Zur möglichen Wahl des neuen katalanischen Präsidenten, Salvador Illa (PSC), die heute im katalanischen Parlament stattfinden soll, hat Ex-Präsident Carles Puigdemont (Junts) nach knapp siebenjährigem Exil seine Rückkehr in den zu Spanien gehörenden Teil Kataloniens angekündigt. Genauso wie bei seinem Gang ins Exil soll es sich dabei nicht um einen persönlichen, sondern um einen politischen Akt handeln. Da er bei den kürzlich stattgefundenen Wahlen ins katalanische Parlament gewählt wurde, will Puigdemont bei der heutigen Abstimmung anwesend sein und seine Stimme in die Waagschale werfen.
Die Nervosität in Barcelona ist dabei extrem hoch, da sich die spanische Justiz weigert, die vom Kongress beschlossene Amnestie — im Sinne der Gewaltenteilung — vollständig umzusetzen (01
). So ist gegen Puigdemont nach wie vor ein Haftbefehl wegen Veruntreuung aufrecht. Rechtsexpertinnen warnen, dass eine allfällige Festnahme illegal wäre.
Der neue katalanische Parlamentspräsident, Josep Rull (Junts), hat bereits angekündigt, eine Verhaftung im Parlamentsgebäude mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern zu wollen. Ein Eintritt von Ordungskräften ohne seine Zustimmung wäre ein Gesetzesverstoß. Ohnehin könnte die Festnahme bereits außerhalb stattfinden, wo seit heute früh ein Großaufgebot der Landespolizei Mossos d’Esquadra zu sehen ist.
Die rechtsextreme Vox hat angekündigt, den von ihr verhassten Ex-Präsidenten am Zugang zum Parlament hindern zu wollen, falls es die Polizei nicht tut.
Große Menschenmengen haben sich in Barcelona bereits zusammengefunden, um den Präsidenten bei seiner Rückkehr zu empfangen.
Sollte Puigdemont daran gehindert werden, an der Sitzung teilzunehmen, könnte die Vertrauensabstimmung vertagt werden.
Aktualisierung
- Um circa 9.00 Uhr ist Puigdemont in Barcelona eingetroffen, wo er vor Zehntausenden am Arc de Triomf ungehindert eine kurze Rede halten konnte.
- Anders als von allen — einschließlich Polizei und Medien — erwartet, hat er dann doch nicht versucht, ins Parlament zu gelangen, sondern hat den Trubel genutzt, um sich erneut abzusetzen.
- Den ganzen Tag haben die Mossos anschließend nach ihm gefahndet. Rund um Barcelona wurden — im Rahmen eines Protokolls, das für akute Terrorgefahr gedacht ist — alle Straßen gesperrt und jedes Fahrzeug überprüft, was zu einem enormen Verkehrschaos geführt hat. Die Suchaktion hat scharfe Kritik wegen mangelnder Verhältnismäßigkeit nicht nur von Unabhängigkeitsbefürworterinnen verschiedener Couleur, sondern auch von Polizeigewerkschaften geerntet. Aufgrund der Ankündigung von Puigdemont, an der Vertrauensabstimmung teilnehmen zu wollen, hatte die Polizei offenbar vor, ihn direkt vor dem Parlament festzunehmen.
- Im Laufe des Tages haben die Mossos zwei Männer aus ihren Reihen verhaftet, die im Verdacht stehen, dem ehemaligen Präsidenten geholfen zu haben.
- Um circa 10.00 Uhr hat wie geplant das Plenum zur Wahl des neuen katalanischen Präsidenten begonnen. Am späten Nachmittag wurde Salvador Illa (PSC) schlussendlich — mit 68 zu 66 Stimmen ohne Enthaltungen — ins Amt gewählt. Er führt fortan eine Minderheitsregierung, da er sich die Unterstützung von ERC und En Comú Podem dank Zugeständnissen nur punktuell für diese Wahl sichern konnte.
- Unter anderem hat Illa in seiner Erklärung die ausnahmslose Umsetzung der Amnestie gefordert und angekündigt, aufgrund von Vereinbarungen mit ERC gegenüber Madrid für die Steuerhoheit und in Katalonien für die Stärkung der katalanischen Sprache kämpfen zu wollen. Zur Umsetzung seines Regierungsprogramms will er sich von Mal zu Mal die Stimmen anderer Kräfte — mit Ausnahme von Vox und Aliança Catalana — sichern.
Die heutige Rede von Puigdemont im Wortlaut:
Einen wunderschönen Tag! Geschätzte Mitbürger, einen wunderschönen Tag! Seit sieben Jahren verfolgen sie uns, weil wir die Stimme des katalanischen Volkes anhören wollten. Es ist sieben Jahre her, dass sie eine äußerst harte Repression losgetreten haben, die uns ins Gefängnis oder ins Exil geführt hat, die das Leben von vielen Tausend Personen beeinträchtigt hat, weil sie die Unabhängigkeit befürworten und manchmal auch nur dafür, dass sie Katalanisch sprechen. Sie haben es in etwas Verdächtiges verwandelt, Katalane zu sein. In diesen sieben Jahren hat die Repression viel Chaos angerichtet — und das wird so bleiben, bis die Politisierung der Justiz nicht beendet wird und solange vier Richter mehr zu sagen haben als ein Parlament; solange es dem PP gestattet ist, die zweite Kammer des Obersten Gerichtshofs über die Hintertür zu kontrollieren und solange Vox als Einzelkläger zugelassen wird, um politische Dissidenten zu verfolgen. Doch trotz ihrer Mühe, obwohl sie uns Schaden zufügen wollten und obwohl wir ihre repressive Fratze gesehen haben, bin ich heute hierher gekommen, um sie daran zu erinnern, dass wir noch hier sind. Wir sind noch hier! Wir sind noch hier, weil wir nicht das Recht haben, zu verzichten. Das Selbstbestimmungsrecht gehört den Völkern… es gehört den Menschen, die hier leben und deshalb hat kein Politiker das Recht, auf ein Recht zu verzichten, das kollektiv ist: das Recht der katalanischen Bevölkerung, frei über ihre Zukunft befinden zu dürfen. Sehen Sie, heute denken viele, meine Festnahme feiern zu können. Und sie werden denken, dass der Spott uns und euch abschrecken wird, dass es sich dafür lohnt, sogar ein Gesetz ihres Parlament zu missachten. Doch sie irren — und in ihrem Irrtum werden sie ein weiteres Mal die Glaubwürdigkeit der spanischen Demokratie aufs Spiel setzen, auch wenn wir wissen, dass sie das wenig kümmert. Lassen wir uns nicht täuschen, lassen wir uns nicht durcheinander bringen: es ist, war und wird nie ein Verbrechen sein, ein Referendum abzuhalten; und es ist und wird nie ein Verbrechen sein, den Auftrag des katalanischen Parlaments umzusetzen. Jenes Parlament, das jetzt einberufen wurde, um den katalanischen Präsidenten zu wählen, dem aber nicht immer in Freiheit und mit demokratischer Normalität erlaubt wurde, seine Präsidenten zu bestimmen. Vor knapp sieben Jahren haben 2,3 Millionen Menschen abgestimmt: wir haben die Frage beantwortet, die die von mir geleitete Regierung vorgeschlagen hatte, was dank einem Gesetz des katalanischen Parlaments ermöglicht wurde. Aus jenem Sieg — denn es war ein Sieg — entstand eine scharfe Repression, die unser Leben und unsere Institutionen beeinträchtigt hat. Das Amnestiegesetz sollte der Politik zurückgeben, was die politische Sphäre nie hätte verlassen dürfen. Doch einigen Herren am Höchstgericht gefällt und passt das nicht. Wir haben kein Interesse, in einem Land zu sein, in dem Amnestiegesetze nicht amnestieren. Ein Land, wo Amnestiegesetze nicht amnestieren, hat ein Demokratieproblem. Heute findet eine wichtige Parlamentssitzung statt, wie alle Parlamentssitzungen wichtig sind. Was unser Parlament beschließt, respektieren wir immer, ob es uns gefällt oder nicht. Wir müssen unsere Sache machen — und an schwierigen Tagen müssen wir zusammenstehen wie nie und in der Lage sein, neue Gelegenheiten vorzubereiten, denn wir werden sie haben und wir werden sie uns verdienen. Ich weiß nicht wie lange… ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen werden, Freunde. Doch was auch immer passieren wird: Wenn wir uns wiedersehen, sollen wir gemeinsam und laut rufen können, womit ich meine Rede abschließe: Es lebe das freie Katalonien!
– Carles Puigdemont
Transkription und Übersetzung von mir
Cëla enghe: 01
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