Die eigenen Wählenden haben die »Ständepartei« abgewählt
Die SVP ist keine Volkspartei mehr. Eine Entwicklung, die vor Jahren schon eingeleitet wurde, setzte sich bei den Landtagswahlen vom vergangenen Wochenende tiefgreifend fort. Die Rechten — wie Franz Pahl oder Roland Atz — gibt es nicht mehr. Früher hieß er der volkstümliche Flügel. Der schlägt nun außerhalb der SVP, bei Süd-Tiroler Freiheit, Freiheitlichen, JWA.
Verlorengegangen ist der SVP aber auch ein beträchtlicher Teil der Liberalen, der Ökosozialen, der Arbeitnehmenden. Inzwischen fest eingemeindet — nicht nur geduldet mit einem Aufenthaltsstatus — bei den Grünen und beim Team K.
Und blieben SVP-Wählende zuhause, weil sie einer Koalition mit den neofaschistischen Fratelli d’Italia nichts abgewinnen können? Auf ihrer Psycho-Sitzung werden sich die SVP-Granden hoffentlich mit vielen unbequemen Fragen auseinandersetzen.
Politikwissenschaftler Hermann Atz beschreibt den Schrumpfungsprozess als Normalisierung. Eine Entwicklung, die die verkalkten Strukturen der SVP begünstigten. Die SVP mag zwar wie keine andere Partei in allen Gemeinden verankert sein, die Gremien vor Ort, an der Basis, sind aber meist in den Händen der Interessengruppen, beschönigend umschrieben. Im Klartext: Die Lobbys haben sich die SVP-Ortsgruppen unter den Nagel gerissen.
Die SVP zerstöre sich selbst, warnte Simon Constantini nach verschiedenen Meinungsumfragen vor einem Jahr. In seiner Analyse warf er der SVP vor, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigten und das Soziale genauso wie ihre Kernthemen — wie Autonomie und Minderheitenschutz — zu vernachlässigen.
Die einstige Volkspartei mauserte sich zu einem Dachverband der Oligarchen und Eliten, die das Land in einen Selbstbedienungsladen umfunktionierten. Die Öffentlichkeit empfindet wohl auch deshalb die SVP als eine Freunderl-, Selbstbedienungs- und Lobbypartei. Diesen Eindruck bestätigten eindrucksvoll Christoph Franceschini und Artur Oberhofer mit ihren Büchern Die Freunde im Edelweiß und Das Geschäft mit der Angst.
SVP ohne Kompass
Auch die einst hochgezogene Brandmauer gegen die postfaschistischen Fratelli wurde aktiv eingerissen. Dafür sorgten das Lobbying des Bauernbundes und des Medienunternehmens Athesia. Kurz vor der Landtagswahl interviewten das Athesia-Blatt Dolomiten und Athesia online – Stol – die Ministerpräsidentin. Sie durfte die verschiedenen Durchführungsbestimmungen zur Autonomie als Eigenleistung verkaufen. Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) kam gar nicht vor.
Der Bauernbund und Athesia waren eine Wahlplattform für Fratelli d’Italia, agierten wie Südtiroler Filialen der Fratelli, eben fratelli sudtirolesi. »Zum wiederholten Mal bestätigt sich, dass der Einfluss der Athesia auf das Wahlverhalten der Südtirolerinnen überschätzt wird«, kommentierte Simon Constantini die anschließende Pleite. Ihre Kampagnen für Thomas Widmann, Fratelli und Harald Stauder von der SVP — ein bekennender Kompatscher-Gegner — wurden zu Rohrkrepierern, freut sich Constantini: »Alle drei schaffen es nur mit Ach und Krach in den Landtag und/oder bleiben deutlich unter den Erwartungen bzw. Befürchtungen.« Athesia hatte Widmann im Wahlkampf eine 16%-Stärke zugeschrieben. Wenn der Wunsch der Vater …
Aus vielen Gründen wurde die SVP, allen voran Obmann Philipp Achammer, kräftig gerupft. Sein Schlingerkurs zwischen den Freunden im Edelweiß und der Athesia sowie seine dürftige Loyalität gegenüber Landeshauptmann Kompatscher sind ihm offensichtlich zum Verhängnis geworden. Ob Achammer jetzt bereit ist, gemeinsam mit Kompatscher, der — trotz herber Verluste — weiterhin Spitzenreiter der Vorzugsstimmen ist, die Partei neu auszurichten?
Verpasste Erneuerung
Neue Kandidatinnen und Kandidaten aus dem Umfeld Kompatschers wurden in den Landtag gewählt. Der unabhängige Hubert Messner, der südtirolweit bekannte Ex-Primar, genauso wie Rosmarie Pamer und Peter Brunner, erprobte Kommunalpolitiker. Dazu Luis Walcher, Vizebürgermeister von Bozen. Der vom Bauernbund gestützte Kandidat zählt wohl zu den wenigen Kompatscher-Sympathisanten im SSB.
Bestätigt wurden, wenn auch geschwächt, die bisherige Vertrauensleute Kompatschers wie Daniel Alfreider und Arnold Schuler. Deshalb kommt Politikwissenschaftler Herman Atz zum Schluss, trotz der historischen Verluste gehe Kompatscher gestärkt aus dieser Wahl.
Ob die Partei es versteht, ihre starren und doch auch überholten Strukturen aufzubrechen? Vor fünf Jahren ließ die SVP im Wahlkampf selbständige Geister im Stich, wie Christa Ladurner von der AG Vereinbarkeit Familie und Beruf aktiv, Martin Telser vom Dachverband für Soziales, den unberechenbaren ehemaligen Kastelruther Bürgermeister Andreas Colli, inzwischen Abgeordneter der JWH-Liste. Den SVP-Wahlkampf managte damals Thomas Widmann, der auch den Immunologen Bernd Gänsbacher sträflich vernachlässigte, der ironischerweise bei diesen Landtagswahlen für die Widmann-Liste antrat.
Der ehemalige Malser Bürgermeister Ulrich Veith kam gar nicht auf die Kandidatenliste, weil er mit seinem Pestizid-Referendum den mächtigen Bauernbund nervte. Und auch den Parteiapparat, dieses Konglomerat verschiedener Interessengruppen.
Es scheint eine andere SVP zu geben, die bis heute wenig Chancen hatte, sich zu etablieren. Dafür sorgten die internen Kartelle. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn junge SVPler die Partei wieder verlassen. Jüngstes Beispiel dafür ist Lea Casal, bis vor wenigen Tagen noch SVP-Ratsmitglied in Margreid. Sie wechselte zu den Grünen. Die »alten weißen Männer« hatten die junge Casal ausgebremst. Ähnlich erging es dem Bozner Lukas Abram, der von der SVP zum Team K wechselte. Andere schlossen sich der JWA-Liste an. Keine Einzelfälle.
Wie weiter?
Weiter wie bisher führt weiterhin nach unten in den Wahl-Keller. Neue Rezepte und Konzepte sind notwendig. Arno Kompatscher würdigt die SVP als Sammelpartei, die eine moderne Antwort auf die Krisen sei. Modern deshalb, weil Dialog und Ausgleich das Leitmotiv sein sollen. Bisher hat sich das in der SVP nicht herumgesprochen.
Obmann Philipp Achammer könnte bei seinem Vorgänger Silvius Magnago nachblättern. Bei der ersten Landtagswahl erhielt die SVP sagenhafte 67 Prozent. 1963 waren es fast 64 Prozent. Acht Jahre später, nach einer deftigen nationalistischen Politik der italienischen Regierungen, nach Attentaten und Verhandlungen zwischen Wien, Bozen und Rom, pendelte sich die SVP bei 61 Prozent ein. Ein unglaublicher Prozentsatz.
Ein Jahr nach dem Inkrafttreten der neuen Autonomie, Paket plus Statut 1972, rutschte die SVP auf 56 Prozent ab. Magnago, Parteiobmann und Landeshauptmann, reagierte auf diese überschaubaren Verluste mit der Gründung der Arbeitnehmer. Später folgten weitere Strömungen. Magnago baute die SVP tatsächlich zu einer Volkspartei aus, garantierte Dialog und Ausgleich. Die Wählenden belohnten ihn, 1978 waren es wieder 61 Prozent. Bis zu seinem »Abgang« aus der Politik hielt Magnago seine Partei an der 60-Prozent-Marke.
Auch mit dem Luis ging es abwärts
Magnago hatte 1973 seinen »Einbruch«, mit dem kräftigen Abrutscher startete sein Nachfolger Luis Durnwalder 1993. Mit acht Prozentpunkten weniger, 52 Prozent, begann die Ära Durnwalder, die er und seine Gefolgsleute gern als überragend in der SVP-Geschichte darstellen. Eindeutig schönfärberisch.
Trotz des Machertums des hemdsärmeligen Durnwalder ging es weiterhin abwärts. Nach einer kurzen Erholung rutschte die SVP bei den Landtagswahlen 2008 auf 48 Prozent ab.
Nach 25 Jahren Landeshauptmannschaft übergab Durnwalder 2013 an Arno Kompatscher, damals Völser Bürgermeister. Durnwalder hielt mit seiner Meinung über Kompatscher nie zurück, damals ließ er wissen, dass er wenig von seinem Nachfolger hielt. Das wiederholte er auch ständig in den letzten zehn Jahren. Durnwalder fehlt die Größe eines Magnago, der sich nie öffentlich über die Arbeit Durnwalders geäußert hatte.
Die Landtagswahlen 2013 wurden ordentlich verhagelt, von den »goldenen Politikerpensionen«. Genüsslich rechnete die Tageszeitung Dolomiten vor, wie satt Politikerinnen und Politiker abgefunden werden. Dazu zählte auch Athesia-Präsident Michl Ebner, der aber auf den Wanted-Listen seiner Zeitung nie aufschien. Mit diesem medialen Schüren wollte das Tagblatt der Südtiroler den Neustart von Kompatscher vermasseln, was auch erfolgreich gelang. Eine Manifestation der medialen und politischen Stärke, ein Warnsignal der Athesia an Kompatscher.
Die SVP fuhr 2013 fast 46 Prozent ein, fünf Jahre später waren es nur mehr 42 Prozent. In der ausklingenden Ära Durnwalder platzte der Sel-Skandal, die Opposition kritisierte Gesetze der Landesregierung als Anlassgesetze zugunsten von Interessengruppen. Das wirkte nach, wie auch das unglaubliche Treiben der Freunde im Edelweiß und das Geschäft mit der Angst um den damaligen Landesrat Thomas Widmann. Zweifelsohne wird auch die wirtschaftsliberale Politik von Landeshauptmann Kompatscher zu einer Entfremdung zwischen der SVP und ihrem Wahlvolk beigetragen haben. Der Absturz auf 34 Prozent war die Folge. Die Wählenden präsentierten der SVP, angeblich eine Volkspartei, ihre saftige Rechnung.
Vor den Landtagswahlen freute sich ein grünes Urgestein über den sich ankündigenden politischen Frühling, über das weitere Brechen der eh schon dünn gewordenen SVP-Dominanz. Aber, fügte er nachdenklich hinzu, ob das letztendlich dem Land zugutekommt?
Nach innen, also in der Südtiroler Innenpolitik, werde die Schwächung der SVP eine politische Pluralisierung in Gang setzen, kommentierte Simon Constantini. Sein »Aber« wiegt jedoch inhaltlich deutlich schwerer, gerade wenn es um die Auswirkungen geht: Der Absturz der einst großen Minderheitenpartei könnte »mitunter als Zeichen missverstanden werden, dass den Südtirolerinnen die Autonomie nicht mehr so wichtig ist.«
Ein Signal an die rechtsrechte Regierung in Rom, die Autonomie einzufrieren, den Status quo beizubehalten, die Autonomie gar abzubauen, wie es in den letzten Jahren geschehen ist? Dann hätten sich die Südtirolerinnen und Südtiroler freiwillig ins Knie geschossen.
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