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Lieber Oskar…
Offener Brief

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Lieber Oskar Peterlini,

es wundert mich, dass Du eins zu eins russische Märchen über die Ostukraine nacherzählst. Im Morgengespräch auf Rai Südtirol konntest Du die Autonomie — zurecht — als Friedenspolitik präsentieren und hast dabei die Ukraine als exemplarisches Negativbeispiel zitiert. Deine These: Der ukrainische Staat hat gegenüber der russischen Minderheit jede Menge Fehler gemacht.

Das kann man so sehen. Das sieht das Putinregime so, die großrussischen Nationalisten, die ihr Russland in den Grenzen der untergegangenen Sowjetunion wieder auferstehen lassen wollen. In Kumpanei mit diesen Chauvinisten haben sich die Kommunisten eingerichtet, die von einer sowjetischen Wiedergeburt träumen.

Aber zurück zu deinem Auftritt bei Rai Südtirol. Da sagtest Du doch überraschenderweise, 2014 — nach Annexion der Krim — sei in Minsk nach Vermittlung westlicher Staaten ein Frieden ausgehandelt worden. Nein, diese Minsk-Vereinbarungen waren das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurden. In der angeblichen aufständischen pro-russischen Ostukraine kämpften keineswegs große separatistische Verbände gegen die Ukraine, sondern die Wagner-Söldner im Verbund mit russischen Truppenteilen.

Mafiöse Gruppierungen — als Vorbild galt der russische Staat — errichteten in den von ihnen besetzen Donbas-Gebieten ein Terrorregime, vertrieben eine Unzahl russischsprachiger Bewohner. Das beschreibt Stanislaw Asejew eindrucksvoll in seinem Buch Isoljazija, auf Russisch.

In der östlichen Ukraine, im Donbas und im Süden um die — inzwischen zerstörte — Stadt Mariupol begann der russische Eroberungskrieg gegen die Ukraine. Mehr als 13.000 Menschen starben seit 2014. Im Frieden?

Es geht nicht um Minderheitenrechte

Dem Putinregime ging es bei seiner Politik der Destabilisierung keineswegs um die russische Minderheit in der Ukraine. Bis zu 17 Prozent der Bevölkerung waren »ethnische Russen«, mehr als die Hälfte der Bevölkerung sprach russisch. Das russische Regime ließ nicht zum Schutz der ukrainischen Russen schon 2014 Wagner-Söldner und Armee-Einheiten einmarschieren, sondern um die westliche Hinwendung der Ukraine zu stoppen. Laut der radikalen großrussischen Ideologie sind die Ukrainer »Kleinrussen«, also Teil von Russland.

Ja, in Serie verursachten die ukrainischen Regierungen Fehler gegenüber den »ethnischen Russen«. Das ukrainische Handeln ähnelte dem Agieren der litauischen, estnischen und lettischen Regierungen. Nach Jahrzehnte langer staatlich verordneter »Russifizierung«, verbunden mit Deportationen und Kolonialisierung, setzten die drei baltischen Staaten auf eine antirussische Politik. Eine nationalistische Überreaktion auf das große sowjetische Assimilierungsprojekt. Nachvollziehbar, aber nicht sonderlich intelligent.

Die Ukraine, nachzulesen in den vielen gescheiten Büchern der Historiker Franziska Davis, Karl Schlögel, Martin Schulze-Wessel oder Serhii Plokhy, stand Jahrhunderte lang unter fremder Herrschaft. Mit wenigen Ausnahmen. Von den Tataren über die Osmanen, Polen und Russen — viele von ihnen drängten als landsuchende Bauern in die östliche Ukraine — mussten sich die Ukrainerinnen und Ukrainer bevormunden lassen, verharmlosend dargestellt. Später kam auch noch Habsburg hinzu, das aber immerhin die ukrainische Sprache und Kultur förderte.

Im Laufe des bolschewistischen Putsches 1917 erklärte sich die Ukraine unabhängig. Diese staatliche Freiheit schoss die Rote Armee des Leo Trotzki in Trümmer. Seitdem stand die Ukraine unter sowjetischer Herrschaft — und sowjetisch steht für russisch. In den 1930er Jahren provozierte das stalinistische Regime einen millionenfachen Hungertod in der Ukraine, dokumentiert von der Historikerin Ann Appelbaum. Nach dem gern verdrängten Hitler-Stalin-Pakt von 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in die Ukraine ein. Bis zu Millionen Ukrainerinnen und Ukraine wurden von Soldaten der Wehrmacht, der Waffen-SS und anderer Terrororganisationen des Nazistaates ermordet.

Nach dem Sieg der stalinistischen Sowjetunion 1945 setzten hunderttausendfache Verschleppungen aus der Ukraine ein. Die ukrainische Sprache blieb weiterhin verboten, konsequent unterdrückt wurden Kultur und Tradition. Aus Ukrainern sollten Russen werden, gemäß der gehätschelten »kleinrussischen« Ideologie, die die Ukrainer als die kleinen russischen Verwandten betrachtete.

Unabhängig, keine Kolonie

Den Zerfall der Sowjetunion unter dem KP-Chef Gorbatschow nutzte die Ukraine und erklärte sich unabhängig. Bei einem Referendum 1991 stimmte die Mehrheit der Bevölkerung, auch auf der Krim und im Osten des Landes, für die staatliche Eigenständigkeit. Russland schluckte die ukrainische Kröte, obwohl Demokraten und Kommunisten die russisch-ukrainischen Grenzen anzweifelten. Dies mündete unter der Präsidentschaft von Wladimir Putin in die Annexion der Krim und in den schmutzigen Krieg im Donbas. Das war der Probelauf für den russischen Angriffskrieg 2022.

Du erwähnst lobend die Autonomieinitiative von Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder 2015 im Donbas. Doch löblich war das keineswegs, denn Durnwalder ließ sich von westlichen prorussischen Rechten zum nützlichen Idioten machen. Unter der Schirmherrschaft von Putin, dem es nie um Autonomie ging, sondern um die Annexion der gesamten Ukraine.

Inzwischen »befreite« die russische Armee samt den Wagner- und Kadyrow-Killern die östliche Ukraine. Sie »befreiten« die russischsprachigen Ostukrainer von ihren Häusern, Dörfern und Städten; die sich nicht befreien ließen, wurdennach Russland deportiert. Der russische Vernichtungskrieg führte inzwischen dazu, dass viele russischsprachige Ukrainer nicht mehr russisch sprechen wollen, wie der Schriftsteller Andrej Kurkow. Mit seinem Krieg schweißte Putin die Ukrainer zusammen. Sie wollen nicht mehr der auszuplündernde Vorhof Russlands werden.

Und noch was, Oskar: Thomas Benedikter formulierte in seinem Buch 100 Jahre moderne Territorialautonomie – Autonomie weltweit unmissverständlich, dass es Autonomie nur in einem Rechtsstaat geben kann. Zitat: »Ohne Rechtsstaat und Demokratie keine Autonomie«. Die von importierten russischen Nationalisten und russischen Besatzern beherrschte östliche Ukraine ist kein rechtstaatlicher »Organismus«. Nein, es ist ein Land der organisierten Kriminalität.

Cëla enghe: 01


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Comentârs

2 responses to “Lieber Oskar…
Offener Brief

  1. Sergio Fratucello avatar
    Sergio Fratucello

    Es ist schwierg ein so komplexes Problem, wie der Ukrainenkrieg, in solchen Kommentare zu erörtern, eines fällt mir aber auf, und besonders fällt mir das im großen Teil der deutschsprachigen Information: das Wort USA. In keiner Weise wird daran erinnert daß es kein Krieg Russland-Ukraine ist, sondern eine Konfrontation der zwei Großmächte die auf Kosten des ukrainischen Volkes und Europa durchgeführt wird.

  2. Oskar Peterlini avatar
    Oskar Peterlini

    Ich teile einige Überlegungen von Wolfgang, eine einseitige Parteiergreifung finde ich aber problematisch. Das gilt auch für mich, deshalb lass ich mich nicht auf einer Seite einordnen. Für den brutalen Aggressionskrieg von Putin gibt es keine Rechtfertigung, da hat Wolfgang vollkommen recht. Das ist ein schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen das Völkerrecht. Aber ich versuche immer auch mit dem Kopf des Gegners zu denken, ohne es deshalb zu rechtfertigen. Und leider haben auch die Ukraine und der Westen ihre Schuld, zu dieser Aussage in der RAI-Südtirol stehe ich weiterhin. Aber ich möchte mich nicht mit Meinung gegen Meinung auseinandersetzen. Wissenschaftliches Arbeiten erfordert eine profunde Fakten- und Quellenanalyse. Wolfgang Mayr hat das möglicherweise getan. Ich bin ehrlich gesagt urlaubsreif und kann mich auf eine solch detaillierte Diskussion nicht einlassen. Ich habe ein Buch mit 660 Seiten über die Autonomie geschrieben, viele Länder analysiert, jede Zeile belegt, die Ukraine darin nicht behandelt, und möchte zumindest derzeit bei meinen darin behandelten Themen bleiben.

    Die zitierten Schlussfolgerungen von Thomas Benedikter teile ich ebenfalls mit Wolfgang vollkommen, sie sind auch in meinem Buch nachzulesen. Und mit der Grundaussage von Wolfgang, dass Diktaturen keine Freiheit gewähren, bin ich natürlich voll einverstanden.

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