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Bauern und »Made in Italy«.
Wenn die Orientierung verloren geht

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Die italienischen Bauern demonstrieren wieder, am Brenner. Warum gerade dort? Dort oben will der Bauernverband Coldiretti für landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel »Mady in Italy« werben. Ist der Feind von Made in Italy auf der österreichischen Seite, auf alle Fälle im Norden?

Mit auf dem Brenner dabei sein wollten gleich drei gewichtige Regierungsvertreter wie Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida (FdI), ein Freund des Südtiroler Bauernbundes, Verkehrsminister und stellvertretender Ministerpräsident Matteo Salvini (Lega) sowie Unternehmensminister Adolfo Urso (FdI). Ihr Ziel verwundert keineswegs: Italien von Lebensmittelimporten abschotten. Das lässt sich offensichtlich am Brenner, Symbol der frontiera sacra, am besten einfordern.

Ein anderer Minister war zwei Tage vor der Brenner-Demo bereits in Bozen, Außenminister Antonio Tajani von Forza Italia. Die SVP buhlt um die Berlusconi-Partei, möchte für die Europawahlen wieder ein Bündnis eingehen, das Ticket für den SVP-Europaparlamentarier Herbert Dorfmann. Dorfmann hat inzwischen Konkurrenz bekommen, in seiner Männerfreundschaft mit Tajani. Der Minister traf sich auch mit Georg Gallmetzer. 

Applaus für das Protestevent am Brenner kommt auch von jenen Südtiroler Bauern, die vor einigen Wochen in Bozen ihre Demo organisiert hatten. Diese Bauernaufständler — inzwischen Teil der neuen gesamtstaatlichen italienischen Bauerorganisation — werden am Brenner zwar nicht dabei sein, unterstützen aber (geistig) das Anliegen von Coldiretti. Grenzen zu, beginnend am Brenner.

Absurdes tat sich dort: In Absprache mit der Polizei sollten ausländische Lebensmitteltransporte kontrolliert werden, die für die Weiterverarbeitung und Veredelung in Italien bestimmt sind, wodurch Produkte auf den Markt kommen, die nicht von italienischen Bauern produziert wurden. Stichwort freier Warenverkehr in der EU? Bauern als Grenzpolizisten? Diese Bauern wollen der Politik zeigen, wo es langzugehen hat. 

Muss sich jetzt der Bauernbund warm anziehen, wie Pink-Lady-Bauer Georg Gallmetzer martialisch ankündigte? Seine Kritik am Bauernbund und an den übrigen landwirtschaftlichen Verbänden ist grundlegend. Was nützen Beiträge, wenn der Bauer von seinen Produkten nicht leben kann, fragt Gallmetzer. Er wirft den erwähnten Verbänden vor, sich nur um »Schnickschnack« zu kümmern, nicht aber um die Sache. Harter Tobak. Gallmetzer, der bäuerliche Kümmerer.

Noble Bauern

So manche Bauern haben sich über die Organisatoren der Bauerndemo gewundert. Warum? Der Versuch einer Aufschlüsselung. Ein Teil dieser protestierenden Bauern, aktiv in der Arbeitsgruppe Zukunft Landwirtschaft, vertritt verquere Thesen. Auf ihrer Facebook-Seite polemisiert die AG »gegen das Kartell des Lebensmitteleinzelhandels«, als ob es in Brüssel keine entsprechende Zusammenschau zwischen einer bestimmten Kategorie an Bauern und Handel gäbe. Die AG Zukunft Landwirtschaft ist auf Facebook eine Fundgrube weiterer, auch irrer Thesen.

Diese Bauern, sagen andere Bauern, sind sehr erfolgreich. Eigentlich seien es Unternehmer mit »bäuerlichem Image«. Dazu ein Beispiel eines solchen landwirtschaftlichen Unternehmers, als Bauer verkleidet. 

Zehn Hektar — oder auch mehr — »Obstplantagen« irgendwo im Etschtal, vollgepflanzt mit Club-Bäumen. Ein Kenner rechnet »konservativ«, also vorsichtig nach. Bei einer solchen Produktionsfläche könnten 70 oder auch 80 Waggons geerntet werden. 

Das sind dann bis zu 700.000 Euro Umsatz. Daraus lässt sich ein Netto-Einkommen von 300.000 Euro, möglicherweise auch 400.000 Euro berechnen. Davon muss der Erfolgreiche dann — unglaubliche — 2.000 Euro an Einkommenssteuer entrichten. Echt wahr, sagt der Fachmann, der betont, vorsichtig geschätzt und gerechnet zu haben. 

Hier geht es nicht um »Schnickschnack«, sondern um satten Cash. Diese Club-Bauern sind bäuerliche Unternehmer. Davon können die meisten Bergbauern nur träumen.

Zurück zu Georg Gallmetzer: Er weiß, wo es langzugehen hat. Mit hohen Zöllen Importe von billigen Lebensmitteln unterbinden, die nicht den europäischen Produktionsstandards entsprechen, beispielsweise. Die protestierenden Bauern meinen damit — nicht nur aber auch — ukrainisches Getreide. Die rebellischen Bauern sind die fünfte Kolonne Moskaus in der EU.

Made in Italy statt Dachmarke Südtirol

Für Importzölle soll auch am Brenner demonstriert werden, zudem für das Label Made in Italy. Pink Lady aus dem Unterland, Vernatsch aus Girlan, Burgeiser Käse: künftig nicht mehr unter der Dachmarke Südtirol, sondern mit dem Markenzeichen Made in Italy. Selbstbewusst beschreibt Gallmetzer sein Anliegen, »den Politikern zu vermitteln, dass wir den Großteil der benötigten Lebensmittel in Europa selbst produzieren können.« Wen meint er damit? Die Vertreter der Agrar- und Lebensmittelindustrie, die in Brüssel die Landwirtschaftspolitik diktieren?

Gallmetzer hat sich auch auf die angeblich unsinnige Handelspolitik der EU eingeschossen. So auch gegen das Handelsabkommen mit Neuseeland, das am 1. Mai in Kraft tritt: »Ich hätte noch Verständnis, wenn ein Handelsabkommen mit Indien und seiner Milliardenbevölkerung geschlossen wird und dies zum Vorteil der EU ist, aber an diesem Beispiel erkennt man, dass die alteingesessenen Bauernverbände wie der Südtiroler Bauernbund jeden Bezug zur Realität verloren haben«, giftete er auf Salto. Er hätte Verständnis, wow! 

Gallmetzer findet, dass hier der SVP-Europaparlamentarier Herbert Dorfmann versagt hat, genauso der Bauernbund, der seine Bauern eigentlich in Schutz nehmen sollte. So als ob das der Bauernbund, bei aller gerechtfertigten Kritik, nicht täte.

Südtirols Landwirtschaft lasse sich nicht mit dem »Roten Hahn« und mit dem bäuerlichen Tourismus retten, weiß der Alleswisser. Aber auch diese Bauern profitieren vom bäuerlichen Tourismus der Marke »Urlaub auf dem Bauernhof«, vom Bauernbund auch im Widerstreit mit dem HGV erkämpft.

Nutznießer des Bauernbundes

Ein Beispiel gefällig? Einer dieser Bauern, Günther Ambach aus Kaltern, präsentierte sich bei seinem Auftritt in Pro&Contra auf Rai Südtirol am 26. September 2023 wie sein Mitstreiter Georg Gallmetzer. Als Unternehmer, der sehr wohl die von der Landesregierung umgesetzten Forderungen des Bauernbundes in Anspruch nimmt. Ein Klick auf die Homepage Prunarhof von Ambach wird zu einem Aha-Erlebnis. Die Preise pendeln zwischen 60 und 180 Euro.

Der Urlaub auf dem Bauernhof sei ein sinnvoller Nebenerwerb für bäuerliche Familien auf 1.600 Bergbauern-, Obst- und Weinbauernhöfen, lobt der Bauernbund — authentisch und hochwertig. Jeder zehnte Südtirol-Tourist verbringt seinen Urlaub am Bauernhof. Das Konzept ist so erfolgreich, dass sich damit auch die Süddeutsche Zeitung damit befasste. 

Die SZ listete eine ganze Reihe von touristischen Bauernhöfen auf, die mit einem Bauernhof aber schon gar nichts mehr zu tun haben. Mehr als 160 solcher Bauernhöfe sind eigentlich Hotels, Designerbauernhöfe, analysierte die SZ, sie nutzten diese touristische Sonderregelung aus. Schamlos, könnte man hinzufügen, denn, was haben Chalets, hochwertige Ferienwohnungen mit dem Urlaub auf dem Bauernhof zu tun? Nichts! Nochmals zur Erinnerung: Es war der Bauernbund, der die erwähnte Sonderregelung erwirkte.

So unsinnig sind wohl weder der bäuerliche Tourismus noch der »Rote Hahn«, wenn man sie als Kritiker selbst in Anspruch nimmt.

Nachvollziehbar ist die Forderung der bäuerlichen Bauernbund-Gegner, dass es ein weiter so wie bisher nicht geben dürfe. Deshalb weg mit den satten Subventionen für die Agrar- und Lebensmittelindustrie, wie es der deutsche Biologe und Agrarwissenschaftler Michael Soccow fordert — und hin zu einer klaren Trennung zwischen den Agrarkonzernen und der kleinen und mittelständischen Landwirtschaft. Die Agrar- und die mit ihr verbandelte Lebensmittelindustrie greifen ungeniert viel Geld vom großen Agrarbudget der EU ab.

Die protestierenden Bauern, die EU-weit bewusst Gesetze brachen, fremdes Eigentum beschädigten, randalierten, wie es die sogenannten »Klimakleber« gar nicht könnten, waren erfolgreich. Die EU-Kommission kippte das Renaturierungsgesetz, das auch helfen sollte, die intensiv genutzten Böden zu regenerieren. An vorderster Front mit dabei: der von Gallmetzer gemaßregelte Herbert Dorfmann. Dorfmann warnte, das Renaturierungsgesetz gefährde die Lebensmittelsicherheit. 

Das ist ein an den Haaren herangezogenes Argument. Jährlich werden in der EU 58 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, weltweit 1,3 Milliarden Tonnen. Gefährdete Lebensmittelsicherheit? Ob dieses Verschwenden nicht zum Verfall der Preise für landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel führt?

Die Protestbauern um Georg Gallmetzer stellen sich hinter die italienische Forderung, die Produkte mit der Marke Made in Italy zu schützen. Made in Italy um die lokale Produktion und Wirtschaft zu stärken. 

Ein Salto-User kommentierte diese Logik folgendermaßen:

Wenn sich auch Bauern aus anderen Ländern das “Made in …..” auf ihre Fahnen schreiben, dann werden unsere Südtiroler Bauern auf ihren Äpfeln, dem Wein ecc. sitzen bleiben.
Unsere Bauern müssen endlich von der Monokultur Abschied nehmen und eine breitere Palette von Lebensmitteln produzieren. Sonst ist das Geschrei gegen die Lebensmittelimporte nur leeres Geschwätz.
Von wegen, “Stirbt der Bauer müssen die Lebensmittel importiert werden”. Der allergrößte Teil unserer Lebensmittel wird importiert … Alles Sachen, die man auch in Südtirol produzieren könnte.



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Comentârs

One response to “Bauern und »Made in Italy«.
Wenn die Orientierung verloren geht

  1. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Danke Wolfgang Mayr für diese fundierte Analyse. Dass es in Südtirol Bauern (?) gibt, die auf den Zug des “Made in Italy” aufspringen wollen, ist mehr als bedenklich. Die italienischen Nationalisten fordern einerseits freie Durchfahrt durch Nordtirol zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Hinweis auf den freien Warenverkehr in der EU, um dann am Brenner die Lkw aufzuhalten um das festzustellen, was dank der offiziellen Statistiken längst bekannt war. Italien importiert Lebensmittel aus anderen EU-Ländern (und nicht nur EU), um sie dann als angeblich hochwertige “italienische” Produkte in alle Welt zu exportieren. Die italienischen Nudeln, ein Exportschlager Italiens, werden zu mehr als 50 Prozent aus importiertem Hartweizen hergestellt, wobei derzeit der Preisverfall des türkischen Hartweizens von den italienischen Nudeldrehern als Rettung angesehen wird, weil die Ernte in Kanada miserabel ausgefallen ist. Italienisches Olivenöl würde es ohne die Olivenimporte aus Tunesien (rings um die Luxusvilla des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Bettino Craxi in Hammamet fährt man kilometerweit durch Olivenhaine), die fast ausschließlich nach Italien gehen, wie mir vor Ort glaubhaft versichert wurde, kaum geben. Die Importe von Oliven aus Spanien sind zwar auch wichtig, aber mengenmäßig nicht ausschlaggebend. Über den sogenannten “Südtiroler Speck” muss man eigentlich nicht mehr viel sagen. Der Hauptproduzent dafür ist der Konzern “Grandi Salumifici Italiani” mit Sitz in Modena. Daher wurden auch bei den illegalen Kontrollen am Brenner hauptsächlich Schweinefleischlieferungen nach Modena festgestellt. Das Schweinefleisch kommt zum Großteil aus Deutschland. Das hat Tradition, weil bereits zu DDR-Zeiten das meiste Schweinefleisch nach Südtirol exportiert wurde und sich die DDR-Bürger mit dem Kunstprodukt “Jägerschnitzel” begnügen mussten, das aus Fleischresten hergestellt wurde. Weitere Lieferanten sind Dänemark und die Niederlande. Bei sieben Millionen Schweinehälften, die im Jahr nach Südtirol importiert werden, und maximal 7000 Schweinen, die in Südtirol leben, kann man sich leicht ausrechnen, was dieses “made in Südtirol”, laut Herrn Gallmetzer natürlich nur mehr “made in Italy”, bedeutet. Da ist tatsächlich die Made im Speck.

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