Ein Horror, diese neue Landesregierung aus SVP und Fratelli d’Italia.
Die gerupfte Volkspartei, ihr zerzauster Spitzenkandidat Arno Kompatscher und der durchgerüttelte Obmann Philipp Achammer wagen ein Experiment. Sie holen die neofaschistischen Fratelli d’Italia in die neue Landesregierung. Für Kompatscher ist das keine Liebes-, sondern eine Vernunftehe.
Die Entscheidung des Parteiausschusses war unmissverständlich, eine übergroße Mehrheit stimmte für Verhandlungen mit den Fratelli d’Italia. Die Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist nicht irgendeine Rechtspartei, die Fratelli stammen von der Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini ab, diese wiederum vom neofaschistischen MSI, gegründet von ehemaligen faschistischen »Hierarchen« der Repubblica di Salò.
Die Enkelin dieser Typen, Giorgia Meloni, soll plötzlich die Autonomie begrüßen, sie gar »ausbauen«? Meloni empfahl Südtirolerinnen und Südtirolern, die sich »österreichisch fühlen«, auszuwandern.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Es kam wie es kommen musste. Vor den Parlamentswahlen vor einem Jahr stellte die Tageszeitung Dolomiten, das »Tagblatt der Südtiroler«, Giorgia Meloni eine ganze Seite zur Verfügung. Der Athesia-Partner im Kampf gegen Wolf und Bär, der Bauernbund, warf sich dem neuen Landwirtschaftsminister Lollobrigida an den Hals. Ein Hardliner, die Speerspitze der Kameradschaft.
Bauernbund und Athesia gaben schon vor fünf Jahren den Koalitionstakt vor, damals mit der Lega. Jetzt mit den Fratelli d’Italia. Arno Kompatscher begründet sein Agieren mit dem Wählerwillen. Damit liegt er zweifelsohne nicht falsch. Eine Mehrheit der deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler ist mit der Regierung Meloni zufrieden. Der Klagenfurter Professor Hans Karl Peterlini begründet die Meloni-Zustimmung mit der konservativen und rechten Grundhaltung im Land. Also ist eine Koalition mit den Neofaschisten die logische Schlussfolgerung. Grauenhaft!
Bianchi Tricolore
Grauenhaft sind auch die rechts-rechten Akteure, die neuen Partner der SVP. Christian Bianchi, Bürgermeister in Leifers in einer rechten Koalition mit der SVP, konnte in seinem kommunalen Labor diese Koalition reichlich testen. Sie funktionierte, wohl auch deshalb, weil die Rechten sich gefunden haben, weil es keine sprachlich-ethnischen Konflikte gibt, sprechen doch auch die deutschsprachigen Leiferer meist italienisch. Bianchi steht für italienische Einsprachigkeit.
In einem Facebook-Post, als Antwort auf einen Kommentar der Grünen Brigitte Foppa, stellte Bianchi fest, dass die deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler keine sprachliche Minderheit sind. Für Bianchi sind es die »Altoatesini«. Die Angehörigen der Staatsnation eine Minderheit? Die »Philosophie« der alten italienischen Rechten. Früher wäre die SVP dagegen Sturm gelaufen.
Bianchi entpuppte sich auch als Fan der Frecce Tricolori, die vor einigen Wochen eindrucksvoll manifestierten, wer die Herren im Hause sind. Kritik und Proteste gegen die Frecce disqualifizierte Bianchi als extremistisch, der Applaus seiner rechten Freunde war gesichert: »Quello che mi fa GODERE […] loro hanno dovuto RESPIRARE IL SACRO TRICOLORE«, kommentierte ein Bianchi-Anhänger eindrucksvoll. Die neuen Partner werden wohl die SVP zum nächsten Rundflug der Frecce einladen. Hoffentlich!
Noch mehr nationalistischen Tiefgang pflegen die beiden Abgeordneten der Fratelli d’Italia. Marco Galateo, für die Fratelli im Bozner Gemeinderat, rückte nach der Wahl des Langzeitabgeordneten Alessandro Urzì ins italienische Parlament in den Landtag nach. Bei den Landtagswahlen Ende Oktober holte er für seine Partei 6,1 Prozent. Überraschend wenig, obwohl der stramme Kämpfer Giorgia Meloni und ihre Regierung im Rücken hat.
Weil ein nicht unbeträchtlicher Teil der italienischen Wählenden bei der Wahl zu Haus blieb, schrumpfte der italienischen Anteil im Landtag. Von acht auf fünf Abgeordneten. Galateo und seine rechte Formation richteten eine klare Forderung an die SVP, ihnen stünden in der neuen Landesregierung trotz Schrumpfens zwei Landesräte zu. Er empfahl großzügig, das nervige Autonomiestatut dahingehend abzuändern. Das lässt erahnen, dass die Autonomiepolitik der rechts-rechten Landesregierung mit dem Autonomieerbe nichts mehr zu tun hat.
Das furchterregende Duo Scarafoni/Galateo
Galateo verstand sich gut mit den »Faschisten des dritten Jahrtausends«, so definierten sich die Anhänger von CasaPound. Der mögliche Landeshauptmann-Vize betätigte sich als Reiniger der faschistischen Stele hinter dem faschistischen Siegesdenkmal in Erinnerung an die Beteiligung des faschistischen Italiens im spanischen Bürgerkrieg auf der Seite des putschenden Generals Franco.
Seine Mitkameradin, Anna Scarafoni, outete sich als radikale Schwulen- und Lesben-Feindin, verortet den Klimawandel als alarmistische Propaganda. Die homophobe Klimaleugnerin wirbt auch für eine völlig andere Bildungspolitik, sie plädiert für die »mehrsprachige Schule« wie in der autonomen Region Aosta. Fakt ist, dass dort aus der angedachten mehrsprachigen inzwischen eine einsprachige italienische Schule wurde.
Wie werden die SVP und die »deutschen« Partner, die Freiheitlichen, mit diesen gegensätzlichen Positionen der italienischen Rechten umgehen? Alessandro Urzì, Präsident der Sechserkommission für die Südtirolautonomie, sagte der Neuen Südtiroler Tageszeitung: »Widersprüchlichkeit ist ein Kennzeichen der SVP. Die SVP ist eine bequeme und opportunistische Partei. Sie sucht sich jenen Partner aus, der ihr am meisten weiterhilft.«
Ob das so sein wird? Ministerpräsidentin Meloni kündigte die »Reparatur« der beschädigten Autonomie an. Eine fragwürdige Ankündigung, folgt man den Überlegungen von Sigmund Kripp auf Salto. Noch fragwürdiger findet Kripp die Begründung der SVP, mit den Fratelli eine Koalition zu bilden, weil diese ja in Rom an der Macht sind:
Das ist autonomiepoltisch ein neuer, höchst interessanter Ansatz: Wir bilden nicht jene Regierungskoalition, die uns am besten im Land passt, (z.B. eine mit Kräften, denen Nachhaltigkeit und sozialer Friede ein Anliegen ist), sondern kopieren die jeweils in Rom sich an der Macht befindliche! Das ist für mich die komplette Aufgabe aller Autonomie! […] Also totaler politischer Autonomieverzicht, um irgendwelche Artikelchen durchzubringen?
– Sigmund Kripp
Mit dieser Koalition bricht die SVP ein Tabu. Niemals mit Faschisten. Noch vor einem Jahr konnte sich Parteiobmann Achammer keine Landesregierung mit den Fratelli vorstellen. Auch deshalb nicht, weil Ministerpräsidentin Meloni die Südtirolautonomie in das Gesamtspektrum der nationalen Einheit einordnen will. Aber »was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?«
Diebische FPÖ-Freude
Platz in diesem toxischen Mix haben auch die Freiheitlichen. Nach dem Wahlsieg von Meloni vor einem Jahr tönte die freiheitliche Ulli Mair auf Salto:
Das große Schreckgespenst sehe ich allerdings nicht in ihr, (…) ich kann mir durchaus vorstellen, dass man auch unter Meloni Positives für Südtirol erreicht.
– Ulli Mair (F)
Die ehemaligen Kameradinnen und Kameraden der Freiheitlichen, die FPÖler, zählten nach den Parlamentswahlen in Italien zu den ersten Gratulanten von Giorgia Meloni. So twitterte der FPÖ-Europaparlamentarier Harald Vilimsky: »Italiener holen sich ihr Land zurück, bravissimo!«
Die Landesparteiobfrau der FPÖ Salzburg und Stellvertreterin von Parteichef Herbert Kickl, Marlene Svazek, freute sich riesig über den Wahlerfolg von Meloni:
Eine starke Frau an der Spitze Italiens. Ganz ohne Quote und mit der Unterstützung von Männern wie Matteo Salvini im Rücken. In Italien hat man trotz mehrerer rechter Parteien erkannt, dass dieses Lager geeint auftreten und die Beste an die Spitze muss. Dann ist offenbar alles möglich.
– Marlene Svazek (FPÖ)
Südtirol reiht sich ohne Not rechts ein. Die kleine Schwester im Trentino, der PATT, ist Teil der rechts-rechten Allianz von Landeshauptmann Fugatti. Der traditionsreiche Partito Sardo d’Azione schloss sich vor Jahren schon ebenfalls dem rechten Bündnis an.
Wer wird wohl in der SVP für Druck in Richtung Fratelli gesorgt haben? Europaparlamentarier Herbert Dorfmann? Darf er bei den Europawahlen im nächsten Jahr mit den Fratelli kandidieren? Die europäische Rechte formiert sich neu, sie möchte Manfred Weber von der Fraktion der Volksparteien im Europaparlament ins Boot holen. Der spanische Versuch, die Volkspartei PP und Vox-Faschisten zu pushen, scheiterte. Schrecklich diese Vorstellung, dass die nicht weniger traditionsreiche SVP Teil eines Bündnisses wird, in dem Faschisten und Putin-Anhänger den Ton angeben.
»Ich bin mir bewusst, dass es in der SVP konservative Kräfte gibt, die mit den Positionen der Regierungschefin übereinstimmen. Vom linken Flügel der Partei erwarte ich mir jedoch einen konsequenten Antifaschismus und eine grundsätzliche Ablehnung eines Bündnisses mit Fratelli d’Italia«, hoffte Andreas Unterkircher, SVP-Mitglied und LGBTQIA-Aktivist laut der Neuen Südtiroler Tageszeitung.
Ob diese noch auszuhandelnde rechts-rechte Landesregierung zum Sargnagel der SVP wird? Die SVP nach 78 Jahren im Todeskampf?
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