Mit einer Historikerdiskussion gedachte die Silvius-Magnago-Stiftung der letzten »freien« Wahlen vor dem demokratischen Neubeginn nach 1945
Bereits 1922 hatte sich Benito Mussolini mit flächendeckend agierenden Schlägertrupps an die Macht geputscht. Trotzdem ließ der Faschist 1924 nochmals wählen, ähnlich wie der russische Kriegspräsident Wladimir Putin vor einigen Wochen.
Das Regime hatte aber vorgesorgt: Ein Gesetz von 1923 sah vor, dass die stärkste Partei zwei Drittel der Parlamentssitze zugesprochen bekommt, sofern sie mindestens 25% der Stimmen erreicht. Eine kaltschnäuzige Wahlmanipulation, um linke Kräfte von vornherein auszugrenzen. Unter die Räder kamen aber auch die Parteien der Slowenen und Südtiroler.
Die Schlägertrupps der faschistischen Partei halfen dort nach, wo sich möglicherweise Widerspruch hätte regen können. Historiker Andrea Di Michele betonte, dass die entgrenzte Gewalt nicht nur ein Instrument war, sondern das faschistische Regime ausmachte.
Die aus Gorica zugeschalteten Julijan Cedak und Peter Cernik dokumentierten die faschistischen Übergriffe auf die slowenische Minderheit in Friaul und deren Versuche, sich gemeinsam mit dem Deutschen Verband der Südtiroler — wenn auch nur zaghaft — gegen den Faschismus zu wehren.
Trotz des fanatischen Deutschenhasses der Faschisten agierte der Deutsche Verband zurückhaltend, höchst diplomatisch. Im Klartext: Er kuschte, so ähnlich beschreibt Historiker Stefan Lechner diese nicht nachvollziehbare Politik.
Landeshauptmann Arno Kompatscher, Landesrat Philipp Achammer und Landtagspräsident Arnold Schuler (alle SVP) nahmen an der Tagung teil. Klar: Magnago verpflichtet. Der große Rest des Landtages boykottierte die Veranstaltung. Aus doch sehr kleinlichen Gründen, weil, so der unbegründete Vorwurf, die Tagung eine SVP-Wahlveranstaltung sei. Letztendlich eine verpasste Chance, in die Geschichte hineinzuhören, aber auch die vielen manipulativen Wahlgesetz-Änderungen der letzten Jahre zu hinterfragen. Nicht von ungefähr trägt eines der üblen Wahlgesetze — jenes von 2005 — den Titel Porcellum; es wurde 2013 vom Verfassungsgericht als unzulässig abqualifiziert. Eines von sehr vielen krassen Beispielen.
Bei der Veranstaltung fehlten die politischen Enkel der faschistischen Elite von 1922: Marco Galateo und seine Kameradin Anna Scarafoni von den Fratelli d’Italia sowie Lega-Mann Christian Bianchi — Partner der SVP in der Landesregierung — blieben der Historikertagung fern. Aber auch die übrigen italienischen Volksvertreter zeigten kein Interesse an ihrer Geschichte, wie der PDler Sandro Repetto und der Civica-Abgeordnete Angelo Gennaccaro.
Es mag eine Ironie der Geschichte sein, dass 2022 — hundert Jahre nach der »Machtergreifung« von Mussolini — seine politische Enkelin Giorgia Meloni erstmals wieder eine rechtsradikale Partei an die Regierungsspitze brachte. Die Ironie hat eine Fortsetzung in Südtirol, denn hundert Jahre nach den letzten »freien« Wahlen vor dem demokratischen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg sitzen die Mussolini-Bewunderer zum ersten Mal in der Südtiroler Landesregierung.
Marco Galateo brachte es inzwischen zum stellvertretenden Landeshauptmann. Ein Politiker, der die Annexion Südtirols am 4. November feiern will und nicht die Befreiung vom Faschismus am 25. April. Galateo empfindet den »Tag der Befreiung« als spaltend, den Tag der Annexion hingegen als einen Tag der nationalen Einheit.
Kein Wunder, dass Galateo und seine Kamerad:innen der Gedenkveranstaltung der Silvius-Magnago-Stiftung fernblieben.
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