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Balearen: Tourismus und Minorisierung.
Kulturelle Nachhaltigkeit

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ai

Auch auf den Balearen kommt es derzeit — wie zum Beispiel auf den Kanarischen Inseln oder in Katalonien — immer wieder zu Kundgebungen gegen die touristische Ausbeutung. Von den internationalen Medien weitgehend ausgeblendet, geht es dabei auch um den Minderheitenschutz und den Fortbestand der katalanischen Sprache, die durch den Übertourismus unter Druck gerät.

Die einflussreiche kulturelle NRO Obra Cultural Balear hatte im Juni ein Manifest veröffentlicht, mit dem die Einbeziehung von Vertreterinnen des sprachlich-kulturellen Sektors in die Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen auf den Balearen gefordert wird:

Manifest von Obra Cultural Balear über die sprachliche und kulturelle Nachhaltigkeit

Ohne sprachlich-kulturelle Nachhaltigkeit gibt es gar keine Nachhaltigkeit

Die sprachliche und kulturelle Nachhaltigkeit besteht in der Erhaltung und Pflege der Vielfalt von Sprachen und Kulturen im globalen Kontext, indem sichergestellt wird, dass jede Sprache und Kultur ihre gesellschaftliche Funktion im eigenen historischen Verbreitungsgebiet vollständig ausüben kann. Die Nutzung von weiter verbreiteten Sprachen oder der Zugang zu globalisierten kulturellen Ausdrucksformen dürfen den Fortbestand lokaler Sprachen und Kulturen nicht kompromittieren. Ohne sprachliche und kulturelle Nachhaltigkeit gibt es für die Menschen bzw. für die Sprach- und Kulturgemeinschaften weder Gleichheit noch Freiheit. Also gibt es ohne sprachlich-kulturelle Nachhaltigkeit [gar] keine Nachhaltigkeit.

Wenn wir von sprachlich-kultureller Nachhaltigkeit auf den Balearischen Inseln sprechen, beziehen wir uns auf die gerechte und notwendige Erhaltung sowie auf die uneingeschränkte Möglichkeit der Nutzung der katalanischen Sprache und der Kultur, die darin ihren Ausdruck findet, und zwar in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen und über sämtliche Kommunikationsregister. Dies hat in Übereinstimmung mit ihrer Eigenschaft als historische, landeseigene und offizielle Sprache und im Einklang mit dem Mandat, das den öffentlichen Institutionen aufgrund des Autonomiestatuts und des Gesetzes über die sprachliche Normalisierung auferlegt ist zu erfolgen. Es hätte keinen Sinn, an eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit zu denken, die zu einem Prozess der sprachlich-kulturellen Unterordnung, Marginalisierung und Erosion führt.

Aus diesen Gründen erklären wir:

  • Dass der »Arbeitstisch für den gesellschaftlichen und politischen Pakt zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit« der Balearischen Inseln bei seiner ersten Konstituierung der sprachlichen und kulturellen Dimension der Nachhaltigkeit keine Beachtung geschenkt hat. Sprache und Kultur fehlen nicht nur in der Bezeichnung des Arbeitstisches, sondern es gibt auch keine direkte und eigenständige Vertretung der kulturellen und sprachlichen Sektoren unter den teilnehmenden Organisationen. Daher ist zu erwarten, dass Ziele und Vorschläge zur sprachlichen und kulturellen Nachhaltigkeit in den vom Arbeitstisch hervorgehenden Maßnahmen ausgeschlossen oder eingeschränkt werden.
  • Dass dieses Versäumnis in jeder anderen Gesellschaft bereits ein Fehler wäre, auf den Balearen jedoch besonders schwerwiegende Auswirkungen haben kann, weil die landeseigene Sprache und Kultur sich in einer kritischen Lage befinden. Dies ist großteils eine Folge des unhaltbaren Wachstumsmodells unserer Wirtschaft, die völlig dem Massentourismus untergeordnet wurde, mit dem zunehmenden Einfluss, den dies in den letzten Jahrzehnten gemeinsam mit dem großen Anstieg einer heterogenen Bevölkerung auf alle Lebensformen unserer Gesellschaft hatte.
  • Dass sich die Notwendigkeit, die sprachliche und kulturelle Dimension in jedes Nachhaltigkeitsprojekt einzubeziehen, in den fundierten Ansätzen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 gezeigt hat. In unserem unmittelbaren Kontext hat der »Wirtschafts- und Sozialrat der Balearen« in seinem Gutachten Nr. 5/2020 über die wirtschaftliche, soziale und ökologische Perspektive der Gesellschaften der Balearen bis 2030 (2021) von Anfang an als Teil der Ziele zum sozialen Zusammenhalt die Notwendigkeit betont, »unser kulturelles und sprachliches Erbe in der sich entwickelnden plurikulturellen Gesellschaft besser zu schützen« (S. 14) und »das [kulturelle] Erbe und die Kultur als Alleinstellungsmerkmal« zu verstehen (S. 15).
  • Dass es daher offensichtlich ist, dass die Forderung nach Teilnahme der kulturellen und sprachlichen Sektoren am Arbeitstisch für Nachhaltigkeit kein außergewöhnliches Anliegen ist, sondern ganz im Gegenteil: Was außergewöhnlich und unentschuldbar ist, ist, dass sie nicht vertreten sind, sowohl wegen der engen Beziehung zwischen Nachhaltigkeit, interkulturellem sozialem Zusammenhalt und sprachlicher Normalisierung, als auch wegen der gegenseitigen Implikationen zwischen Tourismus und kultureller Realität.

Wir fordern daher, dass die Regierung [der Balearen] diese Argumente berücksichtigt, eine qualifizierte Vertretung der kulturellen und sprachlichen Sektoren an den Arbeitstisch für Nachhaltigkeit beruft und vor allem die sprachliche und kulturelle Nachhaltigkeit in die Nachhaltigkeitsziele aufnimmt und die notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Integrität und den Fortbestand der landeseigenen Sprache und Kultur unserer Inseln zu gewährleisten, die derzeit im Rückgang und in einem offensichtlichen Zustand fortschreitender Marginalisierung sind.

Übersetzung und Hervorhebungen von mir

Das Manifest hat die Zustimmung zahlreicher Organisationen wie PEN Club, Vereinigung der Schriftsteller in katalanischer Sprache, Plattform der Kultur- und Kreativindustrie der Balearen, Verleger der Balearischen Inseln oder Verein der Dramaturginnen und Dramaturgen der Balearen erhalten. Darüber hinaus wird es von zahlreichen Persönlichkeiten des Kulturbetriebs unterstützt.

Auf der Grundlage und im Geiste dieses Manifests haben sich zahlreiche NROs des sprachlich-kulturellen Sektors an den Kundgebungen gegen den Massentourismus beteiligt.

Auch in Südtirol hat der Tourismus längst negative Auswirkungen auf die Minderheitensprachen Deutsch und — insbesondere — Ladinisch. Viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens orientieren sich inzwischen hauptsächlich an den Bedürfnissen der Branche. Verkauft wird alles (01 02), selbst Fakten, die Topographie und unsere Kulturgüter stehen zur Disposition. Angesichts der immer weiteren Expansion und der schlechten Arbeitsbedingungen spitzt sich der Personalmangel zu, sodass immer stärker auf Arbeitende zurückgegriffen wird, die die Landessprachen nicht beherrschen und auch sonst nicht im mindesten mit den Verhältnissen vor Ort vertraut sind (vgl. 01). Steigende Immobilienpreise und Lebenshaltungskosten zwingen viele Menschen zur Abwanderung (vgl. 01). Im angrenzenden Anpezo, wo dieser Prozess im Schnelldurchlauf stattgefunden hat, sehen wir, wohin dies am Ende alles führen kann. Dort haben unter anderem die Olympischen Winterspiele von 1956 als Katalysator gedient. Massentourismus und Großveranstaltungen zeitigen aber längst auch in Südtirol ähnliche Folgen.

Deshalb wäre es wohl auch hierzulande dringend notwendig, die sprachlich-kulturelle neben der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit stärker zu berücksichtigen und einzufordern.

Cëla enghe: 01 02 03 | 04 05 06 07 08 | 09 10 || 01



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