Salto-Chefredakteur Fabio Gobbato hat mit einem »Kommentar« der Diskussion um eine mehrsprachige Schule ordentlich geschadet.
Fabio Gobbato hat ordentlich zugelangt in seinem A udienza solo chi sa il tedesco. In seinem publizistischen Visier: die Direktorin einer Grundschule in Bozen, die SVP, Obmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher. Allesamt populistische, ethnische Scharfmacher:innen, die auf Kosten von Kindern aus italienischen oder migrantischen Familien ihre intolerante Politik betreiben. Das klingt fast so, als würden die deutsche Schule und der zuständige Landesrat »Krieg« gegen die erwähnten Kinder und ihre Familien führen. Wäre das der Fall, hätte Gobbato treffend analysiert und kommentiert.
Applaus erhält Gobbato von der Lega und von den Fratelli d’Italia. SVP-Partner Lega schwafelt von einer Politik auf Kosten der Familien, die Fratelli — möglicherweise Partner der SVP nach den Landtagswahlen im Herbst — machten eine »ethnische Offensive« auf.
Es findet aber kein ethnischer Krieg statt, keine ethnische Offensive, die auf dem Rücken der Familien ausgetragen wird. Nicht von ungefähr findet Salto-Herausgeber Max Benedikter, dass »aus einer Mücke ein Elefant gemacht« wird. Diese »Mücke« steht in der Einladung zum Elternsprechtag:
Darin weist die Direktorin der deutschsprachigen Grundschule darauf hin, dass die Gespräche mit den Lehrpersonen »in deutscher Sprache erfolgen«. Deutsche Schule, deutsche Unterrichts- und Verkehrssprache. In welcher Sprache werden an den italienischsprachigen Schulen die Elternsprechtage abgehalten?
Die von Gobbato attackierte Grundschuldirektorin bietet nicht Deutsch sprechenden Eltern Sprachmediator:innen an. Was macht Gobbato daraus? Er legt nahe, die Direktorin wolle Eltern in Verlegenheit bringen, die die Unterrichtssprache der Schule nicht verstehen, die ihre Kinder besuchen. Ein doch starkes Stück Miesmacherei. Doch Gobbato geht noch weiter: Er vermutet, die Direktorin wolle mit ihrem angeblichen Sprachdiktat erreichen, dass nicht Deutsch sprechende Eltern dem Elternsprechtag fernbleiben. Warum sollte sie das wollen? Das ist doch eine absurde Annahme, eine weitere Unterstellung.
Ich war einige Jahre lang Klassenratmitglied und Schulratvorsitzender an einer deutschen Schule. Deutsch war die Verkehrssprache, bei Bedarf wurde selbstverständlich auch Italienisch gesprochen, dann und wann auch Englisch. Man kann davon ausgehen, dass dies die Lehrpersonen der angegriffenen Bozner Grundschule genauso halten werden.
Wenn ich richtig informiert bin, lehnte die von Gobbato kritisierte Direktorin auch nicht die Einschreibung eines migrantischen Kindes ab, sondern empfahl den Eltern eine andere Schule.
Eine ethnische Offensive?
Aus diesen beiden Fällen, der Einladung zum Elterntag und zur Empfehlung der Schulwahl, konstruierte Gobbato eine ethnische Offensive. Damit versuche die SVP Wählerstimmen zu gewinnen.
Über diese verquere Analyse freut sich die italienische Rechte.
Der Kammerabgeordnete von Fratelli d’Italia Alessandro Urzì sieht in der Schulempfehlung eine Verletzung des verfassungsmäßigen Rechts auf Bildung. Er hält es nicht für zulässig, einen Schüler aufgrund eines Sprachtests abzulehnen. Deshalb fordert er den italienischen Bildungsminister auf, Maßnahmen zu ergreifen. Vielleicht sollte diese Grundschule in Gries dem Ministerium direkt unterstellt werden?
Sollte sich Urzì nicht darüber Gedanken machen, warum auch immer mehr italienische Eltern in Südtirol ihre Kinder an deutschen Kindergärten und Schulen einschreiben? Funktioniert das »deutsche Bildungswesen« besser als das italienische? Ist die ach so ethnisch engstirnige deutsche Schule gar weltoffener?
Drängen deshalb auch Migrantenfamilien ihre Kinder in die deutschen Kindergärten und Schulen? Mehr als elf Prozent der Kinder in den deutschsprachigen Schulen stammen aus dem Ausland. Tendenz steigend. In manchen Kindergärten und Grundschulen lag der Anteil an »Ausländer:innen« höher als jener der »Einheimischen«: Grundschulen Franzensfeste und Blumau sowie die Kindergärten Waidbruck, Meran/Fröhlich und Bozen/Weggensteinstraße. An der Grundschule Waidbruck lag der Anteil an »Ausländer:innen« bei der Hälfte. Allesamt Nicht-EU-Bürger:innen. In 30 Kindergärten und Grundschulen betrug der »Ausländeranteil« mehr als ein Drittel.
Besonders in Bozen ist das Interesse migrantischer Familien an der deutschen Grundschule groß. Mehr als die Hälfte der für das nächste Schuljahr eingeschriebenen Grundschulkinder sind migrantisch oder nicht deutschsprachig. Zweifelsohne wollen diese Familien, dass ihre Kinder die deutsche Landessprache lernen. Fakt ist inzwischen aber auch, wie die Direktor:innen der deutschen Bildungseinrichtungen beklagen, dass in Bozen kaum mehr Deutsch gesprochen wird. An den deutschen Schulen die deutsche Unterrichts- und Verkehrssprache zu erhalten ist ein schwieriges pädagogisches Unterfangen.
Wachsender »Ausländer:innen«-Anteil
Laut dem Landesinstitut für Statistik sind 10.000 Kinder zwischen drei und 18 Jahren nicht in Besitz eines italienischen Passes bzw. im Ausland geboren. In Südtirol geboren sind 5.000 »passlose« Kinder. Nur eines von fünf Kindern und Jugendlichen stammt aus einem Mitgliedsstaat der EU.
An den italienischen Kindergärten haben bereits ein Viertel aller Kinder einen Migrationshintergrund. Fast 13 Prozent der Schüler:innen der italienischen Mittelschule sind keine italienischen Staatsbürger:innen.
Je höher die Schulstufe, desto geringer ist der »ausländische« Anteil, an den italienischen Oberschulen ist er mit fast 17 Prozent deutlich höher als an den deutschen Oberschulen mit 5 Prozent.
Kinder mit ausländischem Pass scheinen eine Berufslehre zu bevorzugen. Mehr als die Hälfte aller ansässigen Ausländer:innen besuchen eine Berufsschule. Der Ausländeranteil an den deutschen Berufsschulen beträgt 11 Prozent, an den italienischen Berufsschulen liegt die Quote schon seit zwölf Jahren über 30 Prozent (2010/11 gar 38 Prozent). Die Hauptlast der Zuwanderung tragen zweifelsohne die italienischen Bildungseinrichtungen.
Die von der Bozner Stadträtin Johanna Ramoser (SVP) angeregten Sprachtests für Kinder mit Migrationshintergrund sind Ausdruck einer politischen Hilflosigkeit. Zurecht erinnerte Simon daran, dass Sprachtests die Ohnmacht offenlegen. Er wirbt hingegen für
vorgeschaltete und begleitende Sprachkurse, Integrations- und Mediationskräfte, Verkleinerung der Klassen und Kindergartengruppen, Deutschpflicht im Pausenhof — über solche Maßnahmen kann und soll man sprechen.
Die deutsche Landessprache hat offensichtlich
ausreichend Strahlkraft, um eine bedeutende Anzahl Migrantinnen dazu zu bewegen, sich und ihre Kinder »durch sie« zu integrieren; und um viele Italienerinnen von der Notwendigkeit ihres bestmöglichen Erwerbs zu überzeugen.
Diese Bereitschaft sollte die deutsche Schule offensiv nutzen, statt sich ängstlich einzuigeln und abzuschotten.
Miesmachende Mücken
Hat Fabio Gobbato aus einer Mücke einen Elefanten gemacht, weil er den Text der Einladung zum Elternsprechtag nicht verstanden hat? Das wäre peinlich. Sein Kommentar wurde staatsweit aufgegriffen, seine Verunglimpfungen unhinterfragt verbreitet. Weder Gobbato noch die großen italienischen Zeitungen scheinen zu wissen, dass die von ihnen inkriminierten Sprachtests — wie Simon frotzelt — an den italienischen Schulen angewandt werden, um Schüler:innen herauszufiltern, die die mehrsprachigen Klassenzüge besuchen dürfen. Warum wird mit unterschiedlichem Maß gemessen? Die einen dürfen, die anderen werden dafür untergriffig beschimpft und mies gemacht. »Linke« Hetze ist auch shit.
- Nachtrag vom 27. März 2023: Chefredakteur Fabio Gobbato hat auf Salto eine Replik zu diesem Beitrag veröffentlicht. ()
- Nachtrag vom 29. März 2023: Max Benedikter, Präsident von Demos 2.0, hat auf Salto ebenfalls auf diesen Beitrag geantwortet. ()
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