Die Türkei feierte kürzlich ihren 100. Geburtstag, gedachte dem Republiks-Gründer Mustafa Kemal Atatürk. Vor dem Geburtstagsfest rief Atatürks Nachfolger, der Islamist Recep Tayyip Erdoğan, seine Landsleute zu einer Kundgebung gegen Israel und für die von Ankara betreute klerikal-faschistische Hamas auf. Alles hängt zusammen, nicht aber für die deutschen Medien.
Atatürk kam als moderner Republikaner daher, als angeblicher Westler, als großer Reformer. Kein Wort über Armenier, Griechen, Kurden.
Atatürk zählte zur nationalistischen jungtürkischen Bewegung, die im Ersten Weltkrieg zur Jagd auf die armenische Bevölkerung aufrief. Mehr als 1,5 Millionen Menschen kamen ums Leben. Die neue, moderne Türkei entstand auf einem Leichenberg, die Armenier sprechen vom Aghet, ihrer Shoah, ihrem Holocaust. Erst Jahre später nannte Atatürk diesen Völkermord eine Schandtat der Vergangenheit. Zu offensichtlich waren die jungtürkischen Verbrechen. Seitdem ist der Aghet ein staatstragendes Tabu in der Türkei.
Bevor Atatürk seine Republik gründen konnte, besiegte seine Armee 1921 die griechischen Truppen in der westlichen Türkei, einst traditionelles griechisches Siedlungsgebiet. Die türkische Armee vertrieb die kleinasiatischen Griechen sowie die die Pontos-Griechen an der Schwarzmeerküste. Mehr als 1,5 Millionen alteingesessene Griechen wurden aus dem Land getrieben, darunter 50.000 Armenier. Griechenland, es litt lange unter der eisernen osmanischen Faust, vertrieb seinerseits türkische Landsleute, mehr als eine halbe Million. Menschen als Rangiermasse auf dem Reißbrett der Politik und des Militärs. Diese »ethnischen Säuberungen«, die Vertreibungen, erhielten den beschönigenden Titel »Bevölkerungsaustausch«.
Sanktioniert wurde diese furchtbare Politik mit dem Vertrag von Lausanne, mit dem die Grenzen der heutigen Türkei gezogen wurden. Atatürk, der Gründer der heutigen Türkei, der Vater der Türken.
Ihm reichten diese ethnischen Säuberungen nicht. Er wollte einen Staat schaffen für ein Volk und eine Sprache. 1925 probten die Kurden in Südostanatolien, eigentlich Türkisch-Kurdistan, einen Aufstand. Die muslimisch-konservativen Kurden forderten die Wiederherstellung des Kalifats und regionale Autonomie. Eine kurdische Misstrauenserklärung, die Atatürk brutal niederschlagen ließ. Tausende wurden ermordet und die Bevölkerung kurdischer Distrikte westwärts deportiert. Die antikurdischen und antiislamischen Maßnahmen trugen auch die Aleviten mit, die später ebenso ins Visier des türkischen Staates gerieten.
Das Atatürk-Leitmotiv »Ein Staat, eine Nation, eine Sprache« wurde zum Verhängnis für alle nicht-türkischen Bevölkerungsgruppen. Für die christliche Nationalitäten wie Armenier und Assyrer sowie für die muslimischen Kurden. Opfer dieser Politik wurden auch die Juden. Atatürk verstand sich als »oberster Lehrer der Nation«, der nach der Zerschlagung des Sultanats und des Kalifats eine türkische Identität schaffte.
Er betätigte sich als Ahnenforscher: Attila und Dschingis Khan, deren Wurzeln Atatürk in Mittelasien ausmachten, machte er zu den Vorfahren der Türken.
Sein Nachfolger, Präsident Erdoğan, fühlt sich dieser Atatürk-Ideologie offenbar verpflichtet. Er agiert auf der Seite der Aseris gegen die Armenier von Arzach, auf der Seite der syrischen Islamisten gegen die Kurden und auf der Seite der Hamas gegen Israel.
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