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Unfreundliche Kandidatur.

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Politikwissenschafter Günther Pallaver bezeichnet die Tatsache, dass die SVP im Senatswahlkreis Süd mit einem eigenen Kandidaten zur nächsten Parlamentswahl antritt, laut Rai Südtirol als »unfreundlichen Akt« gegenüber der italienischen Sprachgruppe.

Diese Feststellung und den gesamten Rummel um die eigenständige Kandidatur kann ich ehrlich gesagt nicht wirklich nachvollziehen:

  • Wenn wir von Minderheitenschutz reden, geht es — bei einer staatsweiten Wahl noch mehr als bei Landtags- und Gemeindewahlen — um das Recht der deutschen und der ladinischen Sprachgruppe auf eine eigenständige Vertretung1Die Vertretung der Ladinerinnen ist leider gar kein Thema.. Die italienische Sprachgruppe ist im italienischen Nationalstaat ganz sicher keine Minderheit.
  • Der Senatswahlkreis Süd wurde in dieser Form eingerichtet, um auch der italienischen Sprachgruppe Südtirols eine realistische Chance — aber keine Garantie — für eine eigene Vertretung in Rom zu gewähren. Etwas anderes wäre undemokratisch.
  • Es erschließt sich mir grundsätzlich nicht, wie die Kandidatur einer Partei als unfreundlicher Akt bezeichnet werden kann, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Chance, gewählt zu werden. In einer Demokratie ist das Antreten bei einer Wahl stets ein Angebot an die Wählerinnen, das sie annehmen können oder auch nicht.
  • Genausowenig kann die zunächst aussichtslos scheinende Kandidatur von Kleinstparteien — oder im konkreten Fall auch der Freiheitlichen im Senatswahlkreis Süd — als unfreundlicher Akt bezeichnet werden. Parteien sind frei, Wahlbündnisse einzugehen oder auch nicht.
  • Als unfreundlich und schädlich für die Demokratie würde ich lediglich die in Italien bisweilen praktizierte bewusste Täuschung von Wählerinnen (etwa durch Köderlisten, Mehrfachkandidaturen und ähnlichem) bezeichnen.
  • Aus einer ethnozentrischen und wahlaritmetischen Sicht, wie sie Pallaver in seiner Argumentation ja bedient, die ich aber so nicht teile: Warum es »freundlicher« wäre, wenn die SVP nicht selbst kandidieren, sondern eine Kandidatin von Mittelinks (oder Mitterechts) unterstützen und somit durch das eigene Stimmenpotenzial den Italienerinnen quasi die Wahl nehmen würde, verstehe ich nicht. Die von der SVP unterstützte »italienische« Kandidatur würde sich ja mit erheblicher Wahrscheinlichkeit durchsetzen.
  • Noch weniger erschließt sich mir diese »Freundlichkeit«, wenn den Wählerinnen durch solche Pakte (wie bei der letzten Parlamentswahl) Kandidatinnen vorgesetzt werden, die mit Südtirol wenig bis gar nichts zu tun haben und anderswo ebenso gute Chancen hätten, gewählt zu werden. Damit ist den Südtirolerinnen (unabhängig von der Sprachgruppe) meist nicht gedient. Und von einer eigenständigen Vertretung der italienischen Sprachgruppe Südtirols kann auch nicht wirklich die Rede sein.
  • Das gesamte (Miss-)Verständnis fußt wohl auf der Annahme (und in Südtirol zu einem gewissen Grad auch: Wirklichkeit), dass Menschen italienischer Muttersprache Kandidatinnen nur italienischer Muttersprache wählen und deutschsprachige Südtirolerinnen nur deutschsprachigen Kandidatinnen ihre Stimme geben. Da die Wählerinnen bei der Stimmabgabe jedoch frei sind, ist dies nie zu 100 Prozent der Fall und so könnte es — wenn auch unwahrscheinlich — durchaus sein, dass zum Beispiel im Senatswahlkreis Ost eine italienischsprachige Kandidatin zum Zug kommt. Dies wird umso mehr der Fall sein, je mehr die Parteien sich von nationalistischen und ethnizistischen Positionen verabschieden, was jedoch leider selten der Fall ist.
  • Ob die Kandidatur der SVP im Wahlkreis Süd sinnvoll und zielführend ist, kann ich nicht sagen. Das wird auch vom Verhalten der Wählenden abhängen. Sollte in dem Wahlkreis der »importierte« Lega-Kandidat Maurizio Bosatra das Rennen machen, der die Entstehung einer Rechtsregierung unter neofaschistischer Führung begünstigen würde, wären dafür in erster Linie diejenigen verantwortlich zu machen, die ihn wählen.

Nachtrag vom 21. August 2022: Ich möchte klarstellen, dass ich auswärtige Kandidatinnen vor allem dann für problematisch halte, wenn sie einer staatsweiten (und nicht einer lokalen) Logik entspringen und wie bei Parlamentswahlen keine echte Wahlmöglichkeit (zum Beispiel Vorzugsstimmen) besteht.

Cëla enghe: 01 02 03 || 01

  • 1
    Die Vertretung der Ladinerinnen ist leider gar kein Thema.


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