Die EVP kritisiert die geplante Amnestie katalanischer Bürgerinnen und Bürger als einen Anschlag auf die Unabhängigkeit der Justiz.
Der geschäftsführende spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat sich auf einen Deal geeinigt. Seine Regierung wird katalanische Aktivistinnen und Aktivisten sowie Mitglieder katalanischer Parteien amnestieren. Im Gegenzug unterstützen die katalanischen und baskischen Parteien seine Wahl im Parlament.
Die spanische Justiz, rechtskonservativ durchseucht, ging gegen die erwähnten Katalanen wegen des illegalen Unabhängigkeitsreferendums vor sechs Jahr hart vor. Vorwurf: Korruption und Terrorismus sowie Veruntreuung und Missstände in der Verwaltung.
Als Korruption und Veruntreuung gelten die Informationskampagnen der katalanischen Parteien für das Referendum, als Terrorismus gilt das Referendum. Manche sprachen deshalb gar vor einer politischen Verfolgung.
Die spanische Rechte, die nationalkonservative Volkspartei PP und die Neofaschisten von der Vox, mobilisieren seit Tagen den Protest gegen die geplante Amnestie. Ein Anschlag auf die Verfassung und Rechtsstaatlichkeit, halten die Rechten Ministerpräsident Sánchez entgegen.
Referendum ist gleich Terrorismus?
Die spanische Volkspartei wird als Mitglied der Fraktion von der Europäischen Volkspartei EVP tatkräftig unterstützt. Besonders vom Vorsitzenden Manfred Weber von der CSU, der im spanischen Wahlkampf für einen Wahlsieg der Rechten — PP und Vox — warb. Noch einmal: Das EVP-Mitglied PP mobilisiert geifernde antikatalanische Spanierinnen und Spanier gegen die geplante Amnestie zugunsten katalanischer Bürgerinnen und Bürger.
Diese wollten mit friedlichen Mitteln die Eigenstaatlichkeit erreichen. Nicht mit terroristischen Aktionen, sondern mit dem Stimmzettel. Die damalige konservative Regierung ließ 2017 Wählende von der Guardia Civil niederknüppeln. Die polizeilichen Übergriffe waren eher autoritär-totalitär, keineswegs demokratisch.
In einer gemeinsamen Erklärung befinden Weber und die spanische Europaparlamentarierin Dolors Montserrat, dass der Amnestiepakt angeblich die Gefahr berge, die Gewaltenteilung zu verletzen und die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben. Die Nationalkonservativen verweisen auf eine ähnliche Stellungnahme des spanischen Justizrates.
Die spanischen und europäischen Sánchez-Gegner blenden aber auch die Zustimmung zur geplanten Amnestie aus. Mehr als 200 Juristen, unter ihnen der ehemalige Richter am Nationalen Gerichtshof, Baltasar Garzón, veröffentlichten ein Manifest für die Amnestie. Die Verfassung verbiete das Amnestiegesetz nicht, argumentieren die Juristen. Mit der Amnestie werde die Versöhnung vorangetrieben.
Diese Stellungnahme wird von den konservativen und nationalistischen Gegnern nicht zur Kenntnis genommen. Die EVP sucht im Europaparlament nach weiteren Unterstützern für ihr Anliegen, besonders im rechten Lager. Federführend dabei der CSUler Manfred Weber. Bereits in der nächsten Woche soll sich das Europaparlament mit der rechtsstaatsgefährdenden Amnestie beschäftigen.
Weber will ein anderes Europa
Weber zählt zu den europäischen Politikern, die die neofaschistische italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den rechtsradikalen Fratelli d’Italia »reinwaschen« wollen. Die CSU scheint ein großes Verständnis für den illiberalen Viktor Orban — Putins Lautsprecher in der EU — zu haben, liebäugelt mit Rechtsaußen in vielen EU-Staaten usw. Manfred Weber scheint den politischen Kompass verloren zu haben. Oder ist diese Rechtspositionierung die eigentliche, bisher gut verborgene, Grundüberzeugung von Weber?
Es mutet zynisch an, wenn spanische rechte EU-Abgeordnete die Einigung zwischen der spanischen Linken und den katalanischen Parteien als Untergrabung des Prinzips der Gleichheit vor dem Gesetz verurteilen. Die EU sollte ihre Prinzipien und Werte bewahren und Maßnahmen zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit ergreifen. Wurden 2017, als die spanische Regierung katalanische Wählende von der Guardia Civil niederknüppeln ließ, nicht auch rechtsstaatliche Prinzipien mit Polizeiknüppeln »getreten«?
Warum reagierte damals nicht die EU auf das doch brutale Vorgehen des spanischen Staates gegen katalanische Bürgerinnen und Bürger? Auch wenn das Referendum »illegal« war, war es friedlich, die Menschen wollten abstimmen, das Urprinzip der Demokratie.
EU-Justizkommissar Didier Reynders forderte die geschäftsführende spanische Regierung auf, »detailliertere Informationen, insbesondere über den persönlichen, materiellen und zeitlichen Geltungsbereich des geplanten Gesetzes« nach Brüssel zu übermitteln. »Wir zählen darauf, dass die europäischen Institutionen … diesen Pakt stoppen, der die Rechtsstaatlichkeit und die Gleichheit der Bürger in Spanien untergräbt, so wie sie es bereits in anderen Ländern getan haben«, teilte die EVP mit.
Die Fäden des »Widerstandes« gegen den Sozialisten Sánchez und seine baskischen und katalanischen Partner organisiert in Brüssel EVP-Chef Weber. Vordergründig geht um das hehre Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, letztendlich aber um die Macht in Brüssel.
Die PP hat faschistische Wurzeln
Weber scheint es egal zu sein, dass die spanische Volkspartei PP wenig mit mitteleuropäischen Volksparteien zu tun, sie ist sehr weit rechts positioniert. Immerhin wurde sie von ehemaligen Parteigängern des Faschisten Francisco Franco gegründet. Wohl auch deshalb ist es naheliegend, dass sich die PP mit der neofaschistischen Vox — ungeschminkte Franco-Verherrlicher — blendend versteht. PP und Vox sind radikale Gegner der baskischen und katalanischen Autonomie. Vox will die autonomen Regionen gar abschaffen.
Das Kesseltreiben gegen die geplante Amnestie wird von einer Partei organisiert, deren Gründer Franco-Kameraden waren. Die Vorgänger der PP strebten nach dem Tod Francos Mitte der 1970er Jahre eine Generalamnestie für die Franco-Faschisten (empfehlenswerte Lektüre auch für einen Europaparlamentarier: Geo-Epoche – Der spanische Bürgerkrieg) an. Der Start in das neue demokratische Spanien hat also einen gravierenden Geburtsfehler, die Faschisten wurden allesamt von ihren Verbrechen freigesprochen. Die politischen Franco-Nachfahren hetzen jetzt gegen die Amnestie und gegen den »Verräter« Sánchez.
Die entgrenzte Hetze von PP und Vox gipfelte in eine Stellungnahme des Verbandes Asociación Pro Guardia Civil, auch Blut zu vergießen, um die Amnestie zu verhindern. Das Innenministerium kündigte eine Untersuchung an.
Enric Juliana von der spanisch-katalanischen Tageszeitung La Vanguardia wundert sich über die hysterische Aufregung in Spanien und in der EVP. Sein Hinweis: »Die Financial Times und The Economist, führende Zeitungen der internationalen Wirtschaft, haben die Amnestie für katalanische Separatisten unterstützt. Andere angelsächsische Publikationen wie The Times und The Wall Street Journal haben es kritisiert«, kommentiert Juliana.
Er erinnert auch daran, dass wichtige europäische Regierungen, wie die Deutschlands und Frankreichs, das Ergebnis der Parlamentswahlen in Spanien im vergangenen Juli als gute Nachricht begrüßten, weil die extreme Rechte von einer möglichen Regierungsbildung ausgeschlossen wurde.
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