Die SVP-Spitze und das Unternehmen Athesia verteidigen Silvio Berlusconi. Was gibt es da zu verteidigen?
Das war eine ungewohnte Einheitsfront gegen SVP-Senatorin Julia Unterberger und für Silvio Berlusconi: Verschiedene SVP-Größen, der Landeshauptmann, der Parteiobmann, der Europaparlamentarier, der über eine Listenverbindung mit Forza Italia ins Europaparlament gewählt wurde, die Frauenchefin fielen gemeinsam über Unterberger her. Mit im Chor das Unternehmen Athesia.
Senatorin Unterberger hatte sich im Senat mit einigen nachdenklichen Zeilen von Silvio Berlusconi verabschiedet. Moderat, aber auch kritisch. Unterberger hielt sich vornehm zurück. Nicht wie das britische Magazin Economist, das unmissverständlich textete: The man who screwed an entire Country, der Mann, der ein ganzes Land fickte. Das Magazin passte seine Wortwahl jener von Berlusconi an.
Die Geschichte von Berlusconi ist schnell erzählt: Aus dem Bauunternehmer wurde der größte Medienunternehmer des Landes. Die Herkunft seines Geldes blieb im Dunkeln, schreibt Armin Thurnherr im Falter, Mafiaverbindungen konnten nie nachgewiesen werden, weil der Kronzeuge im Gefängnis vergiftet wurde.
Gerichtlich festgehalten ist laut Falter, dass Berlusconi in den 1970er Jahren hohe Summen an die Mafia zahlte.
Der ehemalige Stadtrat von Mailand, der Sozialist Bettino Craxi, vergab Bauaufträge an Berlusconi, sorgte als Ministerpräsident später dafür, dass Berlusconi sein Medienimperium ungehindert großzügig erweitern konnte. Ohne irgendwelche gesetzliche Beschränkungen.
Nach dem Zusammenbruch der lange allmächtigen Democrazia Cristiana unter einer Serie von Korruptionsfällen gründete Berlusconi seine rechtspopulistische Forza Italia. Programm: Nationalismus light, kruder Liberalismus, rabiater Antikommunismus. Parteimacher war Marcello Dell’Utri, der 2010 wegen Verbindungen zur Mafia zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.
Berlusconi ging in die Politik, um seine maroden Medienunternehmen vor dem Konkurs zu retten. Mit eigenen Gesetzen, Anlassgesetzgebung für sich selbst. Laut Falter hinterzog er Steuern in der Höhe von einer halben Milliarde Euro. Der mehrmalige Ministerpräsident und seine Handlanger griffen immer wieder die Rai an und in die Rai hinein, machten daraus einen Abklatsch der Berlusconi-Sender, TV als Nullmedium, so eine Definition des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger. Belanglose Talkshows ohne Ende, aufgepeppt mit leicht bekleideten Mädchen.
Findet die SVP Berlusconi deshalb ok, weil der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel — der die Freiheitlichen von Jörg Haider in die Bundesregierung holte — Berlusconi als »lieben Silvio« umschmeichelte? Der amtierende österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer, auch er wie Schüssel als ÖVPler ein Freund der SVP, findet, dass Berlusconi die politische Landschaft geprägt hat. Tatsächlich, Berlusconi war die italienische Vorwegnahme von Donald Trump: Gewerkschaften sind schädlich, Steuerzahlen schlecht, die Justiz ist überflüssig.
Armin Thurnher beschreibt Berlusconi im Falter als Prototypen jener Verquickung von Medienmacht, Korruption, Kriminalität, Lüge, Popularitätskauf mittels Sport und Absenkung aller moralischen Standards.
Silvio Berlusconi, um bei seiner Wortwahl zu bleiben, vögelte Minderjährige, einige davon Migrantinnen. Als der Fall an die Öffentlichkeit kam, stellte Berlusconi »Ruby Rubacouri« als Nichte des ägyptischen Diktators Mubarak vor. Bei den Feiern in einer seiner Villen sei es zu Orgien gekommen, während derer eingeladene Frauen die Anwesenden durch lesbische Spiele »erregten«. Berlusconi bestritt, ein sexuelles Verhältnis zu ihr gehabt zu haben. Aus Unterlagen der Mailänder Staatsanwälte geht hingegen hervor, Berlusconi habe 13 Mal Sex mit »Rubacuori« gehabt.
Im Verlauf der Ruby-Affäre ermittelte die Staatsanwaltschaft auch gegen Nicole Minetti, lombardische Regionalratsabgeordnete von Forza Italia, wegen Förderung der Prostitution. Berlusconi hatte im Mai 2010 verfügt, dass die minderjährige Ruby von der Polizei an Minetti übergeben werde. Berlusconi zahlte Minetti mindestens einmal eine sechsstellige Summe Euro, verteidigte sie vehement und drängte sie im Juli 2012 zum Rücktritt als Abgeordnete.
Der Staatsanwalt bezeichnete sie als Zuhälterin und forderte sieben Jahre Haft, 35.000 Euro Geldstrafe und lebenslangen Ausschluss von öffentlichen Ämtern. Sie bestritt die Vorwürfe, bestätigte aber eine sexuelle Beziehung zu Berlusconi.
Im Juli 2013 wurde Minetti wegen Förderung der Prostitution in erster Instanz zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Mailänder Berufungsgericht reduzierte das Urteil im November 2014 auf drei Jahre.
Gleichzeitig mobilisierte Berlusconi seine rechte Allianz und die katholische Kirche gegen das Mitte-Links-Vorhaben, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften anzuerkennen. Er wollte damit den moralischen Untergang des Abendlandes stoppen.
Im Europaparlament beschimpfte Berlusconi den damaligen Präsidenten Martin Schulz (SPD) als Nazi-Kapo, beschrieb das Gesäß von Bundeskanzlerin Angela Merkel als einen Postgaul-Arsch, freundete sich mit dem libyschen Diktator Ghadaffi und seinen Leibwächterinnen an und galt — wie der deutsche Sozialdemokrat Gerhard Schröder — als ausgewiesener Männerfreund des »lupenreinen Demokraten«, Kriegspräsident Putin.
Wegen ihrer vornehm zurückhaltend formulierten Kritik an Berlusconi wurde Senatorin Unterberger von ihrer Partei verbal geprügelt. Verkehrte Welt. In der Ära Berlusconi herrschte Autonomie-Stillstand. Wohl auch deshalb, weil Berlusconi die Neofaschisten erstmals in eine Regierung holte.
Der langjährige SVP-Parlamentarier Karl Zeller analysierte im Europäischen Journal für Minderheitenfragen die Entwicklung der Autonomie seit 1992: Von den 88 genehmigten Durchführungsbestimmungen zum Ausbau der Autonomie seien 53 von Mitte-Links-Regierungen genehmigt worden, die restlichen von Berlusconi-Regierungen. Dabei habe es sich meist nur um technische Anpassungen gehandelt.
Inzwischen ist die politische Ziehtochter von Berlusconi Ministerpräsident, Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia, die Nachfahren der Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini, hervorgegangen aus dem neofaschistischen MSI von Giorgio Almirante.
Scrì na resposta