Warum nutzte LH Kompatscher den Besuch des UN-Sonderberichterstatters nicht für einen Paukenschlag?
Die UNO hat plötzlich Südtirol entdeckt. Angesichts der weltweiten Katastrophen ist Südtirol tatsächlich ein gelungenes Beispiel erfolgreicher UNO-Vermittlung. Zwar schon lange her, aber immerhin.
Vor zwei Jahren — zum 50. Geburtstag des Zweiten Autonomiestatuts — lobte der damalige UN-Sonderberichterstatter für Minderheiten, Fernand De Varennes, die Südtirol-Autonomie über den grünen Klee. Eine friedliche Konfliktlösung, beglückwünschten sich damals auch österreichische und italienische Würdenträger in Bozen.
Vor einigen Tagen schaute De-Varennes-Nachfolger Nicolas Levrat bei Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) in Bozen vorbei. Beide würdigten die Autonomie als Modell, heißt es in der Mitteilung des Landespresseamtes. Schönrednerei, kommentierte hingegen Simon in seinem Artikel Nicolas Levrat im makellosen Südtirol. Eine verpasste Chance, fand er.
Für fragte ich bei LH Kompatscher um ein Interview an, der aber dankend ablehnte. Schade, das hätte ein spannender Disput werden können. Es hätte eine ganze Reihe Fragen an den LH gestellt werden können. Doch der Reihe nach.
Südtirol vor der UNO
Was hat die UNO mit Südtirol zu tun? Trotz des österreichisch-italienischen Pariser Vertrages von 1946 und der dazugehörenden Autonomievorgabe scherte sich das antifaschistische demokratische Nachkriegsitalien wenig um die eingegangenen Verpflichtungen. Das 1948 genehmigte Erste Autonomiestatut — einseitig erlassen — gewährte zwar Autonomie, aber schwerpunktmäßig der vom Trentino beherrschten Region Trentino-Tiroler Etschland.
Die Trentiner Christdemokraten blockierten außerdem erfolgreich die Übertragung der vorgesehenen, wenn auch wenigen, autonomen Befugnisse von der Region auf die Provinz Bozen. Das ständige Bremsen führte zum Konflikt zwischen der DC und der SVP, aus Protest trat Hans Dietl als Regionalassessor zurück. Um es drastisch zu formulieren: Die doch recht chauvinistische DC spielte ungeniert ihre Macht aus, ließ die SVP ihre Ohnmacht spüren.
Dieses christdemokratische Katz-und-Maus-Spiel, der großzügige Wohnbau für italienische Zuzügler, Jobs nur für italienische Arbeitnehmer, führte letztendlich zu den ersten Anschlägen des Befreiungsausschuss Südtirol (BAS), laut der deutschen Tageszeitung Die Welt eine nationalistisch-terroristische Untergrundorganisation. Das Südtirolproblem wurde zum Südtirolkonflikt. Tausende Angehörige der »Sicherheitskräfte« wurden in Südtirol stationiert.
Der damalige Außenminister der Republik Österreich, der Sozialdemokrat Bruno Kreisky, reagierte »beherzt« und brachte 1960 das Thema Südtirol vor die UNO-Vollversammlung. Mit den Stimmen der von ihren europäischen Kolonialmächten unabhängig gewordenen afrikanischen und blockfreien Staaten forderte die UNO Italien auf, den Pariser Vertrag umzusetzen.
Südtirol-Paket, Zweites Autonomiestatut, Vorbild?
Der Rest der Geschichte ist bekannt. 1969 verabschiedete die SVP bei einer Kampfabstimmung das Südtirol-Paket, 1972 genehmigte das italienische Parlament das Zweite Autonomiestatut für Südtirol, mit den ausschlaggebenden Stimmen der Kommunistischen Partei (KPI). 1992 erklärte Österreich der UNO, den Streit mit Italien beigelegt zu haben. Der Pariser Vertrag ist erfüllt.
Seitdem gilt die Südtirol-Autonomie als Blaupause, als weltweites Modell. So weit, so gut.
Im Vergleich zum großen Rest der Welt — dort überwiegen »ethnische Säuberungen« — stimmt das ja auch. Obwohl die Autonomie der schwedischen Åland-Inseln in Finnland weitaus robuster ist, auch jene der Färörer, Teil Dänemarks. Das gilt auch für die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien, kurz Ostbelgien und auch das autonome Baskenland verfügt über eine weitreichende und tiefgehende Selbstverwaltung.
Gerupfte Autonomie
Südtirols Selbstverwaltung ist in den vergangenen Jahrzehnten eingeschränkt worden. Sogar drastisch, analysierten die beiden Rechtswissenschaftler Esther Happacher und Walter Obwexer. Im Auftrag der Landesregierung von Luis Durnwalder (SVP) untersuchten sie die Auswirkungen der Verfassungsreform von 2001 auf die Autonomie und die entsprechenden Urteile des Verfassungsgerichts. Ihr Fazit: Der Staat hat einseitig Autonomierechte kassiert.
Aufgrund der erwähnten Studie sprach sich der Landtag für die restlose Wiederherstellung der beschädigten Autonomie aus. Wegen der geklauten Autonomie holte Landeshauptmann Kompatscher die rechtsrechten Fratelli d’Italia in seine Landesregierung. Nachdem Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (FdI) in ihrer Antrittsrede im Parlament die Sanierung der Autonomie ankündigt hatte.
Der langjährige SVP-Parlamentarier und Kompatscher-Berater Karl Zeller sprach von der Notwendigkeit eines Pakts mit dem Teufel. Anders formuliert: es sieht nicht gut aus mit der Autonomie. Bereits im Juni hätten die Vorarbeiten zur Autonomiesanierung abgeschlossen werden sollen, sind sie aber nicht. Wie es scheint, wird sich Kompatscher schwer tun mit seinem großen Wurf. Oder ist diese Sanierung nur ein leeres Versprechen?
Vertane Chance?
Trotzdem war die rutschende Autonomie kein Thema beim Treffen zwischen dem Landeshauptmann und dem UN-Sonderberichterstatter Levrat. Zumindest laut Pressemitteilung des Landespresseamtes nicht. Warum eigentlich nicht? Ist es eine bemitleidenswerte Ahnungslosigkeit, auf die UNO zu hoffen?
hätte diese Frage gern an den Landeshauptmann gestellt. Darf der LH solche Kritik an der italienischen Südtirolpolitik gegenüber dem UN-Sonderberichterstatter nicht formulieren, weil Politik nach bestimmten Regeln funktioniert? Warum sollte der Landeshauptmann, Regeln hin, Politik her, mit einem UNO-Fachmann nicht Tacheles reden können? Es mag schon sein, dass Südtirol — wie bereits angetippt — im Vergleich mit den meisten sprachlichen und nationalen Minderheiten nicht schlecht dasteht. Warum aber klagte der Landeshauptmann den Abbau der Autonomie an, warum forderte der Landtag die Wiederherstellung der Autonomie, wie sie 1992 bestand? Damals erklärte Österreich als »Schutzmacht« den Streit mit Italien vor der UNO für beendet. Italien räumte aber seitdem die Autonomie ab. Trotzdem kein Wort darüber?
Damit überlässt Arno Kompatscher dem »patriotischen Lager« zwischen Sven Knoll (STF) und Jürgen Wirth-Anderlan (JWA) das autonomiepolitische Feld. Levrat wäre der richtige Ansprechpartner in dieser Frage, immerhin UN-Sonderberichterstatter und Befürworter der Selbstbestimmung, weil Basis einer demokratischen Gesellschaft.
Oder stimmt der Landeshauptmann klammheimlich dem Rechtswissenschaftler Peter Hilpold zu, dass es um die Autonomie gar nicht so schlimm bestellt ist?
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