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Ernsthaftigkeit für ein ernstes Problem.
Femizide und der schlampige Umgang mit Fakten

Autor:a

ai

Gewalt gegen Frauen ist ein ernsthaftes Problem. Und gerade weil es ernsthaft ist, ist es wichtig, dem Problem seriös und auf Basis von Fakten zu begegnen. Was mir allerdings im Zuge der jüngsten Diskussionen aufgefallen ist: Selbst vermeintliche Expert/-innen argumentieren in diesem Zusammenhang mit Bauchgefühlen und schlichten Unwahrheiten. Das schadet der Sache und behindert zielorientierte Lösungen.

Beispielsweise sagt Carabinieri-Oberstleutnant Davide Perasso, Landtagskandidat des Team K, in einem A.A.-Artikel:

L’altro giorno: Celine, massacrata a Silandro. Sono passati vent’anni e non è cambiato niente. Anzi, la violenza sulle donne è aumentata in modo esponenziale. Questa cosa non riesco ad accettarla. I colleghi di Merano sono stati bravissimi a prenderlo al volo.

– Davide Perasso

Es ist schlichtweg falsch, dass die Gewalt an Frauen in den vergangenen 20 Jahren exponentiell zugenommen habe. Weder die Zahl der Femizide1Aufstellung lt. Organisationsteam des Frauenmarsches hat in dieser Zeit exponentielles Wachstum erfahren, noch gibt es irgendwelche mir bekannten Statistiken im Zusammenhang mit Gewalt an Frauen, die einen exponentiellen Zuwachs zeigen. Und obwohl sich die Anzeigemoral derartiger Delikte in unseren Breiten eher verbessert (und somit die Dunkelziffer kleiner wird), kann von exponentiellem Wachstum keine Rede sein. Zumindest was Femizide betrifft, ist eher das Gegenteil der Fall. Während in den vergangenen 20 Jahren in Südtirol 19 Frauen ermordet wurden, waren es in den nur 10 Jahren davor 16. Es geht mir nicht darum, Situationen und Verbrechen schönzureden. Wir brauchen Maßnahmen gegen Gewalt im Allgemeinen und Gewalt an Frauen im Speziellen. Aber wir dürfen nicht mit Falschbehauptungen ein Bild zeichnen, das nicht der Realität entspricht.

Ähnlich Christine Clignon, Präsidentin der Kontaktstelle gegen Gewalt an Frauen, in einem Interview mit der Tageszeitung:

Welche Rolle spielt bei Femiziden die Herkunft oder Kultur der Täter?
Gar keine. Die Gewalt an Frauen zieht sich quer durch alle Gesellschaftsschichten, unabhängig vom Herkunftsland, der Sprachgruppenzugehörigkeit oder der sozialen Schicht. Es ist ein Vorurteil, dass Menschen mit Migrationshintergrund gewalttätiger sind. Wenn man auf die letzten acht Frauenmorde in Südtirol seit 2020 blickt, waren (sic) ein Großteil der Täter waschechte Südtiroler.

– Christine Clignon

Was immer die Defintion eines “waschechten Südtirolers” ist – das mit dem “Großteil” geht sich einfach nicht aus. Von den letzten acht Frauenmorden, wurden 4 von ausländischen Staatsbürgern, 3 von deutschsprachigen Südtirolern (wobei einer davon die Tat bereits 2012 begangen hat, das Opfer aber erst nach 10-jährigem Koma verstorben ist) und einer von einem Italiener bzw. italienischsprachigen Südtiroler begangen. Die Aussage ist also schlichtweg falsch. Menschen mit Migrationshintergrund sind – aus unterschiedlichen Gründen – sowohl im Spektrum der Täter als auch der Opfer überrepräsentiert. Es bringt uns keinen Millimeter weiter, wenn wir in solch heiklen Angelegenheiten mit Unwahrheiten agieren. Damit spielt man nur rechten Hetzern in die Hände, die dann solche Aussagen als Beleg für “Vertuschung” oder was auch immer nutzen können. Was es vielmehr bedarf, sind jedoch differenzierte Betrachtungen der Situation und daraus abgeleitete, zielgerichtete Maßnahmen.
Ob Herkunft und Kultur eine Rolle spielen, kann ich nicht endgültig beurteilen und es stimmt natürlich, dass es in allen Gesellschaftsschichten und in allen Ecken der Welt Gewalt gibt – aber eben nicht notwendigerweise im gleichen Ausmaß. Ich glaube schon, dass der Kontext, in dem jemand aufwächst, eine Rolle für dessen Zugang und Einstellung zu Gewalt spielt. Falls das nicht der Fall wäre, wären ja sämtliche Erziehungsmaßnahmen, Bildungsprogramme und Sensibilisierungskampagnen sinn- und wirkungslos.

Break the Cycle-Kampagne von Save the Children

Jemand der im Taliban-regierten Afghanistan aufwächst, wo die Prügelstrafe zur Norm gehört, Männer Frauen und Kinder legal schlagen dürfen, ein sogenannter “Ehrenmord” bisweilen einen Strafmilderungsgrund darstellt oder gar ungesühnt bleibt und Frauen entrechtet sind, wird wahrscheinlich tendenziell einen anderen Zugang zu Gewalt – zumal gegen Frauen – haben, als jemand, der beispielsweise in Skandinavien sozialisiert wird, wo weltweit das höchste Maß an Gleichstellung erreicht ist. Was freilich nicht heißt, dass nicht auch Menschen aus Skandinavien gewalttätig sein können bzw. dass Menschen aus Afghanistan notwendigerweise gewalttätig sind. Aber die Sozialisierung im Zusammenhang mit Gewalt (gegen Frauen) ist eine unterschiedliche in den beiden Regionen – und hat wohl einen Einfluss auf die durchschnittliche Verbreitung von Gewalt als Lösungsansatz.

Cëla enghe: 01 02



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Comentârs

2 responses to “Ernsthaftigkeit für ein ernstes Problem.
Femizide und der schlampige Umgang mit Fakten

  1. artim avatar
    artim

    Es gilt sich auch mit dem Begriff “Femizid” (Tötung einer Frau wegen der Eigenschaft, Frau zu sein) selbst und den Bedeutungsspektren und deren Zuschreibungen auseinanderzusetzen.

    1. Harald Knoflach avatar
      Harald Knoflach

      Das stimmt. Ich habe die Liste der Femizide von den Organisatorinnen des Frauenmarsches übernommen.
      Wenn man sich die Fälle genauer ansieht, entsprechen nicht alle notwendigerweise der Femizid-Definition, wonach die betreffende Frau aufgrund ihres Geschlechtes ermordet wurde. Beispielsweise gab es da den Fall eines Familienvaters (der im Anschluss an die Tat einen Suizid versuchte), der neben seiner Frau auch die beiden Töchter (1,5 und 4). Man könnte mutmaßen, dass die Kinder auch ermordet worden wären, wenn sie männlich gewesen wären.
      In einem anderen Fall hat ein über 80-jähriger seine invalide Frau über Jahre gepflegt, war mit der Situation völlig überfordert und wollte die Frau wohl von ihrem Leid “erlösen” und wurde für unzurechnungsfähig erklärt. Auch dieser Fall trägt nicht die Merkmale des klassischen Femizids.
      Somit ist diese Zuordnung – aufgrund der Absenz objektiver Parameter – fraglich.

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