In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung bescheinigt IT-Experte Christoph Moar dem Zustand der Digitalisierung in Südtirol ein fortgeschrittener zu sein. Unser Land gehöre “zu den voran stürmenden Regionen Europas”. Ich maße mir nicht an, ein Urteil über diesen Befund abzugeben, da mir schlicht Expertise und Einblick dafür fehlen. Und in der Tat habe ich auch schon gute Erfahrungen mit Digitalisierung in Südtirol gemacht. Aber angesichts des nun folgenden Beispiels – wenngleich es sich lediglich um anekdotische Evidenz handelt – kommen mir schon auch Zweifel am “Musterschüler” Südtirol.
Bereits im Jahr 2016 hat Simon einen Artikel über das von der Mailänder Firma i-Faber im Auftrag des Landes geführte Portal www.ausschreibungen-suedtirol.it geschrieben, in dem er die stellenweise völlig unverständlichen Formulierungen in der deutschsprachigen Version der Website kritisiert. Drei Jahre später machte Simon schließlich aus beruflichen Gründen selbst Bekanntschaft mit dem Portal und berichtet in einem weiteren Artikel über komplizierte Abläufe, nicht nachvollziehbare bzw. verwirrende bis widersprüchliche Anforderungen und schlampige bis katastrophale Übersetzungen.
Weitere fünf Jahre später war nun ich an der Reihe, dieses – als best practice – angepriesene Portal kennenzulernen. Ich halte als Privatperson auf Honorarnotenbasis sporadisch Vorträge zu unterschiedlichen Themen in Schulen und in der Erwachsenenbildung. Für meinen jüngsten Auftrag wurde mir von Seiten der gastgebenden Schule mitgeteilt, dass ich mich für eine Beauftragung beim Informationssystem Öffentliche Verträge (www.ausschreibungen-suedtirol.it) anmelden müsse. Zunächst war ich guter Dinge, da ich hoffte, dass dadurch das nervige Zettelwerk, durch das man sich bei jedem solchen Auftrag kämpfen muss, der Vergangenheit angehören sollte. Schließlich erspart man sich durch solche Datenbanken das Mehrfach-Ausfüllen und digitale Formulare können ja ohne großen Aufwand automatisch und dynamisch an die spezifischen Bedürfnisse des Nutzers angepasst werden.
Zu Beginn wird nach der “Bezugsperson” gefragt. Da wurde ich dann auch gleich etwas stutzig, als ich zwischen “gesetzlicher/e (sic) Vertreter/in” und “Bevollmächtigter/e” (sic) wählen musste. Ich entschied mich dafür, dass ich von nun an also der gesetzliche Vertreter meiner selbst sein würde. Beim folgenden Drop-down standen dann “Geschäftsführer/in”, “alleiniger/e (sic) Geschäftsführer/in”, “Verwaltungsratsmitglied”, “Präsident/-in des Verwaltungsrates”, “Gesellschafter/in”, “gesetzlicher/e (sic) Vertreter/in” und “Bevollmächtigter/e” (sic) zur Auswahl. In Ermangelung einer tatsächlich zutreffenden Funktion entschied ich mich neuerlich für “gesetzlicher/e (sic) Vertreter/in”. Dann folgte das Kapitel “Daten des Unternehmens”. Jetzt wurde ich richtig stutzig. Ich kontrollierte nochmals nach, ob ich nicht irgendwo übersehen hatte, dass man zwischen “Privatperson”, “Freiberufler” und “Unternehmen” wählen konnte und sich das Formular dynamisch anpasst. Doch diese Auswahl gab es nirgends.
Jedenfalls sollte ich nun in einem Pflichtfeld (wenn dieses nicht ausgefüllt ist, kann man mit der Registrierung nicht fortfahren) den Rechtssitz meines Unternehmens angeben, das ich nicht habe. So beschloss ich, mich noch spät am Abend per E-Mail an den Support zu wenden. Erstaunlicher- und lobenswerterweise erhielt ich trotz fortgeschrittener Stunde nach wenigen Minuten Antwort. Neben einer verständlichen Erklärung und einem Link zu einem Handbuch stand dort zu lesen:
Alle Felder mit rotem Sternchen sind Pflichtfelder und müssen ausgefüllt werden. Sollte eine Position nicht auf Sie zutreffen, können Sie das Feld mit „0“, sofern es sich um Ziffernfeld handelt oder „nicht anwendbar“ bei Textfeldern ausfüllen.
Ich füllte also alle Zahlenfelder mit “0” aus und schrieb in die Textfelder “nicht anwendbar”. Die Auswahl des Landes erfolgte jedoch über ein Drop-down-Menü, in welches man freilich nichts eintragen konnte. Die Option “keines” stand allerdings nicht zur Auswahl. Ich wende mich wieder an den Support und erhalte neuerlich rasche Antwort:
den Staat für den Rechtssitz des Unternehmens muss ausgefüllt werden. Die ist ein einheitliches Formular für Firmen, Freiberufler und Privatpersonen, auch wenn Rechtssitz steht, können Sie hier Ihre Daten eingeben.
Da diese Auskunft ein Aufruf zu einer behördlichen Falscherklärung ist, frage ich nochmals nach:
Habe ich das richtig verstanden: Obwohl ich Privatperson bin, tu ich so, als ob ich ein Unternehmen wäre und gebe z. B. als Rechtssitz meines “Unternehmens” meine Privatadresse an und erkläre, dass ich der “gesetzliche Vertreter” meiner selbst bin? Kommt mir zwar ein bisschen eigenartig vor, aber wenn es so sein soll …
Neuerlich erhalte ich umgehend eine Antwort (der Support funktioniert zumindest):
genau, man wählt einfach aus was am Nächstens zutrifft und in den Felder, welche händisch auszufüllen sind, 0 oder keine. Es gibt zur Zeit keine andere Möglichkeit.
Obwohl ich Bauchweh bei der Sache habe, tue ich, wie mir geheißen. Es folgen über 30 Felder (z. B. Angewandte Kollektivverträge anführen, Gesellschaftskapital, Voraussetzungen gemäß Art. 90 D.P.R. 207/2010, Zertifizierungen von Dritten für Produkte, Umweltzertifizierungen usw.), die meist auf mich als Privatperson nicht zutrafen. Nachdem ich in gut 90 Prozent aller Felder “0”, “nicht anwendbar” oder “keine” eingetragen hatte, drückte ich auf “weiter” – mit folgendem Ergebnis:
Schwärzung von mir
Ich habe statt “0” dann auch “nicht anwendbar” und “keine” versucht – das Ergebnis blieb das gleiche. Ohne Mehrwertsteuernummer, die ich nicht habe, komme ich nicht weiter.
Völlig entnervt wende ich mich wieder an den Support:
Guten Nachmittag,
Sie können da wahrscheinlich am wenigsten dafür, aber das ist ein Witz. Ich geb’s auf.
Habe jetzt bei Mehrwertsteuernummer “0”, “keine” und “nicht anwendbar” probiert (siehe Screenshots), aber bei keiner Variante komme ich weiter. Es verlangt weiter nach einer Mehrwertsteuernummer, die ich nicht habe. Ebenso bin ich nicht gewillt, eine (weitere) Falscherklärung abzugeben, indem ich einfach eine Mehrwertsteuernummer erfinde oder eine bestehende irgendeines Unternehmens verwende.
Das kann es echt nicht sein. Die öffentliche Hand verlangt von mir, dass ich – belegt mit meiner Steuernummer – Falscherklärungen mache (ich bin kein Unternehmen) und stellt dafür – im Sinne der Entbürokratisierung – ein unfertiges Portal zur Verfügung, das für Privatpersonen und Freiberufler nicht funktioniert und für solche eine Anmeldung verunmöglicht, welche aber von der öffentlichen Schule, für die ich den Vortrag halten soll, verlangt wird.Jedenfalls war ich jetzt mit den bürokratischen Notwendigkeiten – ohne an ein Ende zu kommen – länger beschäftigt, als mein Vortrag überhaupt dauert. So rentiert sich das für mich nicht mehr, wenn ich da Stunde um Stunde vergeuden muss. Das ist sehr schade. Schilda lässt grüßen.
Bitte leiten Sie meine Beschwerde an die zuständige Stelle weiter.
Vielen Dank und nichts für ungutMit freundlichen Grüßen
Harald Knoflach
Am folgenden Tag erhalte ich einen Anruf vom zuständigen Amt aus Bozen. Eine freundliche Dame, der ich mein Leid, meinen Ärger und mein Erstaunen schildere, klärt mich alsdann auf, dass ich im Feld der Mehrwertsteuer einfach 11-mal die “0” eingeben müsste, dann sollte es funktionieren. Logisch. Warum bin ich Trottel da nicht selbst draufgekommen? Eine Mehrwertsteuernummer hat 11 Stellen. Das System überprüft nicht die Nummer, sondern lediglich die Anzahl der Stellen. Wenn man also elf Nullen eingibt, ist das System überlistet. Wahnsinn! Was für ein Dilettantismus! Und im Prinzip wieder eine Falscherklärung. Da müssen Programmierer aus der Hölle am Werk gewesen sein. Wer bitte kommt auf so etwas (im 21. Jhd.)? Und wer bitte geht davon aus, dass Nutzer das durchschauen? Zumal bei allen anderen Nummern (z. B. Matrikelnummer INAIL) eine einzige “0” genügt. Einen Hinweis “Wenn Sie über keine Mehrwertsteuernummer verfügen, geben Sie bitte 11-mal die “0” ein”, sucht man nämlich vergeblich.
Ich gebe die elf Nullen ein und komme auf die nächste Seite. Dort muss ich die “Erklärungen nach Artt. 45 und 46 des Kodex” (?!?!) machen. In einem Drop-down darf ich auswählen, welche Art von Wirtschaftsteilnehmer ich sei.
Ich gehe nach dem Ausschlussverfahren vor. Ich bin weder Sozialgenossenschaft noch Konsortium. Also bleiben übrig: (a) Ein Wirtschaftsteilnehmer nach Art. 45 Abs. 2 Buchstabe a) des GVD Nr. 50/2016 oder (b) Ein Wirtschaftsteilnehmer nach Art. 45 Abs. 1 des GVD Nr. 50/2016. Da mir eine neuerliche Supportanfrage peinlich ist, konsultiere ich das Handbuch, denn die “i”-Buttons sind in den meisten Fällen auch nicht wirklich hilfreich oder überhaupt leer.
Leider ist das Handbuch genauso Schrott. In dem von einem Autor aus der Hölle verfassten Werk steht nämlich einfach nur beschrieben, was ich ohnehin auf dem Bildschirm sehe, aber nicht, was die einzelnen Auswahlmöglichkeiten bedeuten bzw. was sich hinter den kryptischen Bezeichnungen verbirgt. Randbemerkung: Erstaunlicherweise erzeugt die Auswahl des Wirtschaftsteilnehmers ein dynamisches Formular. Es ginge also. Warum allerdings nicht gleich zu Beginn ein solches erzeugt wird, indem ich zwischen “Privatperson”, “Freiberufler” und “Unternehmen” wähle, bleibt i-Fabers Geheimnis.
Notgedrungen wende ich mich also wieder an den E-Mail-Support:
wurde heute angerufen und bin mittlerweile doch einen Schritt weiter.
Können Sie mir sagen, welche Art von Wirtschaftsteilnehmer ich als Privatperson bin? (siehe Screenshots)
Die mittlerweile ebenfalls etwas genervt klingende Antwort:
bitte hier nach dem Ausschlussprinzip vorgehen, dh. Sie sind ein „Wirtschaftsteilnehmer nach Art. 45 Abs. 2 Buchstabe a) des GVD Nr. 50/2016“
Wobei ich ja genau das getan habe:
Ok. Danke. Die Bezeichnung “Einzelunternehmen einschließlich Handwerksbetriebe, Handelsgesellschaften, Genossenschaften” war für mich ein solches Ausschlusskriterium.
Ich erkläre also – meiner Meinung nach wiederum falsch -, dass ich ein “Einzelunternehmen einschließlich Handwerksbetriebe, Handelsgesellschaften, Genossenschaften” bin. Danach klicke ich mich noch durch gefühlte tausend Güterkategorien, die völlig random daherkommen und von denen 99 Prozent nicht auf mich zutreffen, und kann die Registrierung abschließen. Man heißt mich willkommen:
Ganz im Sinne der genderfluidility liest mich das System offenbar als weiblich. Der Name “nicht anwendbar” rührt daher, dass das System gleich zu Beginn nach Namen und Daten der “Bezugsperson” für den Antrag fragt, welche ich ordnungsgemäß ausgefüllt habe. Am Ende des Formulars kommt neuerlich exakt die gleiche Frage nach der “Bezugsperson”, die ich dann mit “nicht anwendbar” beantwortet habe. Die anderen Fauxpas (Datum, das keines ist, Beistrichfehler, Provincia Autonoma di Bolzano …) hat bereits auch Simon vor fünf Jahren bemängelt.
Somit bin ich beim letzten Schritt angelangt, der Eintragung ins telematische Verzeichnis. Ich fülle den Antrag aus, signiere ihn digital und lade ihn hoch. Und Überraschung:
Die Signatur wird offenbar nicht erkannt. Ich klicke auf “Details” und es passiert … nichts. Also warum nicht mal ein E-Mail an den Support schreiben? Die vermissen mich dort bestimmt schon.
Das ist echt wie verhext. Ich bin kurz vor dem Durchdrehen. Ich hab das Dokument jetzt digital signiert (mit ID Austria – einer Signatur im Standard von Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 vom 23. Juli 2014 (siehe Anhang) und bekomme aber die Meldung, dass die Signatur nicht erkannt wurde (siehe Screenshot).
Auch auf der anderen Seite liegen die Nerven blank:
das Portal ist keine Zertifizierungsstelle, Sie können das Dokument trotz der Meldung hochladen und versenden. Die Signatur wird von der Vergabestelle außerhalb des Portals mit der entsprechenden Software geprüft.
Warum kommt dann diese fucking Fehlermeldung? Dann lasst die doch weg, wenn das System die Validität der Signatur eh nicht prüfen kann und der Link zu “Details” tot ist! Soll man das riechen, dass das alles so planmäßig ist? Wie bescheuert (vulgo benutzerfeindlich) kann man sein?
Das vorliegende Portal ist offenbar das Ergebnis eines millionenschweren Auftrages des Landes an i-Faber, der auch die “zunehmende Anwenderfreundlichkeit” zum Inhalt hat. In einer Presseaussendung aus dem Jahr 2017 heißt es:
Vergabeagentur: Auftrag für Plattform an i-Faber erneuert
Maximal 1,37 Millionen Euro wird das Mailänder IT-Unternehmen in den nächsten drei Jahren für Betreibung, Ausbau und Verbesserung der Vergabe-Plattform erhalten
Die Kontinuität in puncto Plattform der Agentur für die Verfahren (AOV) ist gewahrt. In Gegenwart von Landeshauptmann Arno Kompatscher haben heute (15. Dezember) der Direktor der Landesagentur für öffentliche Aufträge AOV, Thomas Mathà, und der Direktor des Mailänder IT-Unternehmens i-Faber, Luca Bondini, den Vertrag für die Zusammenarbeit in den nächsten drei bis fünf Jahren besiegelt.
Der Dienstleistungsvertrag umfasst alle Aufgaben, die mit der Führung der Vergabeplattform zusammenhängen, allem voran die Weiterentwicklung der Plattform in Richtung zunehmender Anwenderfreundlichkeit, neue Funktionen, die fortlaufende Weiterbildung der Vergabestellen in den Körperschaften, die Ergänzungen aller Handbücher und Dokumentationen ebenso wie die Wartung in Störungsfällen. “Über eine weiter verbesserte Funktionalität, auch in visueller Hinsicht, soll die Plattform dieses äußerst komplexe System der Ausschreibungen etwas einfacher und nachvollziehbarer machen, ohne dessen Rechtssicherheit zu beeinträchtigen”, sagt Mathà.
Hervorhebungen von mir
Zumindest auf der Startseite ist von dieser vertraglich offenbar vereinbarten verbesserten Funktionalität “in visueller Hinsicht” nicht viel zu sehen. Mehr noch – die Seite scheint seit ihrer Liveschaltung 2010 optisch überhaupt nie verändert worden zu sein. Ganze 14 Jahre – eine Ewigkeit in der digitalen Sphäre. Der Dinosaurier verfügt dementsprechend auch nicht über responsive design. Aber wer steigt heutzutage auch schon mit Smartphone ins Internet ein? Ein Screenshot vom 19. März 2016 zeigt die Seite jedenfalls im exakt gleichen Erscheinungsbild wie heute – knapp acht Jahre und einen Millionenauftrag später.
Screenshot von 2016 (Quelle: Wayback Machine)
Heutiges Erscheinungsbild
Wir fassen zusammen: Die Digitalisierung, die das Potential hat, Prozesse zu vereinfachen, zu beschleunigen und weniger personalintensiv zu machen, wurde derart dilettantisch von Programmierern aus der Hölle oder zumindest aus dem vorigen Jahrhundert umgesetzt, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich habe was weiß ich wieviel Zeit für eine vermeintlich einfache Anmeldung gebraucht, die ohne Hilfe nicht zu bewältigen ist (Stichwort: 11-mal die “0” eingeben). Ich habe aufgrund der anti-intuitiven Umsetzung unnötig Personalressourcen binden müssen, weil es sechs Mails und ein Telefonat gebraucht hat, um mich durch den Prozess zu führen. Ich wurde zu Falscherklärungen genötigt, weil das digitale Formular keine flexible Handhabung erlaubt. Ich musste mich durch unzählige irrelevante Informationen klicken, weil mein Status (Privatperson, Freiberufler oder Unternehmen) nicht zu Beginn abgefragt und das Formular nicht entsprechend angepasst wurde.
Fazit: Die Chance, bei Auftragsvergaben eine Entbürokratisierung zu erreichen, wurde grandios vertan und ins Gegenteil verkehrt. Das ist angesichts der bisherigen bürokratischen, repetitiven Zettelflut (inkl. Stempelmarke!) in der Tat eine Leistung.
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