Autorinnen und Gastbeiträge →

Trikolore statt autonomia.

Autor:a

ai


Die PD-Opposition heizt im Parlament die nationalistische Stimmung an

Wer versteht Italien? Die einstigen Befürworter der Regionalautonomie, die diffuse Linke, mausern sich zu strengen Zentralisten. Ausgerechnet die rechtsrechte Regierung favorisiert angeblich die Autonomie. Verkehrte Welt.

Lega-Minister Roberto Calderoli, das verwundert nicht, arbeitet seit zwei Jahren an der »autonomia differenziata«. Laut Verfassungsreform von 2001 können interessierte Regionen die Übertragung einiger staatlicher Befugnisse beantragen. Also ganz legal. Die mit der Reform überarbeitete Verfassung sieht im Artikel 116 vor, dass die Regionen in Absprache mit der Zentralregierung eine Autonomie aushandeln können.

33 Kompetenzen, Aufgabenbereiche von der Bildung über den Denkmal- und Umweltschutz, von der Ziviljustiz über die Energie bis hin zu den internationalen Beziehungen, können vom Staat auf die Regionen übertragen oder mit dem Staat geteilt werden. Für jede Region muss die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegen, der vom Parlament mit absoluter Mehrheit genehmigt werden muss. Ein schwieriges und besonders langwieriges Unterfangen.

Einige möchten schon

Einige von der Lega verwalteten Regionen, wie Venetien, stimmten per Referendum für mehr Autonomie. Auch die Region Lombardei sprach sich in einem Volksvotum, wenn auch weniger massiv als Venetien, für eine regionale Autonomie aus. Aber auch die Toskana und die Emilia-Romagna wollten staatliche Kompetenzen übernehmen. In Verhandlungen damals mit einer Mitte-Links-Regierung in Rom.

Erst 2017 griffen einige Regionen zum Autonomie-Angebot. »Unglaublich, aber wahr: 16 Jahre lang ist es keiner Region eingefallen, den Artikel 116 zu beanspruchen«, kommentierte auf dem Nachrichtenportal Salto Gerhard Mumelter die Phantasielosigkeit der Regionalpolitiker.

Das 2017 kurz aufflackernde regionale Feuer fand nicht genug Nahrung für einen Flächenbrand. Das Feuer erlosch. Die italienische Regierung ließ die Autonomiewünsche von »rechten« Regionen wie Venetien und Lombardei, aber auch von »linken« Regionen wie Emilia-Romagna und Toskana ins Leere laufen. Mitte-Links in Rom blockierte.

Linke Pharisäer

Die Enkel der Verfassungsväter, der PD, haben sich von den Vorfahren entfernt.

Das hörte sich damals noch anders an: Italien sollte ein Regionalstaat werden und damit eine übermächtige Zentrale eindämmen. Von 1948, nach Inkrafttreten der republikanischen Verfassung, dauerte es bis ins ferne 1970, bis Italien die sogenannten Regionen mit Normalstatut erhielt. Ein Gesetz, entstanden in Absprache zwischen den damals allmächtigen Christdemokraten und der 30 Prozent starken KPI. Diese Regionen deuten aber nur den Schatten einer Autonomie an. Wenn überhaupt.

Die erklärte Föderalistenpartei Lega, die in ihrer Frühphase gar auf die norditalienische Sezession setzte, ging ausgerechnet mit den Rechten von Forza Italia und Alleanza Nazionale eine Koalition ein. Die lauthals verkündeten Regionalismusreformen blieben Ankündigungen. Sie scheiterten am süditalienischen Lobbying in den Koalitionsparteien, aber auch bei der linken Opposition.

Und jetzt soll es in der noch rechteren Regierung gelingen? Minister Calderoli darf an einem Autonomie-Entwurf herumbasteln, während seine Chefin auf eine strikte Zentralisierung setzt. Ein schwieriger Spagat, autonome Regionen, starker Zentralstaat?

Linke Nationalisten

Schon bei der ersten Lesung des Autonomie-Entwurfs liefen die Cinque Stelle und der Partito Democratico politischen Amok. Die beiden Parteien wollten sich als Patrioten profilieren, für die Republik, »una e indivisibile«. Keine interessierte Region stellt die staatliche Einheit in Frage, der PD scherte sich nicht um die eigene Verfassungsreform. Warum sich wundern, wenn Bürger:innen kein Vertrauen in eine solche Politikkaste haben?

Im vergangenen Jahr traten PD und Cinque Stelle geschlossen gegen die regionale Autonomie auf. Senatorinnen des Partito Democratico hielten auf Papier gedruckte Nationalflaggen hoch und stimmten gemeinsam mit Kolleginnen die (blutrünstige) Nationalhymne an, aus deren Refrain sich der Name der postfaschistischen Fratelli d’Italia ableitet. Diese sangen dann auch begeistert mit.

Wenige Wochen zuvor hatte der PD die Unteilbarkeit der Nation beschworen, um gegen die Pläne der Regierungsmehrheit mobilzumachen. Der PD verteidigt den Nationalstaat.

In ihrer Rolle als Vizepräsidentin der Emilia-Romagna hatte die Parteivorsitzende Elly Schlein noch gemeinsam mit ihrem Chef Stefano Bonaccini (PD) für mehr Autonomie gekämpft.

Keilerei in der Abgeordnetenkammer

Die vor wenigen Tagen stattgefundene zweite Lesung des Gesetzesentwurfs endete in der Abgeordnetenkammer in einer wüsten Schlägerei. Leonardo Donno von den Cinque Stelle stürmte mit einer italienischen Fahne in der Hand zu Minister Roberto Calderoli vor. Es kam anschließend zu einem Tumult.

Vor dem Handgemenge protestierten Abgeordnete der linken Opposition mit der Trikolore gegen die Gesetzesnovelle und sangen abermals lauthals die Hymne. Die Linke befürchtet wegen der Autonomiereform den Zerfall des Staates.

Im Bündnis mit der nationalbesoffenen linken Opposition lehnen die südlichen Regionen das Vorhaben von Minister Calderoli ab. Sie befürchten, dass sich der Staat aus wichtigen Bereichen wie Gesundheit und Bildung zurückzieht und die Bevölkerung im wirtschaftlich unterentwickelten Teil des Landes dadurch Nachteile erleben könnte.

Abwesender Staat

Der Staat ist aber jetzt schon abwesend, klagte der von der Mafia bedrohte Schriftsteller Roberto Saviano an. Ohne Gelder aus Brüssel würde es noch düsterer ausschauen. Allein 2017 erreichten die EU-Gelder die Höhe von 10 Milliarden Euro, vom italienischen Staat kamen dürftige zwei Milliarden Euro.

Brüssel hilft über die Regionalförderung, so standen für den Zeitraum 2014 bis 2020 aus den Strukturfonds 44 Milliarden Euro zur Verfügung. Zwei Drittel des Geldes müssen im Süden ausgegeben werden.

Die Regionen waren bisher aber nicht imstande, Programme für die Strukturmittel zu entwickeln. Wirtschaftsprofessor Francesco Grillo kritisiert die Phantasielosigkeit der Verantwortlichen im Süden. Die herrschende Elite — sie war bisher Nutznießerin der Milliarden aus dem Norden — zeigt wenig Ehrgeiz, die Lethargie zu bekämpfen.

Beklagen darf sich der Süden trotzdem nicht. In den 1950er Jahren richteten die christdemokratischen Regierungen die Cassa del Mezzogiorno ein. Damit sollte der im Norden erwirtschaftete Reichtum umverteilt werden. Als Vorbild galt die New-Deal-Politik des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt.

Die »Kasse für den Süden«, 1950 gegründet, seit 1951 operativ, investierte jährlich 100 Milliarden Lire. Angelegt für einen Zeitraum von zehn Jahren. Die Geldmittel wurden ständig erhöht. Bis 1962 gab der Staat 1.280 Milliarden Lire im Süden aus. Eine unglaubliche Summe. 1984 wurde die »Kasse« in eine Agentur umgewandelt, 1993 lief deren Auftrag aus. Der Staat investierte aber weiterhin in die marode süditalienische Wirtschaft, später kamen dann EU-Gelder hinzu.

Insgesamt flossen im Zeitraum von 1951 bis 2013 430 Milliarden Euro in die süditalienischen Regionen. Damit wurden 16.000 km Straßen gebaut, 23.000 km Wasserleitungen, 40.000 km Stromleitungen, 1.600 Schulen und 160 Krankenhäuser. Die Tageszeitung Il Giornale bilanziert: Ein Desaster. 20 Prozent Arbeitslosigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 56 Prozent, zwischen 1958 und 1963 wanderten mehr als eine Million Süditaliener nordwärts, auch nach Deutschland und Belgien.

Zurück zur Schlägerei in der Abgeordnetenkammer: Besucher:innen müssen dem Hohen Haus entsprechend gekleidet sein. Keine Miniröcke, keine Jeans und T-Shirts, sondern Anzug und Krawatte. Und wie führen sich die gut gekleideten Volksvertreter:innen auf? Wie Kleinkriminelle, die aufeinander einprügeln und wie Hooligans Fahnen schwenken und die Hymne grölen.


Autor:innen- und Gastbeiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung oder die Position von BBD wider, so wie die jeweiligen Verfasser:innen nicht notwendigerweise die Ziele von BBD unterstützen. · I contributi esterni non necessariamente riflettono le opinioni o la posizione di BBD, come a loro volta le autrici/gli autori non necessariamente condividono gli obiettivi di BBD. — ©


Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.

Comentârs

One response to “Trikolore statt autonomia.”

  1. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Im vergangenen Jahr traten PD und Cinque Stelle geschlossen gegen die regionale Autonomie auf. Senatorinnen des Partito Democratico hielten auf Papier gedruckte Nationalflaggen hoch und stimmten gemeinsam mit Kolleginnen die (blutrünstige) Nationalhymne an, aus deren Refrain sich der Name der postfaschistischen Fratelli d’Italia ableitet. Diese sangen dann auch begeistert mit.

    “Fratelli d’Italia” kommt nicht im Refrain der italienischen Hymne vor, sondern ist die Anfangszeile. Der Refrain war hingegen die Vorlage für das “Host-Wessel-Lied” der SA, das heute in der BRD verboten ist. Dem italienischen “stringiamoci a coorte entspricht das deutsche “die Reihen fest geschlossen”. In Deutschland verboten, in Italien Nationalhymne.

Scrì na resposta

Your email address will not be published. Required fields are marked *

You are now leaving BBD

BBD provides links to web sites of other organizations in order to provide visitors with certain information. A link does not constitute an endorsement of content, viewpoint, policies, products or services of that web site. Once you link to another web site not maintained by BBD, you are subject to the terms and conditions of that web site, including but not limited to its privacy policy.

You will be redirected to

Click the link above to continue or CANCEL