Das italienische Verfassungsgericht (VG) hat sich mit dem Landesgesetz befasst, auf dessen Grundlage Südtirol 2020 einen teilweise eigenständigen Weg im Umgang mit der Pandemielage eingeschlagen hatte. Es war im Landtag mit 28 zu einer Stimme bei sechs Enthaltungen großmehrheitlich beschlossen worden. Die einzige Gegenstimme war übrigens vom FdI-Abgeordneten Alessandro Urzì gekommen. Weil die damalige Regierung1Regierung Giuseppe Conte II wider Erwarten entschied, das Gesetz nicht anzufechten, konnte es ungehindert in Kraft bleiben.
Wenig überraschend urteilte das grundsätzlich sehr zentralistisch ausgerichtete Verfassungsgericht nun, dass mit dem Gesetz, das die sogenannte zweite Phase regeln sollte, die autonomen Zuständigkeiten des Landes überschritten worden waren. Zu dem Urteil kam es, weil der Inhaber eines Meraner Restaurants, der in der Pandemie systematisch gegen die geltenden Regeln verstoßen hatte, eine Strafe angefochten hatte, die ihm auf der Grundlage des Landesgesetzes aufgebrummt worden war. Das mit dem Rekurs befasste Gericht rief das VG an, um die Rechtmäßigkeit des Gesetzes überprüfen zu lassen.
Wichtig ist, dass die Güte und Verfassungsmäßigkeit der im Gesetz enthaltenen Corona-Maßnahmen nicht Gegenstand des VG-Urteils war. In dem Verfahren ging es nur um die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem italienischen Staat und Land Südtirol.
Im Oktober 2020 hatte Prof. Francesco Palermo, mit dem ich beileibe nicht immer einer Meinung bin, in einem Beitrag für den A. Adige geschrieben:
Die einzigen wirklichen Gegenkräfte sind die Gebietskörperschaften. Regionen und Gemeinden verfügen für ihr eigenes Gebiet über ähnliche Befugnisse zur Bewältigung gesundheitlicher Notlagen wie die [zentrale] Regierung. Dies kann zu einigen Überschneidungen, Verwirrung, manchmal zu wenig verantwortlichen Eingriffen einiger Verwaltungen führen. Es wäre jedoch schlimm, wenn es diese Möglichkeit nicht gäbe, was die zutiefst demokratische Tragweite der Autonomie beweist.
– Francesco Palermo
Mit der einsamen Ausnahme von Südtirol haben die Regionen bislang keine eigenen Gesetze zur Bekämpfung der Pandemie erlassen. Und das ist sehr schlecht.
– Francesco Palermo
Anstatt Südtirol zu »beneiden« könnten — und sollten vielleicht sogar — die (auch gewöhnlichen) Regionen ihre eigenen Gesetze beschließen. Es könnte zu Anfechtungen kommen und sie könnten daraus auch als Verliererinnen hervorgehen, doch sie würden [damit] die Kräftebalance verteidigen. Und vielleicht könnten sie dem nationalen Gesetzgeber auch bessere Lösungen zur Verfügung stellen. Vielleicht auch nicht, doch einen Versuch wäre es dennoch wert. Es sei denn, man findet es sehr bequem, sich über die [zentrale] Regierung zu beschweren, ohne selbst irgendeine Verantwortung zu übernehmen.
– Francesco Palermo
Übersetzung von mir (vgl.)
Die Untätigkeit der meisten anderen Regionen macht es den Zentralregierungen und auch dem Verfassungsgericht sehr leicht, gegen die wenigen Aufmüpfigen vorzugehen, die Autonomie und Subsidiarität einfordern und verteidigen. Gäbe es einen breiteren Konsens, den Zentralismus herauszufordern und auch selbst Verantwortung zu übernehmen, gäbe es für Rom viel größere Anreize, sich mit der Kompetenzverteilung zu befassen.
Dass sich Landesregierung und Landtag damals nicht in vorauseilendem Gehorsam gebeugt, sondern an demokratisch beschlossenen Maßnahmen festgehalten haben, die sie im Namen der Südtirolerinnen für angemessen hielten, ist in meinen Augen ein gutes Zeichen.
- 1Regierung Giuseppe Conte II
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