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Der versäumte Kurswechsel.
Kommentare zum Leitartikel von Toni Ebner

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Anlässlich der Europawahlen vergangene Woche hat Dolomiten-Chefredakteur Toni Ebner einen Leitartikel mit dem Titel “Europa braucht einen Kurswechsel” veröffentlicht, den ich irgendwie nicht verstehe.

Der Erfolg der rechtsgerichteten Parteien bei den Europawahlen ist das Ergebnis der laschen und halbherzigen Zuwanderungspolitik der EU. Die Bürger akzeptieren nicht mehr, dass illegale und ungeordnete Zuwanderung von den Staaten stillschweigend toleriert wird.

– Toni Ebner

Die Zuwanderungs- wie auch die Asylpolitik in Europa ist tatsächlich eine Katastrophe. Ob sie zu lasch und halbherzig ist, weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass sie chaotisch und uneinheitlich ist, dass das diesbezüglich geltende Recht nicht umsetzbar ist und folglich auch nicht umgesetzt wird und dass es über Jahre hinweg verabsäumt wurde, funktionierende Regeln zu schaffen. Ob der sogenannte EU-Asylkompromiss da eine Veränderung bringt, wird sich erst weisen müssen. Nachdem in der Geschichte der EU zwei von drei Präsidenten des Europäischen Rates der EVP angehörten, die EVP seit 2005 die Kommissionspräsidentin/den Kommissionspräsidenten stellt, und rechts-konservative und liberale Parteien seit der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments (1979) – mit Ausnahme der Wahlen 1989 – die Mehrheit im Europaparlament und auch die derzeitige Parlamentspräsidentin stellen sowie einige der mächtigsten EU-Länder lange Zeit rechts-konservativ bis christlich-sozial regiert wurden (Stichwort: Merkel), stellt sich mir schon die Frage, wer Schuld am Versagen trägt und offenbar jahrelang die falsche Politik gemacht hat, aber nicht genannt wird.

Neben der Einwanderungsproblematik dürfte die „Green Deal“-Politik der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU) die Europäer vergrault haben. Verbrenner-Aus, Atomkraft-Skepsis mit folgenden Energiekostensteigerungen, Wärmepumpen- und Fotovoltaik-Illusionen haben nicht nur die Deutschen gefrustet.

– Toni Ebner

Lassen wir jetzt einmal den Natur-, Umwelt- und Klimaschutz komplett außen vor und betrachten wir die Sache aus rein wirtschaftlicher Perspektive: Wiederum ist das Problem, dass in Europa (in der EU und in vielen Mitgliedsstaaten) über Jahrzehnte hinweg – maßgeblich getragen von EVP-Parteien, inklusive SVP – eine kurzsichtige Wirtschaftspolitik gemacht wurde, die uns in den vergangenen Jahren hunderte Milliarden Euros gekostet hat. Man stelle sich vor, man hätte – wie von den Grünen seit Jahrzehnten gefordert – konsequent auf Energieautonomie und -effizienz sowie erneuerbare Energien anstatt auf billige, fossile Energieträger von diktatorischen Regimen gesetzt. Wenn man dann noch das ganze Geld, das in in das Auslaufmodell “Fossilenergie” gesteckt wurde, in zukunftsweisende Bereiche gepumpt hätte, dann hätte Europa Technologievorreiter sein können. Das hätte uns nicht nur weniger gekostet, als wir in den vergangenen Jahren verloren haben – wir hätten daran sogar prächtig verdienen können. Stattdessen haben wir nicht nur unseren Vorsprung verspielt, sondern wir werden immer mehr abgehängt. Wir sind mittlerweile gar von denen abhängig, die uns einst kopierten. Unter den 39 wertvollsten Elektroautoproduzenten kommt mit Polestar (Schweden) ein einziger aus der Europäischen Union. Wobei mit Geely auch bei Polestar ein chinesischer Konzern größter Anteilseigner ist. Der Rest sind vornehmlich US-amerikanische und asiatische (allen voran chinesische) Firmen. Von den 10 größten Photovoltaik-Produzenten kommen sieben aus China und je einer aus den USA, Kanada und Südkorea. Bei den Batterieherstellern sieht es ähnlich aus. Sechs der 10 größten Firmen auf dem Gebiet sind in China beheimatet, drei in Südkorea und einer in Japan. Von den 51 wertvollsten KI-Unternehmen hat kein einziges seinen Sitz in einem EU-Land. Wir werden in den kommenden Jahren technologische Quantensprünge bezüglich Energiegewinnung und -speicherung sowie in der Mobilität erleben. Doch allem Anschein nach wird die europäische Wirtschaft in diesen Zukunftsmärkten schlechthin eine untergeordnete Rolle spielen, weil uns – laut Toni Ebner – sogar schon das Aus einer überholten, ineffizienten, umweltschädlichen und uns von totalitären Regimen abhängig machenden Technologie frustet. Mit der Forcierung der Atomkraft würden wir – ungeachtet der Risiken und des ungelösten Endlagerungsproblems – den gleichen wirtschaftspolitischen Fehler wie bei den fossilen Energieträgern machen und uns in die Abhängigkeit großteils diktatorischer oder instabiler Staaten begeben. Die einzig nennenswerten Uran-Förderländer sind nämlich Kasachstan, Kanada, Australien, Namibia, Niger, Russland, Usbekistan und China. Hätten wir allerdings den Rat der Grünen (die übrigens bereits vor Jahren vor der gefährlichen, drohenden Abhängigkeit vor Russland gewarnt hatten, mit entsprechenden Anträgen im Bundestag jedoch an der CDU/CSU/SPD-Mehrheit gescheitert waren) befolgt und auf Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen (und andere erneuerbare Energiegewinnungsformen) gesetzt, hätte uns die durch den russischen Angriff auf die Ukraine verursachte Energiekrise nicht Milliarden, sondern ein müdes Lächeln gekostet, denn die Energiekostensteigerungen hätten sich in einem überschaubaren Rahmen gehalten.

In Deutschland wurden deshalb die Roten und die Grünen der Koalition des farblosen Kanzlers Olaf Scholz abgestraft. Als neuer Stern am deutschen Himmel strahlt jetzt Friedrich Merz mit seiner CDU. Aber entgegen der mutigen Entscheidung von Emmanuel Macron, in Frankreich nach dem Debakel der Regierungsmehrheit Neuwahlen auszurufen, dürften in Deutschland Rote, Grüne und der liberale Sesselkleber Christian Lindner weiterwursteln, zum Schaden der stärksten Wirtschaft im Euroraum und somit von ganz Europa.

– Toni Ebner

Ich bin der letzte, der Olaf Scholz für einen großen Kanzler hält. Aber Fakt ist schon auch, dass die Ampelkoalition jetzt das oben beschriebene Versagen in der Zuwanderungs- und Energiepolitik der Merkel-Jahre ausbaden muss, die das Land der Erfinder, Denker und Nobelpreisträger zu einem infrastrukturellen Entwicklungsland gemacht haben – zumindest was den Technologiebereich betrifft.

Das paradoxeste an der Geschichte ist, dass jetzt mit Friedrich Merz ein – wie Ebner es ausdrückt – “neuer Stern am deutschen Himmel” strahlt, der exakt Exponent jener rückständigen, fortschrittsfeindlichen Wirtschaftspolitik ist, die Deutschland in diese Misere gebracht hat. Merz möchte weiterhin konsequent den Anschluss verpassen. Er möchte Pferdekutschen fahren, während andere in Raumschiffen unterwegs sind und vom Bock zum Gärtner werden, wenn die nächste, von anderen über Jahre angekündigte, “Das konnte doch niemand vorhersehen”-Krise ansteht.

Der Wahlsieg der EVP darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rechte gewachsen ist und das stärkste Potenzial hat. Nur eine vernünftige Politik der Mitte, ohne Anbiederung nach Links-Grün, hat Zukunft in Europa.

– Toni Ebner

Es gibt im linken Spektrum tatsächlich Elemente, denen man sich nicht anbiedern bzw. auf die man nicht hören sollte. Aber wenn es um wirtschaftliche Entwicklung geht, dann wäre eine “Anbiederung” an grüne Ideen nicht das Dümmste. Jedenfalls hätten wir Milliarden gespart, wären jetzt technologische Vorreiter und nicht in der Abhängigkeit von Despoten, wenn wir das getan hätten, was die Grünen bereits in den 1980er-Jahren gefordert haben. Wohin Merkels “vernünftige Politik der Mitte” Deutschland gebracht hat, sehen wir ja. Zum Glück hat zumindest die EU jetzt entschieden, viel Geld in die Renaturierung zu stecken und zu entsiegeln, anstatt in Zukunft immer größere Hochwasserschäden mit Milliardenaufwand beheben zu müssen.

Die christlich-sozialen Parteien müssen die Wähler zurückholen, die Rechts gewählt haben, obwohl sie nicht rechts denken. Die beiden wirklich erstarkten Frauen, Marine Le Pen und Giorgia Meloni, darf man jetzt nicht ausgrenzen. Will man den Rechten den Biss nehmen, muss man sie einbinden. Meloni könnte dazu der Schlüssel sein, weil sie gezeigt hat, dass ihr eine pragmatische Politik wichtiger als ihre Stammwählerschaft ist.

– Toni Ebner

Es ist in der Tat fraglich, ob konsequentes Ausgrenzen recht(sextrem)e Parteien im Zaum hält oder ob es vielleicht sogar besser wäre, sie einzubinden. Ich habe darauf noch keine Antwort gefunden. In Österreich wurde beides versucht. Genützt hat es wenig. Weder Franz Vranitzkys oder Christian Kerns Ausgrenzungsstrategie noch Wolfgang Schüssels oder Sebastian Kurz’ Einbindungsstrategie haben zu einer dauerhaften Entzauberung der FPÖ geführt. Aber dass Meloni, gerade nach den Enthüllungen um die Jugendorganisation der Fratelli, “der Schlüssel” sein könnte, ist eine gewagte bis gefährliche Annahme.

Erfreulich ist der Wahlerfolg der SVP und ihres Spitzenkandidaten Herbert Dorfmann. Der Wähler hat den Fleiß von Dorfmann belohnt, der in 3 Legislaturen bewiesen hat, dass ein Südtiroler in Brüssel für das Land wichtig ist.

– Toni Ebner

Herbert Dorfmann und die SVP sind Mitglied jener Fraktion (EVP), die Europa zusammen mit den Sozialdemokraten in die Energiekrise geführt hat. Dorfmanns Umwelt- und somit Wirtschaftsbilanz ist zudem desaströs.

Die Listenverbindung mit Antonio Tajanis reformierter Forza Italia war ein geschickter Schachzug, da Tajanis politische Ehrlichkeit auch von den italienischen Wählern belohnt wurde und Forza Italia jetzt viertgrößte Partei in Italien ist.

– Toni Ebner

Ehrlich ist Tajani vor allem dann, wenn es um die Verharmlosung von Faschismus geht.

Cëla enghe: 01 02 03


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Comentârs

6 responses to “Der versäumte Kurswechsel.
Kommentare zum Leitartikel von Toni Ebner

  1. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Wer Haare hat, dem sträuben sie sich beim Lesen dieses “Leidartikels”.

  2. Hannes Obermair avatar
    Hannes Obermair

    Bravo, bravissimo Harald, ein durch und durch stichhaltiger, nachvollziehbarer und die Dinge zurechtrückender Kommentar zu einem dümmlich-reaktionären Leitartikel, dem in jenem Provinzblatt, in dem er erschienen ist, natürlich nie und nimmer widersprochen werden darf und wird.

  3. Wolfgang Mayr avatar
    Wolfgang Mayr

    Treffende Analyse. Dolomiten-Chefredakteur Toni Ebner versucht sich seit einiger Zeit als Polit-Waschmaschine, harte Rechte werden weichgespült. Die europäischen Volksparteien biederten sich nicht Links-Grün an, sondern dem Putin-Regime und seinem mafiösen Staat. Toni Ebner empfiehlt der EVP, sich den Rechten anzubiedern. Toni Ebner versucht sich auch als Politikwissenschaftler, Leitmotiv politische Verwirrung oder gar Umnachtung? Zitat Ebner:

    Die christlich-sozialen Parteien müssen die Wähler zurückholen, die Rechts gewählt haben, obwohl sie nicht rechts denken.

    Rechts wählen und nicht rechts denken? Und wie kann es anders sein, Herbert Dorfmann, dem verschiedene NGO vorwerfen, ein knallharter Lobbyist der Lebensmittelindustrie zu sein, wird zum strahlenden Gegenentwurf zu LH Kompatscher.

  4. Simon avatar

    Wiederum ist das Problem, dass in Europa (in der EU und in vielen Mitgliedsstaaten) über Jahrzehnte hinweg – maßgeblich getragen von EVP-Parteien, inklusive SVP – eine kurzsichtige Wirtschaftspolitik gemacht wurde, die uns in den vergangenen Jahren hunderte Milliarden Euros gekostet hat.

    Da war ja auch ein gewisser Michl E. am Werk.

  5. Simon avatar

    Es ist in der Tat fraglich, ob konsequentes Ausgrenzen recht(sextrem)e Parteien im Zaum hält oder ob es vielleicht sogar besser wäre, sie einzubinden. Ich habe darauf noch keine Antwort gefunden. In Österreich wurde beides versucht. Genützt hat es wenig. Weder Franz Vranitzkys oder Christian Kerns Ausgrenzungsstrategie noch Wolfgang Schüssels oder Sebastian Kurz’ Einbindungsstrategie haben zu einer dauerhaften Entzauberung der FPÖ geführt.

    Dass sich Rechte an der Regierung nicht per se »entzaubern«, zeigt ja unter anderem das Beispiel Italien.

  6. Harald Knoflach avatar
    Harald Knoflach

    Jeder kennt das “Ja, aber die Chinesen”-Argument.

    Deutschland (oder jedes andere beliebige europäische Land einsetzen) ist ja nur für xy % des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Wir können nicht die Welt retten, solange nicht auch die Chinesen (oder jedes andere beliebige große Schwellenland einsetzen) …

    Inzwischen die Chinesen:
    https://www.theguardian.com/world/article/2024/jul/11/china-building-twice-as-much-wind-and-solar-power-as-rest-of-world-report

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