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Differenzierte Autonomie: Pharisäer unter sich.

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Mit einem Referendum wollen »Linke« die »autonomia differenziata« zu Fall bringen.

Zwei Jahre lang musste Lega-Minister Roberto Calderoli dafür kämpfen, sein Wunschprojekt »autonomia differenziata« ins Parlament zu bringen. Seine Partner, die Meloni-Partei Fratelli d’Italia und Forza Italia, ließen ihn gehörig zappeln. Es ist nun auf dem Weg. Regionen, ganz einfach formuliert, die möchten, dürfen vom Staat die Übertragung von Befugnissen beantragen.

Die Verfassungsreform von 2001 macht es möglich. Der aostanische Autonomiepolitiker Luciano Caveri steuerte föderalistische Ideen zum Verfassungsartikel 116 — in dem es um Italiens Regionen geht — bei. Wie die ausdrückliche Betonung der Rolle der Regionen mit Sonderstatut, also mit Autonomie (im Fall Südtirol gilt der österreichisch-italienische Pariser Vertrag als internationale Grundlage der Autonomie) sowie die Übertragung »bestimmter Formen … der Autonomie« an die Regionen mit Normalstatut. Caveri sprach vom »differenzierten oder asymmetrischen Regionalismus«, weil Regionen unterschiedliche Befugnisse beantragen und erwerben können.

Mehr als 33 staatliche Befugnisse können Regionen übernehmen, die sich damit von der Bildung über den Denkmal- und Umweltschutz, von der Ziviljustiz über die Energie bis hin zu den internationalen Beziehungen selbst verwalten können. 33 Kompetenzen können vom Staat auf die Regionen übertragen oder mit dem Staat geteilt werden. 

Für jede Region muss die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegen, der vom Parlament mit absoluter Mehrheit genehmigt werden muss. Ein schwieriges und besonders langwieriges Unterfangen, ein Hürdenlauf erster Güte.

Die beiden wirtschaftsstarken Regionen Venetien und Lombardei forderten bei zwei Volksabstimmungen Autonomie, auch die Emilia-Romagna setzt auf Selbstverwaltung, um nur drei Beispiele zu nennen.

Linke Autonomiefeinde

Genau diese »differenzierte Autonomie« soll jetzt verhindert werden. Cinque Stelle, PD und die Partisanenvereinigung ANPI sammeln Unterschriften für ein Referendum, um die »autonomia differenziata« zu torpedieren. Mehr als eine halbe Million Unterschriften konnten bereits gesammelt werden, dürftige 2.000 in Südtirol.

Ausgerechnet die Linke will mehr Autonomie für interessierte Regionen verhindern. Im Parlament schwenkten linke Parlamentarier die Trikolore und stimmten gemeinsam mit ihren Gegnern von den Fratelli die Nationalhymne gegen die Regionalautonomie an, prügelten sich mit Abgeordneten der rechtsrechten Mehrheit. Verkehrte Welt.

Linker Vorwurf an das Calderoli-Projekt: es fördere die Ungleichheit und damit — eine Vermutung — die Einheit des Staates. Der Partito Democratico wirbt seit Monaten für die Unteilbarkeit der Republik, als ob mehr Autonomie und Demokratie »nach unten« einen Zentralstaat auflösen könnte.

Thomas Benedikter wirft der Linken vor, aus parteitaktischen Gründen die »autonomia differenziata« zu bekämpfen. Der angeblich verschärfte Nord-Süd-Konflikt aufgrund regionaler Autonomien ist für Benedikter nur ein Vorwand. Laut Benedikter sieht die »differenzierte Autonomie« auch Maßnahmen zur Gewährleistung sozialer Mindeststandards italienweit vor.

Klammheimliche Freude mit dem linken Kampf gegen die Regionalautonomie werden die Rechten haben. Und die süditalienischen Regionen, in denen die Rechten regieren. 

Linke gegen den Zentralisten Renzi

Es ist noch gar nicht so lange her, da wollte Ministerpräsident Matteo Renzi (damals PD) und seine Mittelinksregierung 2016 den Zentralstaat auf Kosten der Regionen stärken. Südtirol versprach er eine Schutzklausel, gemäß der die Autonomie nicht einseitig hätte abgeändert werden dürfen. Die Autonomie sollte abgesichert (blindata) werden. Die SVP stimmte deshalb für die im ganzen Land umstrittene Reform. Besonders sehr linke Organisationen mobilisierten gegen die Reform, weil sie sie als Angriff auf die Selbstverwaltung ablehnten. 

Schon 2014 errichtete PD-Regionenminister Francesco Boccia eine Brandmauer gegen zu viel Regionalismus. Mit seinem Gesetz über die »Koordinierung der öffentlichen Finanzen« schrieb er die republikanische Einheit — die niemand in Frage stellte — und die interregionale Solidarität fest. Vorbeugend verpasste also gerade der Regionenminister den Regionen ein Betonkorsett, Autonomie an der kurzen Leine der Zentrale.

Schräges Italien, verlogene Linke. Prinzipienlose SVP. Die Rechte flippte aus, weil Renzi den »ehrwürdigen« Senat in eine Art Regionenkammer umwandeln wollte. Dagegen liefen rechte Patrioten Sturm.

Das Trauerspiel wiederholt sich. Ist tatsächlich nur der starke Zentralstaat Garant für Ausgleich und Gerechtigkeit? Ist nur der Zentralstaat gegen Korruption und Oligarchenwirtschaft gefeit? Stichwort Tangentopoli, die Berlusconi-Regierungen, die staatsweite Steuerhinterziehung, die ungehinderte Ausbreitung der mafiösen Gegenstrukturen usw.

Der Regionalstaat, ein antifaschistisches Erbe

Die linken Väter der republikanischen Verfassung waren mutiger, wahrscheinlich ihrem antifaschistischen Widerstand geschuldet. Sie wollten einen Regionalstaat, der die übermächtige Zentrale einhegt. Das war die Idee. Es dauerte aber eine Ewigkeit, bis davon Bruchstücke umgesetzt wurden.

Von 1948, nach Inkrafttreten der republikanischen Verfassung, dauerte es bis ins ferne 1970, bis Italien die sogenannten Regionen mit Normalstatut erhielt. Ein Gesetz, in Absprache zwischen den damals allmächtigen Christdemokraten und der 30 Prozent starken KPI entstanden. Diese Regionen deuten aber nur den Schatten einer Autonomie an. 

Die Feinde der »differenzierten Autonomie« kümmern die Volksabstimmungen in Venetien und in der Lombardei wenig. Genausowenig wie das Votum der ladinischen Gemeinden um Cortina auf Rückführung an das Ladinien in Südtirol. Pharisäer unter sich.


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