Die Regierungspartei ist nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Abstimmungen im Landtag werden zu Zitterparteien, weil die SVP geschrumpft, weil die »Mehrheit« knapp ist und weil die eigenen Reihen nicht geschlossen sind. Im Gegenteil, manche warten nur darauf, Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) eines auszuwischen.
Die einst mächtige und erfolgreiche Sammelpartei, ein Auslaufmodell? Bei den Landtagswahlen 2023 rutschte die SVP historisch tief nach unten, unter 35 Prozent. Darauf reagierten auch deutsche Medien überrascht.
Die Streitereien unter den »Freunden im Edelweiß«, zwischen den Kompatscher-Gegnern und der kleinen Gruppe um Kompatscher sowie der Zwist zwischen Parteiobmann Philipp Achammer und dem Landeshauptmann steuerten die SVP in die politische Sackgasse. Die Kompatscher-Feinde haben sich nach den dürftigen Ergebnissen der Landtagswahl durchgesetzt, der Wahlverlierer Bauernbund ist wieder Taktgeber und die Koalition mit der harten Rechten, von den Freiheitlichen bis zu den Fratelli, stellt den Landeshauptmann politisch bloß — der König ist nackt.
Die SVP ist wieder abgerutscht, es begann schon bei der letzten Landtagswahl mit Luis Durnwalder als Spitzenkandidat (2008) und setzte sich mit seinem Erben Kompatscher fort. Drei Landtagswahlen, bei denen die Partei weit unter die 40-Prozent-Marke rutschte.
Achammer zog seine Konsequenzen und kündigte den Rückzug von der Obmannschaft an. Das keineswegs harmonische Duo Achammer-Kompatscher steht nur mehr einer 13-köpfigen, überschaubaren »Truppe« vor, die zwar immer noch die größte im Landtag, aber nur mehr mit Prothesen gehfähig ist.
Nur mehr ein Bewerber
Plötzlich war die Obmannschaft verwaist, das Interesse, Achammer zu beerben, war nicht gegeben. Das sagt viel über den Zustand der Partei aus, die nur mehr ein Dachverband für Interessengruppen ist, die sich das Land unter sich aufteilen. Die Klammer scheint verlorengegangen zu sein, ebenso die politischen Konzepte und Perspektiven sowie der Anspruch, tatsächlich »das Volk« vertreten zu wollen. Hat sich die Partei aufgegeben?
Zaghaft ließ Kompatscher die SVP wissen, dass er sich für die Obmannschaft zur Verfügung stellen würde. Zehn Jahre zu spät. Nach dem Ausscheiden von Luis Durnwalder hätte Kompatscher wie sein Vorvorgänger Silvius Magnago die Parteiobmannschaft übernehmen sollen. Eine Kandidatur aus der Not heraus, wenig überzeugend, kaum mitreißend.
Kompatscher hatte Glück, dass einer aus seinem weiteren Kreis, der Kammerabgeordnete Dieter Steger, auch sein Interesse formulierte, auf Philipp Achammer folgen zu wollen. Glück deshalb, weil Kompatscher und seine Partei »fremdeln«, die Parteistrukturen von den traditionellen Kräften und Seilschaften dominiert werden und inzwischen in ihrer Zusammensetzung anders aussehen als die Wählerinnen und Wähler der Volkspartei.
Die Partei verweigerte sich dem Wandel im Land, einem Wandel, den die SVP auch mit ihrer Politik angestoßen hatte. Laut dem ehemaligen Landtagsabgeordneten der Grünen und Historiker Hans Heiss sorgte die neue Autonomie ab 1972 für einen Modernisierungsschub. Der auch zur Auflösung des »Volkskörpers« der SVP führte. Ein Teil des Volkes der Volkspartei verließ die SVP, die Aufregung in der Partei darüber scheint sich in Grenzen zu halten.
Ein Blick weit zurück, in die Elendsjahre: Der langjährige SVP-Obmann Silvius Magnago blieb lange unangefochten. In den 1960er Jahren, weil er mit österreichischer Schützenhilfe im Hintergrund gekonnt die Verhandlungen mit der italienischen Regierung führte, aber genauso in den 1970er und folgenden Jahren, weil er aus dem Paket das Zweite Autonomiestatut formte und dieses Stück für Stück mit seinem Unterhändler und Vize Alfons Benedikter umsetzte.
Sein Nachfolger Luis Durnwalder verzichtete auf die Obmannschaft, erdrückte er doch mit seinen zehntausenden Vorzugsstimmen seine Partei und ihre Strukturen. Die SVP war nicht mehr das Schwert des Landeshauptmannes wie einst unter Magnago, sondern sein Wahlverein. Durnwalder kümmerte sich wenig darum, wer an der Spitze der Partei stand.
Schon in seiner Ära schrumpfte die Zahl der Parteimitglieder, aber noch überschau- und verkraftbar. 2012 zählte die SVP nach einem Minus von 3 Prozent noch mehr als 50.000 Eingeschriebene. Zwei Jahre später betrug der Rückgang erschreckende, satte 30 Prozent. Damals wurden wegen Untätigkeit zehn Ortsgruppen aufgelöst. 2022 waren es dann nur mehr 23.000 Mitglieder. Ein historischer Tiefstand, schlagzeilte Salto. Innerhalb weniger Jahre liefen der Volkspartei die Hälfte der Eingeschriebenen weg. Im fernen Jahr 1991 konnte die SVP noch auf 80.000 Mitglieder verweisen. Mit diesem Schrumpfen ging auch der Verlust an Wählenden einher. Die Titanic sinkt, unaufhörlich.
Mit harten Bandagen
Luis Durnwalder hatte seinen Vorgänger Silvius Magnago bereits als Landeshauptmann abgelöst, nicht aber als Parteiobmann. Der langjährige Parlamentarier Roland Riz übernahm nach Magnagos Rücktritt die Obmannschaft.
Im Jahr 1991 mussten die Stellvertreter neu gewählt werden. Gleich fünf bewarben sich für drei Parteijobs: Luis Durnwalder, Franz Grießmair, Siegfried Messner, Ferdinand Willeit und Hubert Frasnelli. Gewählt wurden Durnwalder, Messner und Willeit. Frasnelli fiel durch. Der engagierte Arbeitnehmer ging unter, weil der Traminer Deutschnationale Werner Micheli vier Stimmen für Frasnelli nicht in die Wahlurne warf. 1995 verurteilte die Partei Micheli, 1996 nach einer Anzeige von Frasnelli das Bezirksgericht Meran. Mit einer Straftat verhinderte also 1991 ein Stimmzähler Frasnellis Einzug in die Parteiführung.
Im Jahr 1992 trat Roland Riz als Übergangsobmann zurück. Mehrere Kandidaten bewarben sich für die Obmann-Nachfolge, darunter Siegfried Brugger, Franz Pahl, Hubert Frasnelli, Oswald Schiefer, usw. Zwei rockten regelrecht die Landesversammlung, der »Stahlhelm« Pahl mit scharfen ethnischen Tönen, nicht weniger dezidiert Frasnelli, der für eine soziale Autonomie warb.
Siegfried Brugger und die anderen Mitbewerber fielen mit ihren Bewerbungsreden nicht sonderlich auf. Martha Ebner, die eine Bozner Ortsgruppe im Kursaal in Meran vertrat, lobte Frasnelli für seine visionäre Rede. Hätte man sich nicht vorher auf Brugger festgelegt, würde sie für Frasnelli stimmen, sagte sie sinngemäß. Das System hatte sich aber auf Brugger festgelegt, schreibt Hubert Frasnelli in seiner bitterbösen Abrechnung Die Herrschaft der Fürsten, Macht, Zivilcourage und Demokratie in Südtirol.
Brugger siegte und blieb bis 2004 an der Spitze der Partei. Später folgten noch Elmar Pichler-Rolle, der sich gegen Dieter Steger durchsetzte, Richard Theiner und Philipp Achammer, der seit zehn Jahren die Partei führt. Bei diesen Wahlen standen immer mehrere Kandidaten zur Auswahl, es gab also das Interesse, Obmann der Volkspartei zu werden.
Das scheint der Vergangenheit anzugehören. Nur mehr ein Kandidat bewirbt sich um die Achammer-Nachfolge, Parlamentarier Dieter Steger. Er soll sich, so ein Vorwurf, wenig um den eigenen Bezirk Bozen Stadt und Land kümmern. Ein dürftiges Zeugnis für die Obmannschaft der Gesamtpartei.
Steger, der Konkursverwalter?
In einem Stol-Interview sagte Steger, dass sich niemand um den Job reiße. Kein Wunder, das einst riesengroße Vertrauen in die SVP ist dahin. Steger traut sich aber zu, Vertrauen wieder zu gewinnen: »[…] das ist machbar, auch wenn wir alle wissen, dass es 5 vor 12 ist. Wir müssen endlich aufhören mit den internen Streitereien und Grabenkämpfen. Wir müssen wieder zusammenstehen«, appelliert Steger im Stol-Gespräch an seine Partei.
Es ist inzwischen wohl 5 nach 12. Warum soll die Partei zusammenstehen, wenn man mit den ehemaligen politischen Feinden koaliert? Die Parteichefin der einstigen Feinde, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (FdI), kommt in Südtirol gut an. Die Autonomie – wenn auch löchrig genug – wird als normal und selbstverständlich und nicht mehr als ein anzustrebendes Ziel empfunden.
Der Politikwissenschaftler Günther Pallaver kam in seiner kritischen Betrachtung der SVP schon vor Jahren zum Schluss, dass sich die SVP-Bilanz sehen lassen kann. Es scheint, ihr eigener Erfolg ist der SVP auf die Füße gefallen. Der Erfolg macht sich angesichts der Wahlergebnisse überflüssig.
Wird also der künftige Parteiobmann so etwas wie ein Konkursverwalter sein, der das einstige Erfolgskonzept nur mehr abwickelt? Die SVP, ein Fall für den Mistkübel der Geschichte?
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