von Hans Heiss (Historiker, ehem. LAbg.)
Die Entscheidung des Parteiausschusses der Südtiroler Volkspartei für ein Rechts-Rechts-Rechts-Bündnis von FdI, Lega und F war absehbar. Sie schockiert aber dennoch, da sie den Blick auf zwei Richtungen öffnet: Zum einen auf das Wertesystem und das Innenleben der Partei, zum anderen auf die künftige Allianz und ihre Folgen. Hinzu kommt eine dritte Konsequenz, vielleicht die schwerwiegendste. Hierzu halten wir zehn Punkte fest:
- Die Hauptwerte der SVP sind heute Machterhalt, Pragmatismus und Zielorientierung, mit einem Wort: Opportunismus. Prinzipien und Grundsätze gelten wenig, umso mehr das Erreichen der Sektorenziele.
- Die hauptsächlichen SVP-Sektorenziele lauten: Rückgewinnung von Kompetenzen und Bestimmungen der Autonomie, fortgesetzte Finanzhoheit auf hohem Niveau, Wohlstandssicherung, Herrschaft im ländlichen Raum, Sicherheit und Kontrolle, vor allem der Migration.
- Drängende Ziele der Landesentwicklung sind für die SVP dagegen sekundär: Abbau sozialer Schieflagen, Schutz der Schwächeren, wirkungsvolle Klimapolitik, Gleichstellung der Geschlechter, Stopp des Brain-Drain, Gestaltung statt Duldung von Migration, Neuausrichtung wirtschaftlicher Sektoren gehören aus SVP-Sicht in den politischen Second-Hand-Shop.
- Landeshauptmann Kompatscher denkt in wesentlichen Stücken anders, ist aber die willige Geisel seiner Partei. Die SVP hat mit seiner Schützenhilfe bei den Wahlen eine Totalniederlage abgewehrt, ihn nun aber wieder domestiziert. Während der LH bei der Koalitionsbildung eine Niederlage erlitten hat, erleben wir zugleich die Wiederauferstehung des Parteiobmanns. Beide Herren sind Teil des innerparteilichen Stockholm-Syndroms: In der Parteilogik gefangen, identifizieren sie sich mit ihr.
- Die SVP-Allianz mit den drei Koalitions-Musketieren FdI, Lega, F (und der Civica als Bonus) wird Erfolge in Sachen Autonomie bringen, aber langfristig den Gencode der SVP weiter im Pragmatismus verknöchern lassen, ohne Scheu vor Opportunismus. Statt »In Vielfalt geeint« wird die Devise künftig lauten: »Im Machterhalt versteinert«.
- Die SVP wurde 1945 nicht gegründet, um den Pragmatismus hoch leben zu lassen. Ihr Ziel war das Gegenteil: In einem Zentralstaat Minderheitenschutz und Autonomie zu ihrem Recht zu verhelfen, also das Unmögliche möglich zu machen. Die aktuelle Beschränkung auf das Machbare, auf den Minimalismus der Autonomie-Wiederherstellung, ohne jedes weitreichende Ziel, lässt die Partei verdorren.
- Die Fratelli d’Italia haben sich — wie PO Achammer einmal festgestellt hat —, um 360 Grad gedreht. Damit sind sie aber wieder an der Ausgangsposition angelangt. FdI sind in wesentlichen Stücken rechtsextrem. Sie werden niemals eingestehen, was der Faschismus für Südtirol bedeutet hat, dass er der Minderheit den Garaus machen wollte. Dass er in Europa der Türöffner des Nationalsozialismus war und in seiner neuen Fratelli-Variante der befrackte Oberkellner des europäischen Populismus.
- Die neue Allianz wird es gut hinkriegen, das gesellschaftliche Klima in Südtirol noch weiter nach rechts zu drehen: »Rechts« bedeutet, soziale Ungleichheit als natur- und schicksalshaft anzuerkennen, Bürger*innenrechte zu schwächen, die Nation über alles zu stellen, kurzum — nur das persönliche Interesse, die eigene Gruppe im Auge zu haben. Der Rechtstrend bedeutet Härte und Ausgrenzung, im Extremfall sogar Gewalt.
- Die neue Allianz wird einen Südtiroler Grundtrend weiter verstärken: Die Tendenz, den Schlauen zu spielen, den eigenen Vorteil zu sehen, sich um die Rechte anderer wenig zu kümmern. Dieser Grundtrend wird andere Südtiroler Tugenden überschatten: Leistungsbereitschaft, Einsatz, Solidarität werden das Nachsehen haben.
- Die SVP gibt mit dieser Koalition nicht nur einen Gutteil der eigenen Wertmaßstäbe preis. Sie öffnet innergesellschaftlich Tür und Tor zu einer neuen Beliebigkeit. Sie signalisiert: Es ist weitgehend egal, mit wem man sich abgibt. Hauptsache, das selbstgesteckte Ziel wird erreicht. Mit diese Haltung beschädigt die Partei nicht nur die eigene Glaubwürdigkeit, sie beschädigt auch Südtirol.
Dieser Beitrag ist auch bei Salto erschienen. Wiedergabe mit Genehmigung des Autors.
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