Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört. SVP und Fratelli d’Italia. Wirklich nicht?
Landwirtschaftsminister Lollobrigida, fratello von »Ministerpräsident« Meloni, geißelte die Migration als »Umvolkung«. Auf die Grenzen, Migranten rein. Europaweit schwafeln Rechtsradikale, bekanntermaßen gesponsert vom russischen Kriegspräsidenten Putin, von einem »Bevölkerungsaustausch«. So als ob eine geheime Macht diese Migration — um Italien zu schaden — steuern würde.
Ministerpräsidentin Meloni lässt Anti-Terror-Einheiten gegen »Klimakleber« ausrücken. Der Applaus der Autofans und Klimaleugner ist ihr gewiss. Auch in Südtirol. Wo bleiben die Anti-Terror-Einheiten im Kampf gegen die Mafia?
Eine der ersten Maßnahmen dieser rechts-rechten Regierung war das Rave-Verbot. Raven, ein Anschlag auf die Einheit des Staates? Raven, eine Gefahr für Land und Leute?
Aus den Reihen dieser Regierung tönt es immer wieder lesben- und schwulenfeindlich, gegen Queere, kurzum gegen »Andere«. Kinder und Jugendliche müssen gegen diese »sexuellen Abartigkeiten« geschützt werden, so die Begründung für die Hetze. Das katholische Lager und viele Südtiroler klatschten begeistert.
Rechtskonservativ, reaktionär ist dieses Arsenal, extrem nationalistisch wird es, wenn die Fratelli die italienische Sprache zur ausdrücklichen Pflicht erheben wollen. Simon Constantini bezeichnete dieses Ansinnen von Fabio Mollicone (FdI) als besorgniserregend. Bisher galt das Prinzip, dass jede Staatsbürgerin das Recht genießt, die italienische Sprache zu gebrauchen. Mollicone will daraus eine Pflicht basteln.
»Insbesondere … in Südtirol, wo die deutsche der italienischen Sprache laut Autonomiestatut gleichgestellt sein sollte, hätte die Pflicht zur Kenntnis der Staatssprache unabsehbare Folgen«, warnte Constantini in seinem Artikel »Zwang zur Beherrschung der italienischen Sprache«.
Halb so schlimm? Die Äußerungen von Vertreterinnen der Fratelli d’Italia über Faschismus und Antifaschismus sind erschreckend. Schon der ehemalige Ministerpräsident Berlusconi, der sich immer wieder abfällig über den Antifaschismus geäußert hatte, ebnete damit den Faschisten des 21. Jahrhunderts den Weg. Er holte Alleanza Nazionale, vormals der noefaschistische MSI, aus dem politischen Eisschrank der italienischen Nachkriegsdemokratie. Die Erben des Faschismus haben sich in dieser Republik eingenistet, eine Republik, die auch von Antifaschistinnen erkämpft worden ist.
Aber wen kümmert das?
Ansonsten hält sich diese doch sehr rechte Regierung mit krassen radikalen Tönen strategisch zurück. Kreidefressen scheint angesagt zu sein. »Warum agiert die Regierung so unauffällig?« fragte sich Rainald Manthe vom Zentrum Liberale Moderne: »Die Regierung muss nun liefern — nicht nur für gute Wahlergebnisse sorgen. Als Regierungskoalition muss man sich an Verträge und Zusagen halten, die Verwaltung muss rechtskonforme Gesetzesvorschläge machen, die Wirtschaft laufen — und die Öffentlichkeit schaut zu. All dies schränkt die Handlungsmöglichkeiten Melonis ein.“
Manthe hat noch eine andere Erklärung zur Hand: »Meloni und ihre Partei haben es von Anfang an darauf angelegt, durch Mitregierung zu gestalten, nicht durch Populismus aus der Opposition. Melonis Regierung wäre dann ein Ausdruck des „Techno-Populismus“, einer Verbindung von Populismus und Technokratie. War der Populismus also nur Wahlkampftaktik, gepaart mit dem nicht aufgearbeiteten Erbe des Faschismus von Fratelli d’Italia und Italien?«
Südtirol ist Italien
Diese Strategie geht auf, italienweit, aber auch und besonders in Südtirol. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist mit der Arbeit der Regierung Meloni zufrieden. Die bereits bekannte Apollis-Umfrage der SWZ, aufgearbeitet von der Neuen Südtiroler Tageszeitung, belegt, dass die Zustimmung unter der deutsch- und ladinischsprachigen Bürgerinnenschaft höher ist als unter der italienischsprachigen. Die Mehrheit der SVP, Team-K-, F– und STF-Wählerinnen äußert sich positiv über Meloni. Südtirol ist Italien.
Diese Sympathien müssen verwundern. Constantini schaute sich die parlamentarische Aktivität von Francesco Lollobrigidia, ausgewiesener Freund des Bauernbundes, in seiner Oppositionszeit genauer an. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Fratelli in der Abgeordnetenkammer und Schwager von Giorgia Meloni fiel durch eine besondere Südtirolbesessenheit auf. Die Vorstöße waren untergriffig, eine besessene Südtirolfeindlichkeit quillt aus seinen Anfragen. Tatkräftig unterstützte der ehemalige Landtagsabgeordnete Alessandro Urzì das Treiben seines Kameraden.
Die Erklärungen für die Zustimmung zu Meloni sind vielfältig. Als »klar, kohärent, konkret, seriös und verantwortungsvoll« lobt der Meloni-Mann Alessandro Urzì seine Chefin. »Meloni wird als staatstragend wahrgenommen, dieses Image hat sie konsequent aufgebaut«, ergänzt die Grüne Brigitte Foppa. »Die SüdtirolerInnen waren einerseits auf das Schlimmste gefasst und sind jetzt erleichtert, dass es nicht so gekommen ist. Andererseits ist Meloni eine kompetente junge Frau, die bis jetzt noch nicht viel falsch gemacht hat. Das honorieren die SüdtirolerInnen«, analysiert die ansonsten Meloni-kritische SVP-Senatorin Julia Unterberger.
Zu einem gänzlich anderen Schluss kommt der emeritierte Universitätsprofessor und Politikwissenschaftler Günther Pallaver auf Salto. Die Südtiroler leiden in Sachen Faschismus anscheinend an Vergesslichkeit, frotzelte der Professor. Er erinnerte an den Sager »Se fossi italiano, probabilmente sarei fascista« des Südtiroler Abgeordneten Friedrich Graf Toggenburg 1921. Gilt das heute auch noch?
»Der Faschismus war in den 1920er Jahren einem Teil des Südtiroler Bürgertums durchaus willkommen, wie heute die rechtsrechten Fratelli d’Italia. Die Wirtschaft Südtirols denkt gleich wie vor 100 Jahren an den Profit. Hauptsache, die Kassa stimmt. Law and Order sind wichtiger als Demokratie und Menschenwürde. Wer gegen die angebliche „Invasion der Ausländer“ poltert, ist in Südtirol willkommen. Wer eine reaktionäre Familienpolitik propagiert, erhält in Südtirol Applaus«, konstatiert bedauernd der Wissenschaftler Günther Pallaver. Der Toggenburg-Spruch von 1921 klingt heute, leicht abgewandelt: »Se fossi italiano, probabilmente voterei Fratelli d’Italia.«
»Se fossi italiano, probabilmente voterei Fratelli d’Italia.«
Tatsächlich sagte dies Angelika Kaufmann von der Initiative Zomholtn in der Corona-Ära. Als Südtirolerin wähle sie zwar die Lega, heute Partner in der Meloni-Regierung, als Mailänderin würde sie Meloni wählen. Viel Applaus erntete Lega-Chef Matteo Salvini, im Oktober 2018 Innenminister, bei einem Auftritt der Kastelruther Spatzen. »Salvini wurde herzlich empfangen«, fand die Neue Südtiroler Tageszeitung. Weil er radikal feindlich gegen Migranten und Flüchtlinge auftrat, deutsche Seenotretter populistisch als Kriminelle verunglimpfte oder weil die Lega einst föderalistisch und minderheitenfreundlich war?
Der Klagenfurter Universitätsprofessor Hans-Karl Peterlini zitiert in der Neuen Südtiroler Tageszeitung den ehemaligen Grünen-Politiker Alexander Langer mit der Frage, »warum Südtirol, das doch von rechts nie gutes erfuhr, genau auf dem rechten Auge blind ist […]«
Südtirols Autonomie gibt es auch deshalb, weil die kommunistische Partei PCI im Parlament 1971 dem Zweiten Autonomiestatut zugestimmt hatte. Ein Gemeinschaftswerk von DC und SVP, gesponsert von Österreich. Fast verzweifelt weist der langjährige SVP-Parlamentarier Karl Zeller darauf hin, dass die nach 1992 erlassenen 88 Durchführungsbestimmungen zum Ausbau der Autonomie Mitte-Links-Regierung erlassen haben. Im Land macht sich ein autonomistischer menefreghismo breit — stattdessen begrüßen Südtirolerinnen das Meloni-Projekt eines starken Staates, scheinen ihren Sager verdrängt zu haben, Südtiroler sollen nach Österreich auswandern, wenn sie sich nicht mit Italien identifizieren.
Wenn sich nun die Mehrheit der SVP-Wählerinnen positiv zu Meloni äußert, wird sich die SVP wohl auf den Weg in die Arme von Meloni machen. Der Maschinenraum der SVP, so die Wochenzeitung ff über den Bauernbund (SBB), brummt bereits für Meloni und ihre Partei. Der SBB fühlt sich bei Landwirtschaftsminister Lollobrigida gut aufgehoben, weil er laut Sonntagsreden Bären und Wölfe »entnehmen« möchte. Der Chef im Maschinenraum, der Landtagsabgeordnete Franz Locher, schwafelte von einer starken Region, nicht von einer starken »Provinz«. Wie sein offensichtliches Vorbild Meloni?
In der Tageszeitung Dolomiten durfte sich vor den Parlamentswahlen im Herbst 2022 Spitzenkandidatin Giorgia Meloni auf einer ganzen Seite ausbreiten. Ja, starke Autonomie, aber ein noch stärkerer Staat, textete sie unwidersprochen im Tagblatt der Südtiroler. Die Tageszeitung Dolomiten nimmt noch immer massiven Einfluss auf die politische Stimmung, sagt Peterlini in der Tageszeitung zur Meloni-Zustimmung im Land.
Serie I II
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