Der Präsident der Sechserkommission, Alessandro Urzì, findet ja. Der Bozner Urzì, im Wahlkreis Vicenza 2022 in die Kammer gewählt, verweist voller Stolz auf die Europawahlen. Da haben die meisten italienischsprachigen Bürger:innen Südtirols für die landesweit plakatierte Giorgia und für ihre Fratelli gestimmt. Die Fratelli sind Südtirols stärkste italienische Partei.
In der Region Trentino-Südtirol wählten fast 20 Prozent der Bürger:innen FdI. Ein Votum für seine Partei, freut sich Urzì, ein Votum für die Führungsrolle der Fratelli im rechtsrechten Bündnis. Den Erfolg führt Urzì auf die eigene Kohärenz und auf das erfolgreiche Projekt seiner Partei für Italien zurück.
Aber damit nicht genug des Triumphes: Die Europawahl in Südtirol zeige auch, ist Urzì überzeugt, dass seine Partei auch über die italienische Sprachgruppe hinaus an Zustimmung hinzugewonnen hat. Er verweist auf die Vorzugsstimmen für Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Meloni sei als pragmatische und beliebte Führungspersönlichkeit anerkannt, lautet die Wahlanalyse ihres Bozner Statthalters. Im Klartext: Auch deutschsprachige Südtiroler haben Fratelli d’Italia gewählt.
Bei diesen Europawahlen belohnten die Bürger:innen die politische Glaubwürdigkeit der Regierung Meloni, schwärmt Urzì, der damit endlich auch seine politischen Schmuddelecke verlassen konnte.
Super Giorgia
Verwunderlich ist dieses Wahlwunder nicht. Zur Erinnerung. Laut einer Umfrage der Südtiroler Wirtschaftszeitung ein halbes nach ihrem Amtsantritt — im April 2023 — zeigte sich eine Mehrheit der Befragten in Südtirol sehr zufrieden mit der Regierungsarbeit von Meloni. 57 Prozent hießen ihre Arbeit für gut, deutlich mehr als in anderen Regionen. Besonders groß war der Zuspruch in der deutschen und der ladinischen Sprachgruppe mit 62 bzw. 66 Prozent gegenüber 50 Prozent in der italienischen Sprachgruppe. Im Vinschgau würdigten gar 80 Prozent ihre Arbeit. Wie in Deutschland und in Österreich auch wählen mehrheitlich Männer die rechtsradikalen Fratelli, die 50- bis 64-Jährigen, die Selbständigen und die Rentner.
Südtiroler:innen für Meloni, ein Fall geistiger politischer Umnachtung? Der Wissenschaftler Hans-Karl Peterlini, ehemaliger Chefredakteur des Wochenmagazins ff und heute Professor an der Universität in Klagenfurt/Celovec, versuchte in der Neuen Südtiroler Tageszeitung das »Phänomen« zu erklären:
Auch Matteo Salvini ist in Südtirol sehr gut angekommen, es hätte nicht viel gefehlt, und man hätte ihn zum Ehrenmitglied von Schützenkompanien gemacht. Da ist aber natürlich auch ein Unterschied: Salvini genoss die Sympathie der Lega, die ja in ihrem Ursprung föderalistisch und daher Minderheiten-freundlich war. Dass sein extremer Rechtspopulismus andere, schwächere Minderheiten mit Füßen trat, wurde hierzulande für nicht so schlimm gehalten oder sogar goutiert. Meloni aber kommt aus einer postfaschistischen Tradition, da müssten doch einige Warnglöcklein klingen, bevor man sie für cool findet.
– Hans Karl Peterlini
Eine andere Republik
Die geflissentlich überhört werden. Die »starke Regierungschefin« — nicht lupenrein zitierte Eigendefinition — baut die Republik um. An der Spitze der öffentlich-rechtlichen Rai stehen ausschließlich Gefolgs- und Vertrauensleute der Ministerpräsidentin. Regierungsmitglieder erhielten uneingeschränktes Rederecht in der Rai, das nicht von Journalist:innen unterbrochen werden darf. Ein Historiker durfte am 25. April nicht die Bedeutung des Tages der Befreiung vom Faschismus erläutern. Meloni schätzt nämlich ihren geistigen Vater, den faschistischen Diktator Benito Mussolini. Das kümmert offensichtlich viele Italiener:innen nicht, erschreckend, Südtiroler:innen auch nicht.
Künftig soll der/die Ministerpräsident:in direkt gewählt werden, die stärkste Partei einen Mehrheitsbonus erhalten. Klassischer Wahlbetrug.
Diese Regierung geht bereits gegen Minderheiten vor, sexuelle, Lesben, Schwule, binäre, non binäre, usw. So soll die amtliche Eintragung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften annulliert werden.
Die wirtschaftliche Erholung des hochverschuldeten, auch korrupten Landes ist die Folge der Politik von Ministerpräsident Mario Draghi. Seine Nachfolgerin profitiert davon.
Melonis Kampf gegen die illegale Einwanderung erschöpfte sich bisher in kraftstrotzender Rhetorik, die geplanten Aufnahmezentren in Albanien — groß als Lösung angekündigt — kommen auch nicht voran. Für so schwierige Themen gibt es diese einfachen Lösungen nicht, die Rechtsradikale stimmenködernd so ungeniert propagieren.
Raus aus der Schmuddelecke
Südtiroler:innen für Giorgia, für die politischen Enkel von Mussolini. Auch in den 1980er Jahren wählten Bürger:innen in Südtirol bei verschiedenen Wahlen den Movimento Sociale Italiano (MSI), gegründet von ehemaligen Funktionären der faschistischen Repubblica di Salò, die unter dem militärischen Schutzschirm des Dritten Reichs stand. Damals berichtete die Wochenzeitung ff über Wahlerfolge des MSI im Vinschgau.
Aus dem MSI entwickelte sich Alleanza Nazionale, die Silvio Berlusconi in seine rechtspopulistische Regierung holte, um später im Popolo della Libertà aufzugehen. Damals schon, 2008, war Giorgia Meloni Jugendministerin der Regierung Berlusconi. Ihre Leistungen, so Kommentatoren, waren überschaubar. Unzufriedene Dissidenten scherten aus dem Popolo aus und gründeten Fratelli d’Italia. Aus dieser rechtsradikalen Splitterpartei wurde die heutige Regierungspartei, offensichtlich auch wählbar für Südtiroler:innen. »Meloni-Land«, spöttelte auf Salto Christoph Franceschini. Und süffisant fügte Sigmund Kripp hinzu: »Wenn man auf facebook beobachtet, wer alles unter die posts von Meloni und Salvini seine likes setzt, muss man sich nicht über den Erfolg der extrem rechten italienischen Parteien in den Dörfern wundern! Das sind nämlich oft jene, die sonst besonders tirolistisch und lederhosig auftreten….«. Also doch ein Fall geistig-politischer Verwirrung?
Fratelli-Statthalter Urzì freute sich also über Südtiroler:innen, die seine Partei gewählt haben. Umgekehrt reagiert er angepisst, wenn Angehörige der italienischen Sprachgruppe einen »deutschen« Bürgermeister wählen, wie letzthin in Leifers. So hatte das rechte Bündnis vor der Wahl erklärt, die Stadt müsse italienisch regiert bleiben. Leifers ist Südtirols viertgrößte Stadt, mehrheitlich italienischsprachig mit einem deutschsprachgien Bürgermeister, Giovanni Seppi.
Bürgermeister Giovanni Seppi, schlimmstes Kapitel
»Der Fall Leifers wird als eines der schlimmsten Kapitel der Lokalpolitik in Südtirol eingehen«, sagte Urzì völlig erschüttert auf Rai-Südtirol. Was mag daran so schlimm sein? Was ist vom Gerede von Urzì zu halten, dass er für eine starke Autonomie für alle ist, dass er für das Zusammenleben ist, nicht nur für das Neben- sondern für das Miteinander? Gedöns. Gerede. Geschwätz.
Solche »schlimme Kapitel« gab es schon öfters. Landeshauptmann Luis Durnwalder erhielt »italienische Stimmen«, genauso Senator Oskar Peterlini. »Deutsche Stimmen« gingen an die Bozner Bürgermeister Giovanni Salghetti, Luigi Spagnolli und Renzo Caramaschi sowie an Senator Francesco Palermo. Und?
In Meran »opferte« bei den letzten Gemeindewahlen die SVP den »deutschen« grünen Bürgermeister Paul Rösch zugunsten einer Allianz mit italienisch Mitte-Rechts.
Völlig entspannt kommentierten die Landesräte Rosmarie Pamer und Daniel Alfreider »das schlimmste Kapitel der Lokalpolitik«. Deutschsprachige Südtiroler wählen italienische Kandidaten und umgekehrt. Eine Tatsache, die laut Alfreider inzwischen normal ist. »Gemeindewahlen sind immer Personenwahlen«, meint die ehemalige Bürgermeisterin von St. Martin in Passeier, Landesrätin Pamer. Dass Wähler der verschiedenen Sprachgruppen Kandidaten der jeweiligen anderen Sprachgruppe wählen, sei normal. »Wir freuen uns auf jeden Fall über das Ergebnis«, sagte Alfreider zur Leiferer Wahl.
Es scheint an der Zeit zu sein, dass die SVP als regionale Territorialpartei ernst macht und sich für »italienische Südtiroler:innen« öffnet, wie es der neue Leiferer Bürgermeister anregt. Eine Anregung, die in den vergangenen Jahren immer wieder innerhalb der SVP vorgebracht wurde.
Wer kann sich noch an den Fall Toblach erinnern? An Bürgermeister Guido Boccher? Eine deutsche Gemeinde mit einem italienischsprachigen Bürgermeister an der Spitze? War kein sonderlich schlimmes Kapitel.
Schlimm aber ist, wenn deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler:innen Giorgia Meloni und Fratelli d’Italia wählen. Zitat Hans-Karl Peterlini: »Meloni kommt aus einer postfaschistischen Tradition, da müssten doch einige Warnglöcklein klingen, bevor man sie für cool findet«.
Scrì na resposta