Südtirol hat ein italienisches Kulturressort, ein italienisches Kulturzentrum und einen italienischen Kulturbeirat, was zwar aufgrund der Trennung der Institutionen nach Sprachgruppen verständlich, aber eigentlich absurd ist. Katalonien, Baskenland und Galicien fördern nicht die spanische, Cymru/Wales und Québec nicht die englische, Åland nicht die finnische und Ostbelgien nicht die flämische oder die französische Kultur — sondern nach dem Prinzip der Affirmative action jeweils in erster Linie die der jeweiligen Minderheit.
Seit wenigen Monaten ist mit Marco Galateo ein Vertreter der neofaschistischen Fratelli d’Italia Landesrat für italienische Kultur in Südtirol. Im April hat er unter anderem die Dirigentin Beatrice Venezi in den italienischen Kulturbeirat des Landes berufen. Seitdem hat die sich in mehreren Zeitungsinterviews dafür ausgesprochen, das musikalische Angebot in Südtirol und insbesondere das Repertoire des Haydn-Orchesters zu italianisieren. Sie habe zwar nichts gegen dessen mitteleuropäische Ausrichtung, will sie aber offenbar trotzdem italienischer gestalten.
Dabei ist das Haydn-Orchester ein Gemeinschaftsprojekt von Bozen und Trient, Südtirol und Trentino. Das ist ein Gebiet, in dem mehrheitlich Italienisch gesprochen wird und wo von einer »deutschen« Hegemonie nicht die Rede sein kann.
Meine künstlerische Vergangenheit verbindet mich mit dem Haydn-Orchester, das zweifellos ein Juwel der Region darstellt, mit dem man meiner Meinung nach über Kultur sprechen kann und muss, speziell über italienische Kultur. Ich habe viel mit ihnen gearbeitet und habe heraussragende Profis vorgefunden. Orchesterprofessoren, die nicht nur künstlerisch fähig sind, sondern auch auf ihre Identität und auf den Stolz, einer so wichtigen Institution wie dem Haydn-Orchester anzugehören, achten und mit denen man an der Verbreitung der italienischen Kultur arbeiten kann.
– Beatrice Venezi, Corriere dell’A.A. (18. Juni 2024)
Gerade weil ich die Möglichkeit hatte, es mit meinen Augen zu sehen, ist meine Schlussfolgerung, nachdem ich in Südtirol gearbeitet habe, dass die Kultur der gehobenen italienischen Musik — auch wenn es mir nicht gefällt, sie so zu nennen — bislang wenig verfolgt wurde. Dem mitteleuropäischen Symphonismus und der experimentellen zeitgenössischen Oper wurde mehr Platz eingeräumt. Ich bin nicht gegen diese Angebote, doch man könnte daran arbeiten, das große Repertroire der unterschiedlichen Verdi, Puccini und Donizetti wiederzuentdecken. Aber immer mit einem ausmerksamen und offenen Blick für die Gegenwart, jedoch auf der Suche nach einer rein italienischen Kunstsprache.
– Beatrice Venezi, Corriere dell’A.A. (18. Juni 2024)
Übersetzung von mir (Original anzeigen)
Ho un passato artistico con l’orchestra Haydn che è sicuramente un’eccellenza del territorio con cui si può e si deve parlare di cultura, secondo me, e in modo specifico di cultura italiana. Ho lavorato molto con loro e ho trovato dei professionisti straordinari. Dei professori d’orchestra non solo capaci artisticamente, ma attenti alla loro identità e all’orgoglio di appartenere ad un ente importante come la Haydn e con i quali si può lavorare nella divulgazione della cultura italiana. […] Proprio perché ho avuto modo di testarlo con i miei occhi, l’analisi che ho fatto, dopo aver lavorato in Alto Adige, è che fino a questo momento la cultura della musica italiana colta, anche se non mi piace definirla così, è stata poco frequentata. Si è dato maggior spazio al sinfonismo mitteleuropeo e all’opera sperimentale contemporanea. Non sono contraria a queste proposte, ma si potrebbe fare un lavoro per il recupero del grande repertorio dei vari Verdi, Rossini, Puccini e Donizzetti. Sempre però con un occhio attento ed aperto alla contemporaneità, ricercando però un linguaggio artistico prettamente italiano.
– Beatrice Venezi
Venezis Absichten als kulturimperialistisch zu bezeichnen, dürfte angesichts dieser klaren Aussagen und ihrer politischen Gesinnung nicht allzu weit hergeholt sein. Ihr Vater, von dem sie sich nie distanziert hat, war führendes Mitglied der neonazistischen Forza Nuova, für die er im Jahr 2007 auch zum Gemeinderat in ihrer toskanischen Heimatstadt Lucca kandidierte. Sie selbst ließ sich im Jahr 2021 beim Parteifest der neofaschistischen Fratelli d’Italia mit dem Atreju-Preis auszeichnen und wurde später von Giorgia Melonis FdI-Kulturminister, Gennaro Sangiuliano (ehemals MSI), mit dem sie persönlich befreundet ist, als Musikberaterin beauftragt. Wie die italienische Ministerpräsidentin verabscheut sich nicht nur das Gendern, sondern sogar weibliche bezeichnungen, weshalb sie ausschließlich in der männlichen Form (Direktor, Dirigent, Meister) angesprochen werden will.
Zum 100. Todesjahr von Giacomo Puccini, dessen Werk sie ja auch vom Haydn-Orchester »wiederentdecken« lassen möchte, dirigierte sie bei einem Konzert in Lucca — obschon sie von den Organisatoren ausdrücklich dazu aufgefordert worden war, es zu unterlassen — herausfordernd dessen nationalistische Hymne auf Rom, die nicht nur vom faschistischen Regime vereinnahmt worden, sondern später auch zur Parteihymne des MSI aufgestiegen war.
Indem die SVP die Recht(sextremist)en in die Landesregierung geholt hat, hat sie dazu beigetragen, Südtirol auch solchen Persönlichkeiten auszuliefern, die ihre Spuren zu hinterlassen wissen werden. Rote Linien, die es — wie wir inzwischen wissen — ohnehin nur als Farce zu geben scheint, wären nicht nur gegenüber den Koalitionspartnern selbst, sondern auch gegenüber einer fast unüberschaubaren Entourage zu überwachen, was faktisch unmöglich ist.
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