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Lidl in Südtirol, Schottland, Wales und Katalonien.
Nationalismus und Minderheitenschutz

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ai

Der nach Anzahl seiner Filialen weltgrößte Discounter setzt in seinem Marketing in manchen — aber bei weitem nicht allen — Ländern auf plumpen Nationalismus. In Italien (einschließlich Südtirol) ist das Firmenlogo etwa an ein überdimensionales grünweißrotes Wappen mit einsprachigem Slogan gekoppelt, wie auf folgendem Foto zu sehen ist:

Lidl Vahrn

Auch im Vereinigten Königreich setzt Lidl auf Nationalgefühle. Doch während in England (🏴󠁧󠁢󠁥󠁮󠁧󠁿) der für das gesamte Staatsgebiet stehende Union Jack (🇬🇧) zum Einsatz kommt, ist das in Schottland, Nordirland und Wales anders.

Alba/Schottland

Diese Fotos zum Beispiel habe ich 2023 in einer Lidl-Filiale in Glaschu/Glasgow gemacht:

Bilder zum Vergrößern anklicken

Hier ist es die als Saltire bekannte schottische Flagge mit dem Andreaskreuz (🏴󠁧󠁢󠁳󠁣󠁴󠁿), die von Lidl fürs Marketing genutzt wird. Anders als in Italien geht der Discounter im Vereinigten Königreich auf die jeweilige regionale Sensibilität ein und berücksichtigt sie. Dies hat nicht nur den Vorteil, dass der banale Nationalismus nicht seine unterschwellige assimilierende Wirkung entfaltet, sondern auch, dass bewusst regionale statt »nationaler« Produkte hervorgehoben (und somit auch gefördert) werden:

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Das geht so weit, dass auch die Produkte der Eigenmarken mit den jeweiligen Flaggen gekennzeichnet sind. Ein Ausschnitt aus der Website von Lidl UK verdeutlicht diesen regionalisierenden Effekt:

Ausschnitt der Website lidl.co.uk (vom 25. Juni 2024); Hervorhebungen (rote Pfeile) von mir

Exkurs Autonomie (hier ausklappen)

Allein in dem einen Markt in Glaschu waren mehrere Hinweise auf autonome schottische Befugnisse zu sehen, die Südtirol nicht hat: Die Lizensierung von Alkohol und die Polizei.

Cymru/Wales

Aus Südtiroler Sicht noch interessanter wird aufgrund der Mehrsprachigkeit der Vergleich mit Cymru. Auch dort setzt Lidl auf den örtlichen Nationalismus (🏴󠁧󠁢󠁷󠁬󠁳󠁿) bzw. auf walisischen Regionalismus, wie diese Fotos einer Filiale in Bangor zeigen, die ich ebenfalls 2023 gemacht habe:

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Doch hier bewirkt dies nicht nur eine Regionalisierung des Angebots, sondern geht auch mit einem Bewusstsein für die Landessprache einher:

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Beschilderung und Beschriftungen der Filiale sind bis ins kleinste Detail fast durchwegs zweisprachig. Dabei ist die walisische Sprache mindestens gleich prominent, in mehreren Fällen sogar erstgereiht und grafisch hervorgehoben. Das Diolch (Danke) im Kassenbereich ist im Vergleich zum englischen Thank you sogar übergroß.

Die Produktauszeichnungen mit den Preisen sind hingegen weitgehend einsprachig englisch.

Südtirol

Der Vergleich mit Südtirol, wo in Bezug auf den Minderheitenschutz angeblich alles glänzt und leuchtet, ist leider beschämend. Wie die Gesetzeslage in Cymru aussieht, wäre unter die Lupe zu nehmen; doch in Südtirol gibt es im Privatsektor so gut wie keine Vorschriften zum Schutz der deutschen und der ladinischen Sprache. Und das merkt man. Bei Lidl in Vahrn (alle Fotos von dieser Woche) ist sehr vieles einsprachig italienisch, einschließlich sicherheitsrelevanter Beschilderung:

Bilder zum Vergrößern anklicken; Unkenntlichmachung von mir

Da wo Deutsch nicht ganz fehlt, ist es konsequent zweitgereiht und in vielen Fällen auch grafisch untergeordnet (z. B. deutlich kleiner1s. Foto ganz am Anfang dieses Beitrags).

Lidl Vahrn

Während in Schottland und Cymru jeweils regionale Erzeugnisse hervorgehoben werden (was auch zu einem regionaleren Sortiment führen dürfte), wird hierzulande — einsprachig — auf »100% italienische« Lebensmittel verwiesen.

Katalonien

Im Unterschied zu Italien und Vereinigtem Königreich setzt Lidl in Deutschland oder in Spanien (einschließlich Katalonien) im Marketing nicht auf Nationalismus. Vermutlich erhofft man sich dort davon keinen Erfolg — und das ist mir persönlich die liebste Variante.

Aus sprachlicher Sicht ist die Lage in Katalonien — wo es eine starke Gesetzgebung zum Schutz der Landessprache im Konsumentenschutz gibt — noch einmal besser als in Cymru. Viele Informationen sind dort (im Sinne der Affirmative action2positive Diskriminierung des Schwächeren) nur in der Minderheitensprache Katalanisch verfügbar, einschließlich der Öffnungszeiten oder der aktuellen Aktionsflyer. Die Fotos habe ich 2022 im Markt von Roses gemacht:

Bilder zum Vergrößern anklicken; alles zumindest auf Katalanisch

Insbesondere die Produktauszeichnungen mit den Preisen sind hingegen zweisprachig Katalanisch und Kastilisch. Auch hier ist aber Katalanisch systematisch erstgereiht und sogar fett hervorgehoben.

Lidl Roses (Katalonien)

Auch in Katalonien werden anders als in Südtirol Produkte aus der Region beworben.

Fazit

Das Resümee fällt für die Südtiroler Vorzeigeautonomie geradezu ernüchternd aus. Während es die Minderheitensprachen in Cymru und — noch einmal besser — in Katalonien respektiert, schert sich Lidl in Südtirol um die deutsche Sprache kaum. Und dies obschon sich das Unternehmen dazu noch nicht einmal sprachliche Kompetenzen aneignen müsste, da sie ja im deutschen Mutterkonzern bereits vorhanden sind.

Die Marginalisierung einer Minderheitensprache hängt eben nicht (nur) von ihrer internationalen Verbreitung ab, sondern maßgeblich von der Haltung der betroffenen Akteure sowie von den gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Das plump nationalistische Marketing von Lidl hat in Südtirol zudem eine gleichmacherische, assimilierende Wirkung. Während zum Beispiel sexistisches, homophobes oder einer Religionsgemeinschaft gegenüber respektloses Marketing inzwischen zu Recht geächtet (wenngleich nicht ausgemerzt) ist, gilt Ähnliches für den Respekt nationaler Minderheiten (jedenfalls in Italien) noch immer nicht. Das »autonome« Südtirol hat dem leider wenig entgegenzusetzen.

Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08 || 01 02 03

  • 1
    s. Foto ganz am Anfang dieses Beitrags
  • 2
    positive Diskriminierung des Schwächeren


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Comentârs

5 responses to “Lidl in Südtirol, Schottland, Wales und Katalonien.
Nationalismus und Minderheitenschutz

  1. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Ich habe einmal versucht, bei Lidl in Vahrn einzukaufen. Da dort niemand Deutsch verstand oder verstehen wollte, habe ich weitere Einkaufsversuche unterlassen. Wir Konsumenten haben es in der Hand, unsere Rechte durchzusetzen. Wenn Südtiroler Kunden bei Lidl offensichtlich nicht erwünscht sind, dann geht man einfach nicht mehr dort hin. Das Unternehmen Lidl würde es wohl kaum spüren, wenn es seine paar Filialen in Südtirol schließen müsste.

    1. Simon avatar

      Ich bin immer hin- und hergerissen, ob man zu solchen Läden/Restaurants etc. nicht mehr hingehen (und ihnen so nicht noch mehr Geld bringen) oder hingehen und sie bewusst auch mit der deutschen Sprache konfrontieren sollte, damit sie wenigstens nicht den Eindruck bekommen, das sei kein Thema.

      Dass man aber mit dem Fernbleiben — mal davon abgesehen, dass das dann tatsächlich viele machen müssten und nicht nur zwei drei Hansln, denen Minderheitenschutz noch wichtig ist — wirklich irgendwas erreichen könnte, glaube ich ehrlich gesagt nicht. Diese Erzählung von der Macht der Verbraucherinnen halte ich vor allem für eine neoliberale Mär, die (im Interesse der Starken und zum Nachteil der Schwachen) Regulierung vorbeugen soll.

      Warum sollte eine kleine Minderheit ohne die Unterstützung des Gesetzgebers etwas in großem Maßstab erreichen können, wofür ja selbst starke Nationalstaaten den Eingriff der öffentlichen Hand benötigen? Italienisch ist ja vorgeschrieben, da müssen die Verbraucherinnen nicht erst Firmen boykottieren oder andere Do-it-Yourself-Maßnahmen ergreifen. Überall dort, wo Minderheitenschutz funktioniert, tut er dies dank normativer Eingriffe.

      1. Hartmuth Staffler avatar
        Hartmuth Staffler

        Die “Macht der Verbraucher” ist natürlich nur eine rein theoretische Überlegung. In der Praxis scheitert das an der Gleichgültigkeit der Verbraucher, denen ein Ersparnis von 5 Cent wichtiger ist als Grundsätzliches. Das Personal mit den Notwendigkeit der Zweisprachigkeit zu konfrontieren, bringt auch nichts. Die Frau an der Kasse, die froh ist, einen Job ergattert zu haben, obwohl sie die Landessprache nicht beherrscht, kann und will nichts ändern. Man müsste schon an höherer Stelle intervenieren, und das wäre Aufgabe der Politik.

      2. Veronica Miron avatar
        Veronica Miron

        und nicht nur zwei drei Hansln, denen Minderheitenschutz noch wichtig ist

        Da liegt eben das größte Problem. Das dominierende Narrativ ist : den Südtirolern geht es in Italien sehr gut.

  2. Kompatscher avatar
    Kompatscher

    Man bräuchte einfach nur nicht mehr dort einkaufen, aber die STiroler sind einfach zu einfältig um die Tragweite ihres Handelns zu überblicken. Es gibt den M Preis 500 m weiter, dort ist alles zweisprachig dafür sorgt schon die Finanzpolizei. Natürlich nur wenn italienisch fehlt. Aber das ist alles ein alter Hut und wird sich auch nicht ändern, solange alle einen vollen Bauch haben.

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