch einem ungerechten System immer noch besser als die besten in einem gerechteren, doch das wurde hier nicht (oder nur am Rande, unter dem Punkt Teilhabe) berücksichtigt.

  3. Andreas Gufler avatar
    Andreas Gufler

    Ich habe voriges Schuljahr an einer Schule in Südtirol gearbeitet und ich hatte den Eindruck dass die Chancengleichheit besonders auch von den jeweiligen Lehrern und Lehrerinnen (vor allem welche Ausbildung sie erhalten haben/ eigene Wertevorstellungen) abhängt. Natürlich kann ich nur von meinen subjektiven Erfahrungen sprechen, und vielleicht ist es an anderen Schulen anders, das kann ich nicht sagen.
    Es stimmt jedoch, das sagen auch Studien, dass eine längere Zeit in einer Einheitsschule (in ST ja 8 Jahre) förderlich für den Bildungserfolg ist.
    Bildungsabschlüsse werden weiterhin vererbt, auch an italienischen/ Südtiroler Schulen.
    In Südtirol deuten Studien sogar darauf hin, dass der Erwerb von Bildungsabschlüssen auch mit der jeweiligen Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe zusammenhängt.
    Also, meines Erachtens ist das Schulsystem in Italien/Südtirol bei weitem nicht so chancengleich, wie viele immer glauben (wollen)!

    – Vogliotti, S. et al. (2022). Soziale Mobilität in Südtirol – Wie gut funktioniert der soziale Aufzug? Bozen, Eurac Research/AFI.
    – Atz, H. (2016). Ziele und Forschungsdesign. In H. Atz, M. Haller, & G. Pallaver (Hrsg.), Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft. Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojekts (S. 11-16). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

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