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»Alles ist teurer als ukrainisches Leben.«

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Ein Teil der europäischen Öffentlichkeit fühlt sich keineswegs mit den überfallenen Ukrainerinnen und Ukrainern solidarisch.

Das ist auf Kundgebungen der Friedensbewegten zu hören: »Was geht uns die Ukraine an?«. Sie, Pazifisten, Beton-Linke, nützliche Idioten des Kremls, lehnen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Sie protestieren nicht gegen den russischen Staat und seine Armee, sondern gegen die widerstandsleistenden Ukrainerinnen und Ukrainer. Ihren Widerstand empfinden die »Kriegsgegner« im Westen als einen Angriff auf ihr Leben. Das teurer empfunden wird als ukrainische Leben.

Damit befassen sich Alek­san­dra Konar­zewska, Schamma Schahadat und Nina Weller in ihrem Alles ist teurer als ukrai­ni­sches Leben: Texte über West­s­plai­ning und den Krieg (edition.fotoTAPETA). Ein schonungsloses Buch, das den grenzenlos toleranten Westlern den Spiegel vorhält. Alles ist teurer als ukrainisches Leben, ja: der Wohlstand, die eigene Freiheit, die eigene Welt, die mit der Ukraine nichts zu tun haben will.

Für diese Öffentlichkeit gilt die Ukraine als Hinterhof Russlands, nicht als Vorhof der EU. Diese Öffentlichkeit wird politisch vertreten von Teilen der Linken und der SPD, begeistert von der AfD und der großen Leugner-Gemeinde unterschiedlicher Couleur.

Keine Ahnung von Russland

Das Herausgeberinnen-Trio und die vielen Mitautoren wie Vasyl Cherepanyn, Kateryna Mishchenko, Wolodymyr Rafejenko oder Oksana Sabuschko — um nur einige zu nennen — setzten sich mit dem »Westsplaining« auseinander. Der Begriff bezieht sich auf die westliche, herablassend-paternalistische Haltung von Intellektuellen gegenüber Europäerinnen und Europäern aus Osteuropa. »Liebe westeuropäische Intellektuelle«, schreibt der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch

ihr habt keine Ahnung von Russland. Russland hat euch nie berührt, weder euch noch eure Vorfahren. Ihr versteht es nicht, noch weniger versteht ihr Osteuropa …

– Szczepan Twardoch

So kümmern sich westliche, besonders deutsche, Intellektuelle wenig um die russische koloniale Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der »kleinen Nationen«. Auch dort wütete der deut­sche Kolo­nia­lis­mus des Dritten Reichs, in Polen, in der Ukraine, in Belarus. Dieser Teil der deutschen Geschichte verschwindet noch immer in der Lücke der Vergangenheitsbewältigung. Erfolgreich verdrängt wurde der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 — von den Rechten und den Linken.

Den Fokus auf den russischen Kolonialismus richtet das FATA collective mit seiner Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst in Berlin. Es ist eine beeindruckende Dokumentation über die immer noch anhaltenden Auswirkungen des russischen Kolonialismus auf ethnische Minderheiten. Zurecht fragt sich die FAZ »macht Hass auf den Kapitalismus blind für Stalins und Putins Untaten?«. Ist Russland antikolonial, antiimperialistisch? Deutsche Linken glauben das.

Auch Pazifisten und sonstige Friedensbewegte, die aus Angst vor einem Atom­krieg bereit sind, die Kriegsverbrechen und den gezielten Terror in den von Russ­land besetz­ten Gebie­ten zu akzeptie­ren. Ihrer Friedenssehn­sucht ordnen sie den Unfrieden der Ukrainer unter, der russische Eroberungskrieg in der Ukraine wird verdrängt, nicht erwähnt, igno­riert.

Die deutsche Moskau-Connection

Intellektuelle erhöhen die russische Literatur, ihr ver­klärter Blick darauf verhindert, die auch impe­ria­len Ideen in der verherrlichten russischen Literatur zu erkennen. Russ­land wird mystifiziert, die deut­schen Sla­wis­tik konzentriert sich auf Russ­land. Angefeuert wurde dies auch von der SPD mit ihrer Ostpolitik, dokumentieren Reinhard Bingener und Markus Wehner in Die Moskau Connection – Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit.

Die geistige Kumpanei mit Russland führt Sebastian Christ auf das Erbe des nicht auf­ge­ar­bei­te­ten deut­schen Impe­ria­lis­mus in Ost­eu­ropa zurück. Oder auf die Idee einer »beson­de­ren Bezie­hung« zwischen den eins­ti­gen Impe­rien Deutsch­land und Russ­land. »Dieser Blick auf die Welt, der Länder und Völker in gleich­wer­tige und nicht gleich­wer­tige Gesprächs­part­ner ein­teilt, ist typisch für das Erbe des Imperialismus«, analysiert Christ auf ukraineverstehen.

Friedensbewegte, Pazifisten, Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine verdrängen — offenbar eine weitverbreitete deutsche Eigenschaft — in ihrem Engagement gegen die Ukraine die Vergewal­ti­gun­gen und sexu­elle Folter russischer Soldaten, Wagner-Söldner, tschetschenischer Islamisten und linksradikaler »Internationalisten« der Donbasser »Volksrepubliken«. Massenhafte sexuelle Gewalt gehört bereits seit 2014 zum Kriegs­all­tag in der Ukraine.

Eine Abtei­lung der ukrai­ni­schen Staats­an­walt­schaft ent­wi­ckelt besondere Ermitt­lungs­stra­te­gien für sexu­elle Gewalttaten. Das Netzwerk The Reckoning Project – Ukraine Testifies sammelt Informationen aus den russisch besetzten ukrainischen Regionen. Dokumentationen, die tatsächlich belegen, dass alles teurer ist als ukrainisches Leben.

Weit mehr als 400 Milliarden US-Dollar beträgt der Schaden, den die Armee des russischen Staates in der Ukraine mit ihrem Eroberungskrieg bereits verursacht hat. Der Wie­der­auf­bau­ wird noch weit teurer werden. Endlich Zeit, die ständig wachsenden Milliardenvermögen der russischen Oligarchen, die auch in den europäischen Banken deponiert sind, zu beschlagnahmen. Sie waren und sind die Nutznießer des größten Mafiastaates der Welt. Warum sollen europäischer Steuerzahlerinnen und -zahler für Schäden der russischen Invasion aufkommen? Derweil wirbt der russischen Kriegspräsident Putin für Kriegsteilnehmer, er appelliert an die »echte Männlichkeit«. Dafür bekommt er Applaus, von den AfD-Kameraden, den Wagenknecht-Genossinnen, wohl auch vom Ostausschuss der deutschen Wirtschaft.


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