In letzter Zeit ist der aufsehenerregende Fall von Roberto S. durch die Südtiroler Medien geschwirrt. Es handelt sich dabei um einen Bauern, dem vom Land im Zusammenhang mit der Errichtung des Brennerbasistunnels (BBT) Gründe enteignet wurden. Laut Umweltverträglichkeitsprüfung soll es sich dabei um den geeignetsten Ablagerungsort für das Material handeln, das aus dem Berg geholt wird.
Nach einem Rekurs sprach die Außenstelle Bozen des Trienter Oberlandesgerichts S. für die gut 25 Hektar enteigneten Grundes eine sagenhafte Entschädigungssumme von 24,5 Millionen Euro1Enteignung (20,8 Mio.) + Schadenersatz + Zinsen zu. Doch damit gibt sich der Bauer nicht zufrieden. Er will erstens noch viel mehr Geld (48,5 Millionen) und zieht deshalb vor die Kassation. Mithilfe seines Anwalts Igor Janes, der im politischen Milieu der italienischen Rechten verortet ist, will er aber auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dem Fall befassen. Es geht ihm offenbar nicht nur ums Geld, sondern — wie er selbst sagt — vor allem ums Prinzip.
Ein kleines Detail fehlt jedoch erstaunlicherweise in den meisten Medienberichten, die über die Angelegenheit erschienen sind: Die aus Venetien stammende Familie S. hatte den Hof in den 1930ern im Zuge der faschistischen Italianisierungspolitik vom Staat erhalten, genauer gesagt vom »Bodenraubinstitut«, wie Claus Gatterer die »Staatliche Behörde für die [sogenannten] Drei Venetien« (Ente Nazionale delle Tre Venezie – ENTV) eingängig getauft hat. So schildert es Alexander van Gerven in ff Nr. 17/2024. Aufgabe der neuen Kolonisten aus dem Süden war es, ihren Beitrag zur Entnationalisierung zu leisten.
Anstatt in Schwierigkeiten geratenen Landwirtschaftbetrieben unter die Arme zu greifen, nutzte der faschistische Staat jede Notlage ungeniert aus: Er ließ die Höfe billig aufkaufen und sorgte dafür, dass sie zu bevorzugten Konditionen an regimetreue Italienerinnen übergingen. Familie S. war also Nutznießerin der brutalen faschistischen Assimilierungspolitik. Robertos Vater Luigi S.
sahnte Auszeichnungen von der römischen Regierung ab, schaffte sich als einer der Ersten in der Gegend einen Mähdrescher an, züchtete Weizensorten. Noch 1955 besuchte der italienische Ministerpräsident Antonio Segni die Familie S[.], um sie zu beglückwünschen.
– Alexander van Gerven (ff Nr. 17/2024)
Schon Luigi, kein Parteimitglied, aber von den Ideen des Faschismus überzeugt, habe einen Hang zum Prozessieren gehabt. Mit dem BBT sei Sohn Roberto in seine Fußstapfen getreten.
Heute sagt Roberto S[.]: „Mir geht es ums Prinzip.“ Er sei nun mal nicht wie die anderen Bauern, die sich von Autoritäten einschüchtern lassen und kuschen. Seinen Hof abreißen und anderswo wieder aufbauen, das will er nicht.
– Alexander van Gerven (ff Nr. 17/2024)
Verhandlungen zwischen dem Land und ihm — selbst Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) sei hingepilgert — scheiterten, weshalb der Weg der Enteignung erst beschritten werden musste. S. könne seine Gründe nach Abschluss der Arbeiten zurückkaufen.
Anders als die, denen das ENTV Land und Höfe weggenommen hatte, stehen ihm aber auch sämtliche Mittel des Rechtsstaats zur Verfügung, um sich gegen ungerechte Behandlung zur Wehr zu setzen. Würde er aus einer objektiven Notlage heraus handeln, wäre das absolut verständlich. Wenn S. aber angeblich Prinzipien so wichtig sind, wäre vielleicht auch etwas Selbstreflexion und Bescheidenheit nicht fehl am Platz — doch ich werde den Eindruck nicht los, dass da jemand noch immer aus einem Sendungsbewusstsein heraus handelt.
Abermillionen öffentlichen Geldes aus einem Eigentum pressen zu wollen, zu dem man in einer Diktatur unter — euphemistisch ausgedrückt — fragwürdigen Umständen gekommen ist, hat einen schrecklichen Beigeschmack.
Vielleicht interessiert sich ja wenigstens der EGMR auch dafür, wie Familie S. einst an die Gründe gekommen ist, um die gestritten wird. Dazu müsste das aber freilich erst Gegenstand des Verfahrens werden.
- 1Enteignung (20,8 Mio.) + Schadenersatz + Zinsen
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