»L’impegno continua«, ruft ein lächelnder Salvini von den Wahlplakaten der Lega herab. In der Tat: »L’impegno per più traffico continua«.
In welcher Welt lebt Minister Matteo Salvini eigentlich, der gestern am Brenner für freie Fahrt für Lkw demonstrierte? Im Jahr 2022 haben 2,48 Mio. Lkw den Brenner gequert, Tendenz steigend, davon sind 29,5% laut Mobilitätsplan 2035 Umwegverkehr. Der gesamte innere Alpenbogen (Fréjus bis Brenner) wurde 2021 von 5 Millionen schweren Straßengüterfahrzeugen gequert. Der größere Teil davon benutzte die österreichischen Alpenübergänge. Allein 39,7 Mio. von insgesamt 72,5 Mio Tonnen (54,7%) des Straßengüterverkehrs zwischen Fréjus und Brenner hat die Brennerroute geschluckt. Bis 2040 soll das Verkehrsvolumen trotz Inbetriebnahme des BBT 2032 gemäß Südtiroler Mobilitätsplan um bloß 10,7% sinken. Damit wird die Brennerautobahn auf Jahrzehnte hinaus Mensch und Umwelt zwischen Kufstein und Verona belasten, wird der Haupttransitkanal der Alpen bleiben.
Auf der Brennerautobahn fährt ein gutes Drittel der 2,48 Millionen Lkw (Fahrten im Jahr 2022) nicht den Bestweg, sondern einen Um- bzw. Mehrweg. Das entspricht für 2019 880.000 Lkw — so die alle 5 Jahre erscheinende CAFT-Erhebung —, die eine um mehr als 60 km kürzere Alternativroute über einen anderen Alpenpass (vor allem Gotthard und Tauern) gehabt hätten. Nur 40% der Transit-Lkw über den Brenner sind laut CAFT auf dem Bestweg unterwegs, während am Gotthard 97% des Schwerverkehrs auf der Straße den kürzesten Weg nimmt. Nebenbei war der Gotthard-Basistunnel (Bahn) im Jahr 2022 nur zu 62% ausgelastet und hätte all diese Lkw aufnehmen können. Rund ein Fünftel aller Transit-Lkw auf der Brennerroute fahren sogar mindestens 120 km länger, nur um einige Euro zu sparen.
Fast 53 Millionen umsonst gefahrene Lkw-Kilometer: das ist ein Hohn auf das Prinzip der Kostenwahrheit. Es straft jene regierenden Politiker Lügen, die den Klimaschutz und »nachhaltige Mobilität« als Priorität ausgeben. Es führt die EU selbst vor, die eine eigene »Strategie für intelligente und nachhaltige Mobilität« verabschiedet hat, um die Klimaneutralität bis 2050 zu ermöglichen. Dabei würde es genügen, endlich die EU-Wegekostenrichtlinie (Eurovignette) anzuwenden. Im Klartext wäre das eine deutliche Mauterhöhung. Dann aber auch: keine dritte Fahrspur Verona Nord-Bozen Süd, Nachtfahrverbot, sektorales Fahrverbot, Blockabfertigung, Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h bei Pkw, Euroklassen-Fahrverbot, mehr Kontrollen, Alpentransitbörse mit streng gedeckeltem Jahreskontingent an Lkw-Fahrten.
Eine sehr spürbare Mauterhöhung (auch für Pkw) wird in Tirol angewandt, in Südtirol und im Trentino von den Landesregierungen viel zu wenig angemahnt. Dafür bräuchte es die Zustimmung von Deutschland und Italien, die derzeit weder Wissing noch Salvini geben würden. Solange die italienische Regierung willfährig Frächter- und Industrieinteressen zu Lasten von Gesundheit und Klima bedient, bleibt Klimaschutz eben reines Lippenbekenntnis; bleiben die Beteuerungen zur Verlagerung des Schwerverkehrs von der Straße auf die Schiene Nebelkerzen zur Beschwichtigung des Wahlvolks. Wenn die betroffenen Anrainer längs der A22 schon nicht aufbegehren, hätten sie in zwei Wochen zumindest an der Wahlurne eine Chance, ihre Unzufriedenheit zu zeigen.
Salvini polterte von wegen EU-rechtswidrigen Verkehrsbeschränkungen. Doch Umweg- statt Bestwegverkehr steht grundsätzlich in Widerspruch zu den Klimazielen und zur Mobilitätsstrategie der EU. Die EU hat im Klimagesetz vom 21.6.2021 die Reduktion der CO2-Emissionen um 55% bis 2030 festgelegt, Italien hat sich mit seinem Klimaplan PNIEC verpflichtet, bis 2030 die CO2-Emissionen um 40% zu reduzieren. Der Verkehr ist in Italien der einzige Bereich, in welchem die CO2-Emissionen seit 1990 nicht abgenommen, sondern (bis 2022) um 10% zugenommen haben. 90% dieser Emissionen stammen aus dem Straßenverkehr. Wenn die Brennerroute nicht verteuert und mit Priorität für die Auslastung der schon bestehenden Bahnkapazitäten reglementiert wird, wird weder der Umwegverkehr noch der Gesamtverkehr auf der A22 sinken, weder die NO2-Belastung der Anrainer noch die CO2-Belastung des Klimas. Freie Fahrt für fossil betriebene Lkw geht genau in die Gegenrichtung von Klimaschutz.
Nun ist es fast schon müßig, einen Minister, der extrem klimaschädliche Großprojekte in die Landschaft setzen will (Zement- und Stahlkoloss über die Meerenge von Messina) auf die klimaschädlichen Auswirkungen des Transit-Umwegverkehrs hinzuweisen. Doch überrascht die zögerliche Haltung von LH Kompatscher (SVP), der im Klimaplan die Reduzierung des Lkw-Verkehrs festschreiben ließ. Immerhin macht der Verkehr auf der A22 allein schon 37% der gesamten CO2-Emissionen aus dem Verkehr in Südtirol aus. Dort wo ein voller Schulterschluss mit dem Tiroler Landtag gefragt wäre, der einstimmig die Maßnahmen zur Beschränkung des Lkw-Transitverkehrs unterstützt, schlägt er eine »Vermittlung« zwischen Salvini und den Tiroler Nachbarn vor. Ganz so als wären die Nordtiroler zu weit gegangen, als wären die Anrainer im Wipp- und Eisacktal, in Bozen und im Unterland nur Zuschauer, nicht Opfer.
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