Heute begeht die Schweiz ihren Bundesfeiertag. Nicht alles was glänzt, ist Gold, doch als Demokratie hat sie den allermeisten Staaten weltweit einiges voraus.
Mit Blick auf Demokratie und Föderalismus können wir von Italien aus schon etwas neidvoll zur Eidgenossenschaft rüberschauen, die heute feiert. Wir haben weder eine bundesstaatliche Verfassung, noch eine funktionierende direkte Demokratie in diesem Staat. Dort, wo Volksabstimmungsrechte funktionieren, nämlich beim Verfassungsreferendum (Referendum über Verfassungsänderungen laut Art. 138 Verf.), werden sie ergriffen, um ein Stück Autonomie und Dezentralisierung zu verhindern. Es gehört zu den Widersprüchen der italienischen Linken, dass sie zwar mehr Dezentralisierung will, dann aber doch den vom Zentralstaat gesteuerten assistenzialismo vorzieht, auf den Süditalien besteht; dass sie auf regionale Selbstverwaltung pocht — schließlich hat auch Bonaccini für die Emilia Romagna differenzierte Autonomie eingeklagt — dann doch wieder aus parteitaktischen Gründen die dafür nötige Verfassungsreform bekämpft. Dabei umfasst auch die beschlossene »differenzierte Autonomie« Maßnahmen zur Gewährleistung der sozialen Mindeststandards in ganz Italien.
Die Schweiz mag den Föderalismus ins andere Extrem getrieben haben, indem sie den Kantonen und Kommunen die größte Entscheidungsmacht anvertraut, einschließlich eines beträchtlichen Teils der Steuergesetzgebung. Damit hat sie auf jeden Fall das erfüllt, was die allermeisten Schweizer vom Staat erwarten: größtmögliche Eigenständigkeit der regionalen und lokalen Gemeinwesen, größtmögliche Mitbestimmung der Bürger direkt und indirekt und in der Folge auch viel mehr Eigenverantwortung der Bürgerinnen und vor Ort gewählten politischen Vertreter. Dass mehr Autonomie, gleich ob als Kanton (Schweiz), Autonome Gemeinschaft (Spanien) oder eben Region (Italien) auch mehr konkrete demokratische Mitbestimmung bedeutet, hat man in der Linken und beim M5S einfach nicht begriffen.
Eine ausgebaute Regionalautonomie bedeutet aber nicht etwa automatisch mehr demokratische Bürgerrechte. Den Beweis dafür erbringen wir in Südtirol, wo zwar ein relativ weitreichendes Direkte-Demokratie-Gesetz gilt, aber eine bürgerfreundliche Regelung dieser Rechte immer noch aussteht. Nicht zufällig gibt es auf Gemeindeebene in Südtirol seit Jahren keine Referenden mehr und auch das letzte echte Referendum — streng genommen eine vom Landtag angesetzte Volksbefragung zur öffentlichen Finanzierung des Flughafens — ist schon acht Jahre her. Ich habe nachgezählt: ein durchschnittlicher Schweizer meines Alters konnte in seinem Leben schon mindestens 350 Mal auf kantonaler und Bundesebene über wichtige, von unten ausgelöste Abstimmungsvorlagen entscheiden. Ich konnte 4 Mal bei einer Volksabstimmung auf Landesebene (2009, 2016, 2014, 2022) und 17 Mal auf Staatsebene abstimmen, wo dieses Recht seit genau 50 Jahren besteht. Das war’s auch schon.
Der Ausübung von direkter Demokratie stehen nicht nur praktische Hürden wie die umständliche Beglaubigung der Unterschriften durch eine Amtsperson und lange Ausschlusszeiten entgegen, sondern neuerdings auch die Justiz. Die für die Prüfung der Zulässigkeit von Volksinitiativvorlagen eingesetzte Richterkommission hat ihre Funktion zu jener des Verfassungsgerichts umgedeutet. Bürgervorlagen werden mit weit hergeholten Argumenten sogar politischer Natur gekippt. So geschehen bei der Volksinitiativvorlage zu Artenschutz und Biodiversität, die Umweltverbände vor drei Jahren angestrengt haben. Die ganze Mühe umsonst.
Ganz anders die Schweiz. Dort liegt gerade jetzt eine bundesweite Volksinitiative zum Schutz der Artenvielfalt auf, die beweist, wie wichtig direkte Demokratie als »Gaspedal« ist. Mit dieser Initiative wird mit wunderbarer Transparenz eine breite Debatte über Sinn, Zweck und Dringleichkeit von mehr Artenschutz ausgelöst und wird der Gesetzgeber gezwungen, diese Materie strenger zu regeln. In Südtirol ist die Landtagsmehrheit dagegen damit befasst, die laufende Initiative der Allianz für mehr Demokratie für eine bessere Anwendung der direkten Demokratie abzuwehren. Damit soll u. a. die Online-Unterschrift bei Referendumsanträgen ermöglicht werden, wie sie bereits auf gesamtstaatlicher Ebene gilt. Tatsächlich sind die meisten Unterschriften für das angestrebte Verfassungsreferendum zur differenzierten Autonomie bisher auf dieser Plattform gesammelt worden. Hier der Link zur staatlichen Plattform für die Referendumsunterschriften. Die Eidgenossen habe solche Kämpfe schon vor 150 Jahren ausgetragen und im Sinne der Bürger entschieden.
Glückliche Schweiz!
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