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Deutsch als Verständigungssprache schwindet.
Outgroup-Kontakte

Autor:a

ai

Gestern hat das Statistikinstitut des Landes (Astat) neue Daten über Sprachkenntnisse und Sprachgebrauch im Alltag (Astat-Info 34/2024) veröffentlicht. Unter anderem wurde bei der im März dieses Jahres durchgeführten Befragungswelle abgefragt, welche Sprache die Befragten gewöhnlich im Umgang mit Menschen anderer Muttersprache benutzen.

Dabei fällt auf, dass nur mickrige vier von hundert Deutschsprachigen angeben, im Rahmen solcher sogenannter Outgroup-Kontakte normalerweise bei der eigenen Muttersprache zu bleiben, während knapp die Hälfte der Italienischsprachigen (43 Prozent) in solchen Situationen in der Regel Italienisch spricht.

Im Jahr 2014 hatten — bei einer analogen Fragestellung im Rahmen der Erhebungen zum Astat-Sprachbarometer — immerhin noch 21 von 100 Befragten deutscher Muttersprache angegeben, mit Anderssprachigen gewöhnlich Deutsch zu sprechen. In nur zehn Jahren ist dieser Anteil folglich um sage und schreibe 81 Prozent (17 Punkte) geschrumpft.

Deutsch ist also heute als »lingua franca« für Gespräche über die Grenzen der eigenen Sprachgruppe hinaus in Südtirol nahezu ganz verschwunden. Dabei ist eine gewisse Sprachbeharrung gerade für minorisierte Sprachen besonders wichtig.

Es stimmt zwar, dass heute auch wenigere Italienischsprachige angeben, normalerweise bei Italienisch zu bleiben, doch ist der Wert hier — im Vergleich zu 2014 — von 55 Prozent auf 43 Prozent, also um nur 21 Prozent (12 Punkte) gesunken. Während demnach vor zehn Jahren rund zweieinhalb Mal so viele Italienerinnen wie Deutsche (55% zu 21%) angegeben hatten, mit Menschen anderer Muttersprache bei ihrer Sprache zu bleiben, beharren heute fast elfmal (!) so viele Italienerinnen wie Deutsche (43% zu 4%) auf ihrer Muttersprache!

Dass weniger Italienischsprachige als früher bei Outgroup-Kontakten grundsätzlich bei Italienisch bleiben, heißt auch gar nicht, dass sie verstärkt die Sprache des Gegenübers sprechen. Im Gegenteil: Während der Anteil Deutschsprachiger, die in solchen Situationen gewöhnlich die Sprache des Gegenübers sprechen, zwischen 2014 und 2024 von 24 Prozent auf 29 Prozent angestiegen ist, ist der Anteil Italienischsprachiger, die zur Sprache der anderen wechseln, von zehn auf acht Prozent zurückgegangen (minus 20 Prozent).

Positiv ist höchstens, dass der situationsabhängige sowie der abwechselnde Gebrauch der Sprachen insgesamt zunimmt.

Die Begründungen

Unter den Gründen, warum Italienischsprachige in Gesprächen mit einem anderssprachigen Gegenüber bei ihrer Muttersprache bleiben, stechen »weil ich die Zweitsprache nur in den dringendsten Fällen spreche« (20 Prozent), »weil ich Wert darauf lege, meine eigene Muttersprache zu sprechen« (12 Prozent) und »weil sich die anderen anpassen sollen« (3 Prozent) hervor. Der weitaus häufigste Grund sind zwar schlechte Kenntnisse der anderen Sprache (63%1+5,9 Punkte im Vergleich zu 2014), doch offenbar bleiben noch immer viele aus Prinzip bei Italienisch. Weitere Angaben waren »weil ich mich dadurch sicherer fühle« (18 Prozent) und »aus Gewohnheit« (15 Prozent). Jede Befragte durfte höchstens zwei Gründe nennen.

Gut ein Drittel (34 Prozent) der Deutschsprachigen, die vorwiegend in die Sprache des Gegenübers wechseln, gibt an, dies zu tun, weil es die Höflichkeit verlange, 22 Prozent tun dies »aus Gewohnheit« und 9 Prozent gar »weil es für mich vorteilhaft ist«. Der meistgenannte Grund für den Sprachwechsel ist »weil ich [die Sprache der anderen] besser beherrsche als die anderen Personen meine Muttersprache« (56 Prozent), »weil sie mich sonst nicht verstehen« (23 Prozent) und »weil ich alles Mögliche unternehme, um die Zweitsprache sprechen zu können« (9 Prozent). Auch hier war es möglich, bis zu zwei Antworten zu geben.

Das ist ein Teufelskreis: Wenn nur vier Prozent der Deutschsprachigen, aber über 40 Prozent der Italienischsprachigen grundsätzlich bei der eigenen Sprache bleiben, werden die Italienischsprachigen — aber auch die Zuwandernden — immer weniger Anreize (und auch Möglichkeiten) haben, die deutsche Sprache zu erlernen und zu praktizieren. Auch Wirtschaftstreibende haben in Ermangelung einschlägiger Regeln nur eine geringe Motivation, Dienstleistungen in deutscher Sprache anzubieten, wenn die deutschsprachige Mehrheitsbevölkerung jederzeit bereitwillig bis unterwürfig in die italienische Sprache wechselt.


Zusatzbemerkung: Die 2024 im Vergleich zu 2014 neu eingeführte Antwortmöglichkeit (»Ich bin mehrsprachig und es stellt kein Problem dar.«) erschließt sich mir in dieser Form nicht, da sie nicht wie eine Alternative, sondern vielmehr wie eine Ergänzung zu anderen Optionen klingt.

Cëla enghe: 01 02 || 01 02 03

  • 1
    +5,9 Punkte im Vergleich zu 2014


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Comentârs

16 responses to “Deutsch als Verständigungssprache schwindet.
Outgroup-Kontakte

  1. Wolfgang Mayr avatar
    Wolfgang Mayr

    Südtirol auf dem aostanischen Weg. Die inzwischen zusammengeschrumpften aostanischen Autonomisten forderten immer wieder – ergebnislos – von der Rai den Ausbau frankoprovenzalischer und französischer Sendungen. Warum, entgegnete “die Rai”, ihr versteht doch die italienische Sprache.

  2. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Mehrsprachigkeit wird also, wie diese Statistik zeigt, für die Südtiroler immer mehr zum Nachteil. Wenn man mehrsprachig ist, kann man ja ruhig auf seine eigene Sprache verzichten, vor allem wenn der Gegenüber nicht mehrsprachig ist oder es nicht sein will.

  3. Veronica Miron avatar
    Veronica Miron

    96% der Südtiroler deutscher Muttersprache wechseln auf Italienisch, auch wenn es nicht notwendig ist und auch wenn der Gesprächspartner sich bereitwillig zeigt Deutsch zu sprechen.

    Man muss immer 2-3 mal zusätzlich wiederholen und bestätigen “Ja ich spreche sehr gerne Deutsch”.

    1. Hartmuth Staffler avatar
      Hartmuth Staffler

      Meine Frau, italienischer Muttersprache, aber dank der in der Oberschule in Trient trotz weniger Deutschstunden erworbenen perfekten Beherrschung der deutschen Sprache (in Bozen wäre so etwas wohl nicht möglich), ist immer glücklich, wenn es ihr dank der ihr eigenen Hartnäckigkeit gelungen, ist, Südtiroler Gesprächspartner dazu zu bringen, mit ihr in deutscher Sprache zu kommunizieren. Am meisten hat es sie gefreut, dass sie von einer deutschsprachigen Südtiroler Maturantin, die bei ihr ein Praktikum absolvierte, um Hilfe bei der deutschen Rechtschreibung und Grammatik gebeten wurde.

      1. Veronica Miron avatar
        Veronica Miron

        Herr Staffler, erlauben Sie mir eine Ergänzung. Diese Hartnäckigkeit kommt als Folge von positiven Erfahrungen, die Ihre Frau scheinbar mit Ihnen im täglichen “Training” einsammeln konnte. Kurz gesagt : sie trainiert zu Hause, geht dann raus und “zwingt” alle Südtiroler die ihr auf dem Weg kommen, mit ihr Deutsch zu reden.
        Das ist ok.

        Aber denken sie an allen anderen, die sich so einen privaten Training nicht leisten können. Sie geben gleich auf beim ersten gescheiterten Versuch.

    2. joachim neumaier avatar
      joachim neumaier

      Ich habe das als Bundesdeutscher auf Besuch in Süd-Tirol immer wieder feststellen müssen: Einheimische bestellen beim italienischen Ober in dessen Muttersprache, obwohl er mit mir auf Deutsch parliert.

  4. Martin Piger avatar
    Martin Piger

    Ich habe aber auch schon erlebt, dass Kassiererinnen im Despar mit bundesdeutschen Kunden vor mir auf deutsch kommunizierten (sehr rudimentär, aber sie habens gemacht), als die Reihe an mir war, sie aber trotz dass ich sie auf deutsch angesprochen habe, ohne mit der Wimper zu zucken ins italienische gewechselt haben. Ich schaue nun mal nicht aus wie ein “Deutscher”, sondern eher wie ein Südtiroler. Ich glaube, oft wird die Zweisprachigkeit von uns Südtiroler Kunden eingefordert, damit das Personal (ganz gleich, ob auf Ämtern oder in der Privatwirtschaft) gemütlich weiterhin einsprachig italienisch bleiben kann.

    1. Veronica Miron avatar
      Veronica Miron

      Unsichere Sprecher fühlen sich viel entspannter in einem Gespräch mit einem Bundesdeutschen. Man bekommt den Eindruck dass es mehr Verständnis gibt und man wird oft mehr stimuliert und sogar taktvoll korrigiert.

      1. artim avatar
        artim

        Das hat mit (historisch) sozial-psychologischen Aspekten zu tun. Das Südtirol ist bekanntlich ein postkolonialer Grenzraum.

  5. artim avatar
    artim

    Die Titelung des Artikels ist missverständlich. Es geht um Sprache(n) in Kontakt.
    Ein anderes Ergebnis war nicht zu erwarten. Es zeigt, wie Zusammenleben unter dem Vorzeichen von Normalisierung  der alltäglichen Ungleichwertigkeit der Bürgerschaft im postkolonialen  Grenzraum Tirols aussieht. Minorisierung ist ein Aspekt.
    In den urbanen Zentren gibt es längst eine Drift: Italienisch und Englisch.
    “Il tedesco mi fa schifo”, sagte man uns unlängst, als wir eine kleine Umfrage unter Jugendlichen in Bozen machten.
    Deutsch in Kontakt für zu sich und in einer anderen Welt zu sein ist mittlerweile wie Hatha oder das Studium der Satem- und Kentum-Sprachen im Wandel.
    Sprache ist Handeln, Ausverhandeln …
    Auf der gesellschaftlichen, politischen Ebene ist eine quantitative Erhebung durch eine kulturwissenschaftliche Begleitung allemal lohnenswert. Ein Parameter ist auch die Rolle des (fiktiven) Status selbst, die Rolle des Prestige im Sprachkontakt.
    Die bestehende völkerrechtliche vollständige Gleichstellung des Deutschen mit dem Italienischen seit dem Jahre 1946 ist offenbar keine Gewähr. Italien hat es bis heute einfach nicht umgesetzt. Deutsch ist Hilfs-, nicht Amtssprache in Südtirol. Die Ungleichwertigkeit der autochthonen deutschen, ladinschen und jenischen Bürgerschaft ist der Regelfall. Anders als die Schweiz, die mittlerweile auch das autochthone Jenisch als Mehrwert der eigenen Sprachlandschaft betrachtet.
    Wozu Deutsch lernen, fragte unlängst auf “Salto” Haymo Perkmann (wohl die Südtirolerinnen) und propagierte die USA als zielführendes Modell.
    Ein wenig Unterkomplex der Ansatz. Das Südtirol ist zwar völkerrechtlich (ethnisches) Schutzgebiet, aber deshalb noch lange kein Reservat.
    Ich bin jedenfalls schon gespannt, wie das Südtirol sich nun zu diesen Ergebnissen verhält.

  6. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    @ Veronica Miron: Meine Frau trainiert nicht zu Hause, weil wir zu Hause verbal nur in italienischer Sprache kommunizieren (außer in Gegenwart von anderen Deutschsprachigen), schriftlich aber in deutscher Sprache. Bei ihrer Arbeit hat meine Frau deutschsprachige Klienten immer in deutscher Sprache angesprochen. Oft hat sie sich nur mit Mühe durchsetzen können, weil die Klienten in die italienische Sprache wechseln wollten, obwohl sie mit den medizinischen Fachausdrücken Schwierigkeiten hatten.

    1. Veronica Miron avatar
      Veronica Miron

      Naa, jetzt bin ich aber ein bisschen enttäuscht wenn Sie in der Familie kein Deutsch sprechen…

      Wenn aber alle Südtiroler so gern die italienische Sprache haben, wo liegt das Problem?..

      Es interessiert doch niemanden mehr ob er zu einer Minderheit gehört oder nicht..

      Ps : ich persönlich rede überall nur deutsch, ausser mit meinen Kindern. Und das aus Spaß :-) sogar in den Krankenhäusern mit italienischen Ärzten spreche ich deutsch ! :-)

      1. Hartmuth Staffler avatar
        Hartmuth Staffler

        In der Familie wird, wenn es ein Familientreffen gibt, vorwiegend Deutsch gesprochen. Ich spreche sehr gerne verschiedene Sprachen, in erste Linie natürlich Deutsch, dann Französisch, aber auch Italienisch und, allerdings auf bescheidenem Niveau, auch Rumänisch. Jede Sprache ist ein Mehrwert, und gerade darum bin ich gegen Sprachimperialismus, der in Südtirol so schrecklich gewütet und Schäden erzeugt hat, die heute noch nachwirken.

  7. Stuff avatar
    Stuff

    Meiner Erfahrung nach wird man immer häufiger einfach auf italienisch “überfahren”. Geschwind und gezielt wird man vor halb vollendete Tatsachen gestellt, sodass ein umswitchen in die deutsche Sprache meist nicht mehr so ohne Weiteres möglich ist.

  8. Veronica Miron avatar
    Veronica Miron

    Meiner Meinung nach sollte man viel mehr die regionale Sprache in Südtirol fördern. Vor allem in den italienischsprachigen Kreisen die sich eine “echte” Zweisprachigkeit wünschen.

    Andererseits, sollte man mit dem Narrativ aufhören, laut dem jeder und jede unbedingt und obligatorisch Zweisprachig sein muss.

    Es sollte eher eine persönliche Entscheidung sein, ob jemand die zweite Landessprache braucht, ob er sich motiviert fühlt diese zu lernen und s.w.

    Es soll aber in Ordnung sein auch einsprachig zu bleiben, wenn einer die Zweisprachigkeit in seiner Karriere nicht braucht. Die anhaltende Empörung über die Deutschkenntnisse der Schüler (zum Beispiel) halte ich schlichtweg für kontraproduktiv.

    1. Simon avatar

      Ich bin zwar auch der Meinung, dass in Südtirol ein gewisser Zweisprachigkeitsextremismus vorherrscht, demzufolge idealerweise jede die zwei »großen« Landessprachen (aber merkwürdigerweise nicht die »kleinste«) quasi auf muttersprachlichem Niveau beherrschen sollte. Dies während die »institutionelle« Mehrsprachigkeit oft sträflich vernachlässigt wird.

      Dennoch finde ich schon, dass jede Südtirolerin so viel Deutsch, Italienisch und im besten Fall Ladinisch beherrschen sollte, dass sie einem Gespräch folgen und einen Text verstehen, aber auch in Alltagssituationen gut mit Menschen anderer Sprache kommunizieren kann — ohne auf Englisch zurückgreifen zu müssen und ohne dass eine Landessprache einseitig, zu Lasten der anderen, als lingua franca fungiert.

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