Der Meraner Publizist Jimmy Milanese durfte im Alto Adige eine untergriffige Breitseite »abfeuern«: »Letteratura russa, gli ucraini interrompono la conferenza«. In seinem publizistischen Visier Ukrainerinnen und Ukrainer, die am vergangenen Freitag gegen eine Upad-Veranstaltung in Meran demonstrierten. Die Flüchtlinge aus der Ukraine wandten sich gegen den Kulturabend im Studien- und Forschungszentrum Palladio zum Thema russische Literatur.
Milanese skandalisierte sich darüber, dass die ukrainischen Demonstrant:innen den Literaturabend unterbrachen. Große russische Literatur stand nämlich im Mittelpunkt, moderiert von Irina Panteley. Die ehemalige russische Journalistin ist eine Propagandistin. Ihre These über den russischen Krieg in der Ukraine, der bereits 2014 hat, entspricht dem Regime-Narrativ, nachzulesen in ihrem Artikel Europas offene Wunde in der Pustertaler Zeitung (2015).
Panteley verharmlost ungeniert den russischen Kriegspräsidenten, stellt Russland als Opfer US-amerikanischer Arroganz dar, beschimpft die ukrainische Regierung als durch und durch nationalistisch, die diplomatische Umschreibung für »Nazi-Regierung«, wie das Putinregime gekonnt die demokratische Ukraine »beschmutzt«. Diese Panteley sollte also einen russischen Kulturabend moderieren, der mit dem russischen Krieg nichts zu tun hat?
Nur zur Erinnerung: Gerade in diesen Tagen vor zwei Jahren fielen russische Soldaten über die ukrainische Kleinstadt Butscha her. Die Invasoren spulten ihr ganzes »Programm« ab, von Raub und Diebstahl, Vergewaltigung und Mord. Ein Fall von sehr vielen. Hunderte solcher Fälle von Kriegsverbrechen zählten internationale Beobachter.
Wegen des aktuellen Krieges bat der ukrainische Konsul in Mailand, Andrii Kartysh, in einem Schreiben um eine Vertagung der Veranstaltung. Aus Respekt vor den Opfern der russischen Invasion. Die Bitte kümmerte die Upad nicht. Statt das Gespräch mit den Demonstrant:innen zu suchen, holte sie sich die Hilfe der politischen Polizei Digos. Die Upad warf den Ukrainer:innen vor, Irina Panteley eingeschüchtert zu haben. Milanese zitiert in seinem Alto-Adige-Artikel die Upad-Verantwortlichen, dass es beim Abend ausschließlich um die großartige Literatur Puschkins ging — nicht um den russischen Krieg gegen die und in der Ukraine und nicht um pro-russische Propaganda.
Spiegel-Journalist Mikhail Zygar schreibt in seiner Kolumne Was kann Puschkin denn für Putins Krieg?, »ironischerweise beklagt sich die russische Propaganda über eine ‘Kultur der Annullierung’ – doch die härteste Annullierung russischer Künstler findet in Russland selbst statt.« Das russische Regime betreibe einen gezielten Kulturkrieg, der Putin stärke. Der Kriegspräsident behauptete, schreibt Zygar, dass versucht werde, die russische Kultur zu zerstören. Anders formuliert, die Upad machte sich mit ihrer Veranstaltung zur nützlichen Idiotin des Putinregimes.
Verwunderlich ist auch die »journalistische« Arbeit des Publizisten Milanese. Von den ukrainischen Protestierenden kam niemand zu Wort, stattdessen belehrte er die ukrainischen Flüchtlinge, den Upad-Verantwortlichen Luigi Cirimele zitierend, der die Stadt Meran und das Land als Beispiele dafür präsentierte, wie man mit »dissidi etnici« umgehe und dass dies auch in der Ukraine möglich werde. Keine Ahnung von nichts.
Eine der Protestierenden bedauerte, dass das Zentrum Palladio auf seiner Facebook-Seite die Initiatorinnen des Protests blockierte. Das macht auch das Regime in Moskau.
Auf Salto hat Iryna Panchenko, auch sie Kriegsflüchtling aus der Ukraine, bedauert, dass EU-Größen phantastische pro-ukrainische Sonntagsreden von sich geben. Sie kritisierte auch den angeblichen nur der russischen Literatur gewidmeten Kulturabend im Meraner Palladio. Panchenko wundert sich über die journalistische Darstellung des Kulturabends und des Protests dagegen.
Mit ihrem Protest gegen russische Literaturabende stehen die urkainischen Aktivist:innen nicht allein. Der in St. Petersburg geborene Autor Andrej Kurkow sieht russische Autoren »als Vasallen des Kreml« und fordert die Totalblockade russischer Kultur.
Wie würde wohl die »muslimische« Gemeinschaft reagieren, fragt sich Panchenko, wenn ein Abend über die »große israelische Kultur« organisiert werden würde? Fakt ist, dass sich die jüdische Gemeinde in Meran nicht traut, ihr saniertes Museum in der Synagoge öffentlich vorzustellen. Aus Angst vor pro-palästinensischen Demonstrant:innen, die zurecht den unverhältnismäßigen Krieg Israels in Gaza kritisieren, die zu Hamas-Freunden mutierten.
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