Ja, es kann gelingen: eine wichtige Reform zur Wiederherstellung eines Stücks Natur und von CO2-Senken, zur Entlastung des Klimas und Ökologisierung der Landwirtschaft gegen die konservative Mehrheit in der EU durchzubringen. Zünglein an der Waage war die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), die gestern im Rat der EU-Umweltminister den Ausschlag gab für ein knappes Ja zum EU-Renaturierungsgesetz — gegen den Willen ihrer Regierungsmehrheit. Das EU-Parlament hatte schon im Februar mit deutlicher Mehrheit zugestimmt, wobei auch ein Teil der EVP-Abgeordneten zustimmte. Auch die Mehrheit der österreichischen Abgeordneten (NEOS, SPÖ, Grüne und der ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas) hatte zugestimmt. Entgegen der Darstellung von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist die österreichische Wählerschaft in diesem politischen Willensakt sehr wohl widergespiegelt, nur eben nicht die von der EVP vertretene Bauernlobby. Insgesamt haben hier Christdemokraten und Rechtspopulisten eine unheilige Allianz gegen mehr Natur- und Klimaschutz geschlossen, wie das Votum im Parlament schon zeigte. Die italienische Regierung von Giorgia Meloni (FdI) hat im EU-Rat — wie Herbert Dorfmann (SVP) im EU-Parlament — gegen das Gesetz gestimmt, obwohl gerade Italien eines jener EU-Länder ist, wo am meisten Naturlandschaft versiegelt, verbaut, zersiedelt, beeinträchtigt und zerstört ist.
Die wichtigsten Punkte des Renaturierungsgesetzes
Die EU-Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2050 erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um nahezu alle geschädigten Ökosysteme auf ihrem Gebiet zu renaturieren. Alle Arten von Lebensräumen müssen einbezogen werden — gleich ob Wälder, Moore, Wiesen, Seen, Flüsse und Meere.
Es gilt ein Stufenplan: bis 2030 müssen in mindestens 30% der Ökosysteme Maßnahmen anlaufen, um sie in einen guten Zustand zu bringen; das entspricht etwa 20% der Gesamtfläche der EU. Bis 2040 müssen die Staaten in 60% und bis 2050 in 90% der geschädigten Ökosysteme geeignete Maßnahmen für Renaturierung ergriffen haben. Außerdem sollen die Renaturierungen dazu beitragen, weitere von der EU angestrebte Ziele zu erreichen: die Pflanzung von mindestens drei Milliarden zusätzlicher Bäume bis 2030 und die Schaffung frei fließender Flüsse auf einer Länge von 25.000 Kilometern oder mehr.
Die EU-Kommission hatte das Gesetz im Juni 2022 vorgelegt, um einer Vorgabe des Weltbiodiversitätsrates zu folgen, wonach es nicht mehr ausreicht, die vorhandenen Naturreste zu schützen, um den Artenverlust zu stoppen. Auch die Welt-Biodiversitätskonferenz von Montréal hatte schon 2023 im »Übereinkommen über die biologische Vielfalt« beschlossen, 30% der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen und weitere 30% der Fläche zu renaturieren. Anders als die Beschlüsse von Montréal ist ein EU-Gesetz unmittelbar bindend für die Mitgliedstaaten und muss auch nicht noch einmal von den nationalen Parlamenten beschlossen werden.
Renaturierungsgesetz wird bahnbrechend sein
Das Renaturierungsgesetz ist das weltweit erste Gesetz, das eine ganze Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, Natur nicht nur zu bewahren, sondern zusätzlich bereits zerstörte oder geschädigte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen. In der EU sind mehr als 80% der Lebensräume in einem schlechten Zustand. Unter dem Verlust an Artenvielfalt leiden nicht nur Tier und Mensch, sondern auch die Landwirtschaft. Wenn es keine bestäubenden Insekten gibt, geht auch die Agrarproduktion zurück. Die Welt der Wissenschaft hat das EU-Renaturierungsgesetz immer mehrheitlich unterstützt. Nur Politiker, die dem agrarischen Produktivitätswahn verhaftet sind, können gegen ein solches Gesetz stimmen. Argumentiert wird dann immer mit der angeblichen »Überregulierung«, doch ohne strenge und überprüfte Regeln geht wirksamer Naturschutz nicht.
Für Südtirol würde die Umsetzung wohltuende Auswirkungen haben: mehr Schutz bestehender Schutzgebiete, die Pflicht, weitere 5% der Landesfläche unter Schutz zu stellen, mehr Bemühungen zur Senkung des Einsatzes von Düngemitteln und Pestiziden in der Landwirtschaft, etwas mehr Biolandbau. Es wäre die Gelegenheit, mit zentralen Anliegen des Klimaplans 2040 ernst zu machen und die Landwirtschaft in die Pflicht zu nehmen (was im Klimaplan nicht wirklich geschieht).
Die auch von Herbert Dorfmann und der SVP gebotene Ablehnung des Renaturierungsgesetzes ist einerseits verständlich, weil Agrarlobby-Interessen dort immer Vorrang haben. Zum anderen aber auch unglaublich kurzsichtig, denn es geht um ein gesamteuropäisches Interesse, vor allem in jenen Ländern mit hochgradig beeinträchtigter Natur wie Italien. Es geht um wirksamen Schutz des Klimas und der Artenvielfalt. Nun kommt es wesentlich darauf an, dass es ÖVP-Kanzler Nehammer nicht gelingt, die EU-Zustimmung Österreichs über eine Klage beim EuGH wieder zu kippen. Wenn das gelingt, wird es darum gehen, diese bahnbrechende Neuerung auch in Ländern und Regionen mit regierungsamtlicher Ablehnung des EU-Gesetzes wie Italien und Südtirol korrekt und wirksam anzuwenden.
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