In einem kürzlich auf Salto erschienenen Artikel mit dem Titel Ladiner:innen nicht EU-tauglich argumentiert Politologe Günther Pallaver, dass in Südtirol »kein Ladiner gewählt werden« könne, da »[d]ie Ausnahmeregelung zugunsten ethnischer Minderheiten« nur für die französische, slowenische und deutsche Minderheit gelte. Ich wage hiermit vorsichtig zu widersprechen.
Es sei vorausgeschickt: Dass die Ausnahmeregelung nur für die sogenannten Kin-State-Minderheiten (also Minderheiten mit einer Schutzmacht) gilt, ist ungerecht und entbehrt jeder Logik. Auch ich bin der Meinung, dass das nicht sein darf und dringend geändert werden müsste.
Wenn es mir nur um die Falsifizierung von Pallavers Aussage ginge, dass in Südtirol »kein Ladiner gewählt werden« kann, würde es reichen, festzustellen, dass eine ladinische Kandidatin sehr wohl ins EU-Parlament entsandt werden kann — und zwar zu denselben Bedingungen wie eine beliebige andere Anwärterin im Wahlkreis Nordostitalien.
Doch das ist ganz offensichtlich nicht die Frage. Natürlich muss es darum gehen, ob eine ladinische Kandidatin unter den vereinfachten Voraussetzungen gewählt werden kann, die laut Wahlgesetz nur der französischen, slowenischen und deutschen Minderheit zur Verfügung stehen.
Im Staatsgesetz Nr. 18/1979 in geltender Fassung, das die EU-Wahl auf italienischem Staatsgebiet regelt, ist (in Art. 12) von »Kandidatenlisten, die eventuell von den Parteien oder politischen Gruppierungen vorgelegt werden, die Ausdruck der französischsprachigen Minderheit in Aosta, der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol und der slowenischsprachigen Minderheit in Friaul-Julien sind.« Diese Listen von Kandidatinnen kommen in den Genuss der Vorzugsregelungen, die für besagte Minderheiten vorgesehen sind.
Daniel Alfreider, Florian Mussner oder Elide Mussner könnten über das geltende Minderheitengesetz nicht ins EU-Parlament gewählt werden, weil sie von einer Kandidatur ausgeschlossen sind.
– Günther Pallaver (auf Salto)
Doch nirgends steht geschrieben, dass jede einzelne Kandidatin (einschließlich der Spitzenkandidatin) dieser Listen, die von den Parteien und politischen Gruppierungen der drei Minderheiten vorgelegt werden, französischer, deutscher bzw. slowenischer Muttersprache sein müssen. Genausowenig wird meines Wissens verlangt, die Zugehörigkeit der einzelnen Kandidatinnen zu diesen Minderheiten in irgendeiner Form (zum Beispiel: mittels Sprachgruppenerklärung) nachzuweisen.
So gesehen könnte eine Liste, die von der SVP oder von anderen Parteien und politischen Gruppierungen der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol vorgelegt würde, sehr wohl auch ladinische Kandidatinnen beinhalten. Die Diskriminierung bestünde demnach darin, dass die Liste von einer der drei Kin-State-Minderheiten vorgelegt werden muss, aber nicht darin, dass — wie Pallaver schreibt — in Südtirol »kein Ladiner [mit der Vorzugsregel] gewählt werden« kann.
Ist das praxisferne Haarspalterei? Könnte sein. Andererseits kandidieren auf der Minderheitenliste der SVP neben Mitgliedern der Slovenska Skupnost (Partei der slowenischen Minderheit) auch Mitglieder des Trentiner PATT, die ganz sicher nicht der deutschen oder der slowenischen Minderheit angehören. Diesmal ist das zum Beispiel Roberta Bergamo, vor fünf Jahren war es Claudia Segnana. Von den zuständigen Wahlbehörden wurden diese Kandidatinnen nie beanstandet und es ist natürlich auch davon auszugehen, dass sie ins EU-Parlament gewählt werden können, wenn sie die nötigen Stimmen erhalten.
Und was ist der Sinn dieser meiner Ausführungen? Es wäre schade, wenn auch nur eine Ladinerin bei künftigen EU-Wahlen — falls die Regeln nicht geändert werden — von einer Kandidatur absehen würde, weil sie der Meinung ist, dass die Sonderregeln laut Artikel 12 des Wahlgesetzes auf sie nicht zutreffen. Dazu könnte Pallavers Artikel ungewollt beitragen. Es bedürfte also zumindest einer Klärung, ob meine hier vorgebrachten Überlegungen richtig oder falsch sind.
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