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Der Wählerwille, die Italienerinnen und der Rechtsruck.
Eine Widerrede

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In den Kommentarspalten findet man seit den Wahlen vom 22. Oktober immer wieder zwei miteinander verwandte, aber nicht deckungsgleiche Argumente für die Zusammenarbeit der SVP mit FdI, Lega, F und La Civica:

  1. Eine Koalition der SVP mit den Recht(sextrem)en entspreche dem zum Ausdruck gebrachten Wählerwillen.
  2. Die italienischen Mitbürgerinnen hätten großmehrheitlich Rechtsparteien gewählt.

Eine Widerrede:

Zu Punkt 1

Bei demokratischen Wahlen geben Wählerinnen einer Partei ihr Vertrauen. Sie sprechen sich grundsätzlich nicht über ihre präferierten Koalitionen aus, wenn diese erst nach der Wahl gebildet werden, weshalb jede Mehrheit gleichermaßen demokratisch legitimiert ist. Man kann höchstens sagen, dass beispielsweise eine Mehrheit aus 25 von 35 Abgeordneten mehr Bürgerinnen vertritt als eine Mehrheit aus 18 von 35 Abgeordneten. Wobei auch hier unklar bleibt, ob die Wählerinnen der koalierenden Parteien die Koalition und das Koalitionsprogramm goutieren oder nicht.

Einen Sonderfall stellen Koalitionsaussagen dar, die vor der Wahl gemacht werden. Hier muss davon ausgegangen werden, dass zumindest ein Teil der Wählenden eine bestimmte Partei auch deshalb gewählt hat, weil sie eine bestimmte Koalition in Aussicht gestellt bzw. ausgeschlossen hat. Nachträglich von einer eindeutigen Koalitionsaussage abzurücken, ist zwar nicht strafbar, aber unseriös und wählerverachtend.

Im konkreten Fall können wir festhalten, dass eine Regierungsmehrheit mit 19 Mitgliedern stets dieselbe demokratische Legitimation hat — egal ob sie aus SVP, FdI, Lega, F und La Civica oder aus SVP, Team K, PD und Südtirol mit Widmann besteht, um nur eines von zahlreichen möglichen Beispielen zu nennen. Ja, die Südtirolerinnen haben am 22. Oktober — wie hier bereits dargelegt — rechten Parteien anteilsmäßig mehr Stimmen gegeben als bei der Landtagswahl von 2018. Doch es waren wenigere als bei der Landtagswahl von 2013, in deren Folge eine demokratisch völlig legitime Koalition aus SVP und PD gebildet wurde.

Ob es zwischen 2018 und 2023 nicht nur nach Parteien, sondern auch nach gewählten Abgeordneten überhaupt einen Rechtsruck gegeben hat, müsste man ohnehin näher untersuchen. Es herrscht ziemlich große Einigkeit darüber, dass sich in der SVP vor allem die dem Landeshauptmann nahestehenden, nach allgemeiner Lesart »progressiveren« Kandidatinnen durchsetzen konnten, während die Parteirechte abgestraft wurde. Wenn nun Wählerinnen, die 2018 rechte Kandidatinnen in der SVP gewählt hatten, einfach nicht mehr SVP und stattdessen rechte Kandidatinnen anderer Parteien gewählt haben, würde das den Rechtsruck zumindest relativieren. Die Volkspartei wäre demnach (obschon sie nun nach rechts schaut) eher nach »links« gerückt, im Gegenzug haben rechte Parteien Sitze dazugewonnen.

Zu Punkt 2

Eine gar nicht unähnliche Überlegung kann man bezüglich der italienischen Rechten anstellen: Viele italienische Mitbürgerinnen haben sich gar nicht zur Wahl begeben — doch die, die es gemacht haben, haben neben italienischen Rechtsparteien sowohl den PD als auch Grüne, Team K oder SVP gewählt. Wer nicht wählen geht, kann bei Koalitionsbildungen nicht berücksichtigt werden. Für alle anderen gilt: Es wäre unfair, ihr Wahlverhalten einfach zu ignorieren.

Dass drei von fünf Landtagsabgeordneten, die der italienischen Sprachgruppe angehören, rechts sind — bzw. vier von fünf, wenn wir La Civica dazuzählen —, heißt keineswegs, dass die Bürgerinnen der italienischen Sprachgruppe, die nicht zuhause geblieben sind, mehrheitlich rechts gewählt haben.

Wir können sogar mit einiger Gewissheit davon ausgehen, dass die italienischsprachigen Wählerinnen von »interethnischen« und »deutschen« Parteien eher nicht rechts gesinnt sind, während vor allem Rechtsgesinnte transethnischem Wahlverhalten abgeneigt sind. Das würde heißen, dass der SVP umso mehr nur rechtsgesinnte Abgeordnete italienischer Sprache übrigbleiben, je mehr sich linksgesinnte Italienerinnen politisch »integrieren« und von einer rein ethnischen Wahl abkommen. Anders ausgedrückt: Es ist eine Art selbsterfüllende Prophezeiung, dass »die Italienerinnen« hauptsächlich rechts wählen, wenn wir zur Beurteilung ihres Wahlverhaltens nur die Abgeordneten heranziehen, die der italienischen Sprachgruppe angehören.

Den angeblichen Wählerwillen (vgl. Punkt 1) der italienischen Mitbürgerinnen daran festmachen zu wollen, ob es mehr rechts- oder linksgerichtete Abgeordnete italienischer Sprache gibt und dies als Argument für eine Koalition mit der einen oder anderen politischen Seite zu verabsolutieren, könnte dann unter Umständen einer groben Missachtung dessen entsprechen, was die italienischen Mitbürgerinnen in ihrer Gesamtheit tatsächlich gewählt haben.

Cëla enghe: 01 02



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Comentârs

One response to “Der Wählerwille, die Italienerinnen und der Rechtsruck.
Eine Widerrede

  1. Harald Knoflach avatar
    Harald Knoflach

    Hervorragend analysiert.
    Möchte noch anfügen: Oft ist auch von “abgewählt” und “Wahlverlierern” die Rede. Natürlich können Parteien/Listen Stimmen/Prozentpunkte verlieren. Aber wer eine Mehrheit zustande bringt, ist nicht abgewählt und hat die Wahl gewonnen.

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