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Autonomiereform: Was wäre, wenn…?

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In der rechtsrechten Regierung wächst der Widerstand gegen die “autonomia differenziata”. Wie stehen die Chancen für die Sanierung der Südtirol-Autonomie?

Deutsche Konservative schwärmen vom »neuen Italien« der Giorgia Meloni, vom angeblichen italienischen Wirtschaftswunder.

Ganz anders sieht es Thomas Meyer vom Flossbach von Storch Research Institute. In der deutschen Tageszeitung Die Welt empfahl er der nächsten deutschen mitte-rechten Bundesregierung, sich nicht Italien zum Vorbild zu nehmen.

Der österreichische Standard schaute genauer hin, auch auf einige Details wie das Autonomieprojekt der Lega. Korrespondent Dominik Straub sieht darin einen Sprengsatz für die rechtsrechte Regierung. Straub zitiert den Widerstand des kalabresischen Regionalpräsidenten Roberto Occhiuto von Forza Italia gegen die autonomia differenziata von Lega-Minister Roberto Calderoli.

Occhiuto lehnt Autonomie für die Regionen mit Normalstatut ab, kritisiert die angeblich schnelle parlamentarische Verabschiedung, sprach gar von einer Nacht- und Nebelaktion. Der Forza-Italia-Politiker warnt vor einer weiteren Polarisierung und lässt die Regierung in Rom wissen, dass die übergroße Mehrheit der Kalabres:innen gegen die Autonomie ist. Gegen die Autonomie von Venetien und Lombardei. Bei zwei Referenden sprachen sich die Bürger:innen dieser reichen Regionen für eine großzügigere Regionalautonomie aus.

Occhiuto stellt mit seiner Ablehnung das Lieblingsprojekt der Lega in Frage, die Regionalisierung des Zentralstaates, immerhin auch von der Verfassung vorgesehen.

Der kalabresische Präsident ist nicht irgendein unbedeutender Regionalfürst, sondern die Nummer zwei von Forza Italia, gleich hinter Parteichef und Außenminister Antonio Tajani. Also eine gewichtige Stimme in der rechten Wahlallianz von Giorgia Meloni (FdI).

Süditalienischer Widerstand

Die süditalienischen Regionen hängen am staatlichen Tropf, jahrzehntelang pumpte die Cassa del Mezzogiorno, inzwischen auch die EU, Lira- und Euro-Milliarden in den Süden. Bis 1962 gab der Staat sagenhafte 1.280 Milliarden Lire im Süden aus. Die Tageszeitung Il Giornale bilanzierte: ein Desaster. Zwanzig Prozent Arbeitslosigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit bei 56 Prozent, zwischen 1958 und 1963 wanderten mehr als eine Million Süditaliener nordwärts, auch nach Deutschland und Belgien.

Trotz der saftigen »Alimente« fühlen sich die Regionen in Süditalien wirtschaftlich abgehängt, befürchten, dass sich autonome Regionen der Solidarität verweigern. Billige Polemik, das autonome Südtirol finanziert mit seinem Transfer den staatlichen Haushalt mit.

Nachträgliches Kippen?

Kippt Meloni trotz parlamentarischer Genehmigung der autonomia differenziata das Autonomieprojekt der Lega? Was dann — schert die Lega aus?

Während die Lega auf einen ausgebauten Regionalstaat setzt, träumen Forza Italia und Fratelli d’Italia von einem starken Zentralstaat mit einem direkt gewählten Ministerpräsidenten. Warum sollte die Lega diese radikale Verfassungsreform — laut Meloni die »Mutter aller Reformen« — mittragen, falls die Partner die Regionalautonomie ablehnen?

Die Autonomiefeinde reichen von rechts bis nach links. Die »linke« Opposition aus Cinque Stelle und Partito Democratico (PD) — während der parlamentarischen Debatte schwenkten sie die Trikolore und grölten die Nationalhymne — sammelt Unterschriften für eine Volksabstimmung gegen die autonomia differenziata. Laut Umfragen lehnt die Mehrheit der Italiener:innen die Regionalautonomien ab.

Auf Salto geißelte Thomas Benedikter die Widersprüche der italienischen Linken. Sie will einerseits mehr Dezentralisierung, andererseits zieht sie den vom Zentralstaat gesteuerten assistenzialismo zugunsten des Südens vor. Die »Linke« ist für die regionale Selbstverwaltung, so drängte Präsident Bonaccini vom PD für die Emilia Romagna auf die differenzierte Autonomie. Doch aus parteitaktischen Gründen bekämpft der PD die dafür nötige Reform. Der »linke« Vorwurf lautet, die Autonomie verschärfe den Nord-Süd-Konflikt in Italien und die wirtschaftliche Not im Süden.

Das sind klassische Fake News, Parteilügen — Thomas Benedikter erinnert daran, dass auch die genehmigte »differenzierte Autonomie« Maßnahmen zur Gewährleistung der sozialen Mindeststandards in ganz Italien vorsieht.

Südtirol: Gefährdete Autonomie-Sanierung?

In dieses Bild passt auch die schleppende Sanierung der Sonderautonomien einschließlich der Südtirolautonomie. Bereits im Juni hätte ein Entwurf dafür vorliegen sollen, doch der lässt noch auf sich warten. Warum sollte diese rechtsrechte Regierung Südtirols Autonomie stärken und auch noch ausbauen, wenn innerhalb der rechten Koalition der Widerstand gegen dürftige Regionalautonomien wächst? Beim Protest der beiden linken Parteien wirkten auch Abgeordnete der Fratelli begeistert mit, beim Singen des furchterregenden Canto degli Italiani, seit 2017 dank einer Mittelinksregierung die offizielle Nationalhymne.

Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) hat sich in seiner letzten Amtsperiode die große Reparatur der Autonomie vorgenommen. Eine grundlegende Reform, ein großer Wurf, analysierte Eurac-Wissenschaftler Francesco Palermo auf Salto, um die vom Verfassungsgericht abgeräumte Autonomie wieder herzustellen. Die beiden Rechtswissenschaftler Esther Happacher und Walter Obwexer kommen in einer Studie zum Schluss, dass der Staat einseitig autonome Befugnisse zurücknahm und die Autonomie insgesamt um 25 Jahren zurückgeworfen wurde.

Angeblich aus diesen Gründen holte Landeshauptmann Kompatscher die Fratelli d’Italia — keine Freunde der Autonomie — in die Landesregierung. Deshalb stimmte die SVP im Parlament bei ihrem Antritt als Regierungschefin nicht gegen Giorgia Meloni. Werbewirksam stellte sie die Wiederherstellung der Autonomie in Aussicht.

Das Pro-Fratelli-Netzwerk in und außerhalb der SVP scheint sich in der Autonomiefreundlichkeit getäuscht zu haben. Die Wiederherstellung der Autonomie zählt wohl nicht zu den Prioritäten der Meloni-Regierung. Der Statthalter von Meloni in Bozen, der in Vicenza gewählte Parlamentarier Alessandro Urzì, versucht zu beruhigen. Der Präsident der Sechserkommission sagte auf Rai Südtirol »die Reform der Autonomie wird kommen«. Wer’s glaubt, wird selig.

Zweifelnder Landeshauptmann?

Im Jahr 2018 wetterte Urzì gegen einen Verfassungsgesetzentwurf der SVP-Parlamentarier Julia Unterberger, Manfred Durnwalder und Dieter Steger. Ein Entwurf, der die sogenannte Vollautonomie für Südtirol vorsah, wie einst (2013) ein ähnlicher Gesetzentwurf der beiden SVP-Senatoren Hans Berger und Karl Zeller. Urzì warnte damals vor »katalanischen Zuständen« und vor einer »inneren Sezession«.

Inzwischen scheint auch Landeshauptmann Arno Kompatscher an den Autonomieversprechen von Giorgia Meloni zu zweifeln. Möglicherweise liefert sie nicht mehr — weil sie nicht will — oder kann gar nicht mehr liefern. Weil die Widerstände innerhalb der Fratelli zu groß sind? Es würde nicht verwundern. Trotz seiner Zweifel hofft der Landeshauptmann noch auf die parlamentarische Zusage von Meloni, weshalb er die Fratelli — die politischen Enkel des neofaschistischen MSI — in die Südtiroler Landesregierung geholt hatte.

Die Uhren in Rom ticken anders, gegen das Wunschdenken. Ein Beispiel: die Briefmarke zu Ehren des ehemaligen faschistischen Bildungsministers Giovanni Gentile. Man stelle sich vor, die deutsche Bundesregierung widmet dem nationalsozialistischen Minister Bernhard Rust eine Briefmarke der Bundespost. Ob die Gentile-Briefmarke eine Art Botschaft ist?

Landeshauptmann Kompatscher sagt es unumwunden: »Wir haben ein massives Problem bei der Autonomie«. Darauf wies er im März 2024 die Abgeordneten im Landtag hin. In mehr als zehn nicht unbedeutende Bereiche regiert der Staat hinein. Im Landtag kritisierte Kompatscher die schleichende Einschränkung des autonomen Gesetzgebungsspielraums.

Der Staat bestimmt die Ämterordnung des Landes und die Dienstverhältnisse des Landespersonals, den öffentlichen Dienst, genauso die Verwaltungsverfahren und das Vergaberecht. Ähnliches gilt auch für die Raumordnung, den Umweltschutz, den Zivilschutz, die Jagd und die Naturparke. Der Staat regelt die Ortspolizei sowie die Berufsordnungen. Das autonome Südtirol wird damit zu einem Hinterhof degradiert.   

Wenn also Meloni nicht liefert — was dann? Welchen Grund gibt es dann noch, in Koalition mit den Fratelli zu bleiben? Hoffentlich keinen! Der Landeshauptmann und seine SVP stünden vor einem Scherbenhaufen, die Autonomie bliebe beschädigt. Für viele Südtiroler:innen scheint dies auch gar kein Problem mehr zu sein. Die Zahl jener wächst — selbstverständlich ist das »Bekenntnis« frei — die sich als Italiener:innen deutscher Muttersprache definieren. Und brauchen diese deutschsprechenden Italiener:innen in Alto Adige eine Autonomie?


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Comentârs

One response to “Autonomiereform: Was wäre, wenn…?”

  1. Simon avatar

    Kann mich nicht erinnern, wo ich das gelesen habe, aber angeblich sammelt der PD im Trentino (und in Südtirol?) keine Unterschriften gegen die differenzierte Autonomie. Dort wo es also schon eine Autonomie gibt, ist man dafür, in den anderen Regionen dagegen.

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