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Rechter Mainstream.
Auch Minderheiten nicht immun

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Die Europawahlen sind für die bisher regierende »Parteienfamilie« mehr oder weniger glimpflich ausgegangen. Schrammen gibt es jede Menge, auch die entsprechende »Stimmung«, das Votum für die Rechtsrechten kann nicht kleingeredet werden.

Die Rechtsradikalen legten auch dort zu, wo sprachliche und nationale Minderheiten zuhause sind. Angehörige von Minderheiten Rechtswähler? Ja und auch noch deutlich viele. Das ist mehr als überraschend. Rechte stehen nicht für Minderheitenschutz, nicht für Autonomie und schon gar nicht für Diversität. Rechte stehen für Zentralismus, Monokultur und Monolinguismus.

Katalonien und Elsass stimmen für RN

Beispiel Frankreich, extrem zentralistisch, nicht minderheitenfreundlich, egal ob links oder rechts. Bei der ersten Runde zur Neuwahl des französischen Parlaments setzte sich der Trend der Europawahlen durch. Ein Detail als Beleg: In den vier Departements, die den französischen Teil Kataloniens bilden, setzte sich das rechtsradikale Rassemblement National (RN) durch. In einem Departement holte sich das RN bereits im ersten Durchgang das Parlamentsmandat. Abgeschlagen dahinter die Linke und die Liberalen.

Eine Hochburg des RN ist auch das alemannischsprachige Elsass. In elf der 15 elsässischen Wahlbezirke gewannen die RN-Kandidaten. In manchen der Wahlkreise liegt das RN über der 40-Prozent-Marke. In Straßburg und in Mühlhausen setzte sich die linke Volksfront deutlich durch.

Im benachbarten Lothringen festigte das RN ein weiteres Mal seine Führungsrolle. Schon bei den Europawahlen wurde das RN in Lothringen mit Abstand fast schon zu einer kraftstrotzenden Volkspartei — und jetzt wieder.

In der imaginären okzitanischen Region, Südfrankreich, rangiert weit an der Spitze das RN, nur in Montpellier, in Toulouse und in den Wahlkreisen von Ariege stimmten die Wählenden mehrheitlich links. Bad times for good guys.

Durchwachsenes Korsika

Die »Rebellen-Insel« Korsika, wo seit Jahren bei den Regionalwahlen die Regionalisten dominieren, zählt bei den Parlamentswahlen hingegen zur großen Fangemeinde des RN. Bei den letzten Präsidentenwahlen stimmten die korsischen Wählenden mehrheitlich für Marine Le Pen, bei den Europawahlen setzte sich dieser Trend vehement fort.

Das RN ist inselweit mit 34 Prozent der Stimmen stärkste Kraft, deutlich vor den Linken und den Liberalen. Im nördlichsten Stimmbezirk behaupteten sich die Regionalisten vor dem RN, im zweiten Bezirk die Konservativen vor den Regionalisten und dem RN, im dritten Departement das RN vor den Liberalen und den Regionalisten und im südlichen Bezirk das RN vor den Regionalisten und den Sozialisten. Ein durchwachsenes Ergebnis. Was wird nun aus dem Autonomieversprechen von Präsident Macron? Die starke korsische Wahl für das RN ist eine Absage an die Autonomie. Das RN lehnt regionale Autonomien strikt ab.

Es ist überraschend, dass Marine Le Pen und ihr RN in den Minderheitenregionen — die in Frankreich als solche nicht anerkannt sind — zur dominierenden Kraft wurden. Le Pen appellierte an die Wählenden, dem RN die absolute Mehrheit zu sichern, um »Einheit und nationale Harmonie wiederherzustellen«

Zwei Regionen verfielen nicht dem »nationalen Rausch«, dort scheint die politische Assimilierung die Gesellschaft nicht vollständig durchdrungen zu haben: Baskenland und Bretagne. Das »französische« Baskenland, Iparralde, wählte mehrheitlich die Volksfront, deutlich vor dem RN, berichtet das baskische Fernsehen.

Auch die Bretagne lässt hoffen. Die vier bretonischen Departements stimmten gegen den staatsweiten Trend, in drei Departements setzten sich die liberalen Zentristen und die Linke deutlich vor dem RN durch, in einem Departement siegten die Linken deutlich vor den Liberalen, abgehängt das RN. Überraschend, Bretagne-weit lag das Rassemblement National bei den Europawahlen erstmals vorn. Die bretonische Herkunft der Le Pens befeuerte aber bei der Parlamentswahl offensichtlich nicht die RN-Sympathie.

Warum wählen Angehörige sprachlicher und nationaler Minderheiten den rechtsradikalen RN, stimmen für den französischen Nationalismus?

 Autonomie ade?

Diese Frage stellt sich auch für Italien. In den autonomen Regionen Aosta, Sardinien und Friaul-Julisch Venetien wurden die rechtsrechten Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erste Partei. In der Region Aoste gingen die Autonomisten unter, schrumpften unter zehn Prozent. Ihre bisherige Rolle als relative Mehrheitspartei übernahmen die Fratelli d’Italia. Ein Votum gegen die regionale Autonomie? Offensichtlich. Die Fratelli sind beinharte Zentralisten, wie ihre politischen Vorfahren, die fasci.

Gleiches gilt für die Region Sardinien: Mit vier Prozentpunkten Vorsprung setzten sich die Fratelli gegen den sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) durch. Den glorreichen Partito Sardo d’Azione des antifaschistischen sardischen Widerstandskämpfers Emilio Lussu gibt es nicht mehr. Die Reste dieser Partei sind im gesamtstaatlichen rechten Parteienspektrum auf- oder besser untergegangen.

In den Provinzen Pordenone, Udine und Triest der multiethnischen Region Friaul-Julisch Venetien — furlanisch, slowenisch, deutsch und italienisch — sind die Fratelli die erste Partei, zwischen 27 und 41 Prozent. Eine Ausnahme macht die Provinz Goriza/Gorica mit ihrer slowenischen Minderheit, hier setzte sich der PD knapp vor den Fratelli durch.

Südtiroler:innen wählen Fratelli

Simon hat auf die Südtiroler EU-Wahlergebnisse detailliert aufgelistet: Beruhigend, dass die SVP sich wieder fangen komnte, trotz ihrer widerlichen Listenverbindung mit Forza Italia und ihrer abscheulichen Koalition mit den Fratelli in der Landesregierung. Beruhigend auch, dass es der Grünen Brigitte Foppa gelungen ist, sich ordentlich zu positionieren. Weniger erfreulich hingegen ist der dritte Platz für die Fratelli. Laut den Berechnungen von Simon verzeichnen aber die italienischen Rechten in Südtirol, Forza Italia, Lega und Fratelli insgesamt einen Rückgang.

Fakt ist aber auch, das tat Alessandro Urzì von den Fratelli fast triumphalistisch kund, dass auch deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler:innen die Postfaschisten wählten. Proteststimmen? Politische Verwirrung, politische Umnachtung, nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber?

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Ein ähnliches Ergebnis wie die Südtiroler Volkspartei fuhr die christsoziale CSP im deutschsprachigen Ostbelgien ein. Die CSP warb für eine starke EU und gegen Rechtspopulisten. Bei den gleichzeitigen Parlamentswahlen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) setzten sich die SVP-Partner von der ProDG in Ostbelgien durch. Beide Parteien, die ProDG und die CSP, sind moderate Zentrumskräfte.

Der dänischstämmige Grüne Rasmus Andresen wurde im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein wieder in das Europaparlament gewählt, die dänisch-friesische Minderheitenpartei SSW verzichtete auf eine Kandidatur. Das diverse Schleswig-Holstein mit seinen dänischen, friesischen und Sinti-Volksgruppen bleibt liberal mit einer großen CDU, dahinter folgen die SPD und die Grünen. Erst dann folgt die rechtsradikale AfD.

Brandenburg und Sachsen wie Kärnten

Die sorbische Volksgruppe in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Brandburg ist von einem AfD-Meer umgeben. In den sächsischen Landkreisen Bautzen und Görlitz — die sorbische Region — hält die AfD 40 Prozent der Stimmen, in der brandenburgischen Lausitz rangiert die AfD bei 35 Prozent. Ob auch Angehörige der sorbischen Minderheit AfD wählen? Die AfD, hier auf Voices nachzulesen, wird von engagierten Sorb:innen als Gefahr empfunden, beispielsweise von der Domowina.

Im österreichischen Bundesland Kärnten regiert in Klagenfurt/Celovec die Sozialdemokratie. Seit Jahren stärkste Partei. Läuteten die Europawahlen einen neuen Trend ein? Die rechtsrechten Freiheitlichen des selbsternannten »Volkskanzlers« Herbert Kickl lösten die SPÖ ab. Auch in den slowenischsprachigen Regionen Südkärntens punkteten die Freiheitlichen.

Im Burgenland, das östlichste österreichische Bundesland, Heimat der kroatischen, ungarischen und Roma-Minderheiten, bleiben die Sozialdemokraten und die Volkspartei ÖVP knapp vor den Freiheitlichen. Auch in den mehrsprachigen Gemeinden.

In Polen und in der Slowakei meldete sich die liberale Mitte vehement zurück. Die Vereine der deutschen Minderheit in Polen, von Oberschlesien bis ins ehemalige ostpreußische Masuren, stehen der Zentrumspartei von Donald Tusk nahe. In Ungarn verlor der Putin-Verbündete Viktor Orbán viele Wählende an einen Fidesz-Dissidenten. Die verschiedenen sprachlichen und nationalen Minderheiten in Ungarn sind politisch auf Orbán-Linie, meist assimiliert und staatstreu.

In Rumänien setzte sich in den ungarischsprachigen Regionen Siebenbürgens, im Szekler-Land, die christdemokratische Demokratische Union der Ungarn in Rumänien durch. Die amtierenden Mandatare Lorant Vincze und Gyula Winkler wurden bestätigt. Trotz oder gerade wegen ihrer Nähe zu Orbán?

Im nördlichen Europa – in Dänemark, Schweden und Finnland — sackten die Rechten ab, die Linke setzte sich durch. Ein gegenläufiger Trend.

In den autonomen Regionen Katalonien und Baskenland in Spanien rutschten die Separatisten im Vergleich zu den Regionalwahlen vor einigen Wochen ab. Zugunsten der Sozialisten. Aber auch die spanische Rechte — PP und Vox — legte überschaubar zu. Im Baskenland setzten sich in den Städten die Sozialisten durch, die spanische Volkspartei PP wurde in Iruñea/Pamplona (Navarra/Nafarroa) stärkste Kraft, die beiden baskischen Parteien EAJ/PNV und EH Bildu verloren landesweit an Zustimmung. Im restlichen Spanien bleibt die nationalkonservative spanische Volkspartei PP dominante Partei, im Schlepptau die extrem nationalistische Vox.


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Comentârs

2 responses to “Rechter Mainstream.
Auch Minderheiten nicht immun

  1. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Eine klare und leider nicht beruhigende Analyse. Am schlimmsten berührt uns natürlich, dass auch Südtiroler die Faschisten gewählt haben. Da hat wohl der Bauernbund eine große Schuld auf sich geladen.

  2. Simon avatar

    Ich wäre mir da nicht so sicher, dass es die Minderheiten selbst waren, die sich ihre Schlächter gewählt haben. In manchen der beschriebenen Regionen machen sie nur (noch) einen kleinen Bevölkerungsanteil aus — da bedeutet auch ein hoher Prozentsatz für die Rechtsextremen nicht automatisch, dass sie von der Minderheit gewählt wurden.

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