Schon der Erfinder des Immersionsunterrichts, Wallace »Wally« Lambert (1922-2009) von der renommierten McGill-Forschungsuniversität in Montréal, der die ersten Versuche mit der neuen Methodik in den 1970er Jahren — an der englischsprachigen Schule von Saint-Lambert — wissenschaftlich begleitete und sich über Jahrzehnte weiter mit der Materie beschäftigte, warnte vor den negativen Folgen der Immersion für sprachliche Minderheiten.
Er sprach in diesem Zusammenhang von additiver und subtraktiver Zweisprachigkeit, wobei letztere dann zu beobachten sei, wenn Mitglieder einer Minderheit bei zunehmender Zweisprachigkeit ihre eigene Muttersprache verlassen, um immer mehr zur Zweitsprache (also zur Mehrheitssprache) zu wechseln.
Deshalb ist es wohl auch kein Zufall, dass es in Kanada zwar eine französische Immersion für Anglophone, aber keine englische Immersion für Frankophone gibt — so wie der Immersionsunterricht auch in Europa vor allem Angehörigen der nationalen Mehrheitsgesellschaften empfohlen wird (01
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), damit sie eine Minderheitensprache erlernen. Und nicht umgekehrt.
Übrigens machte Wallace Lambert auch immer wieder darauf aufmerksam, dass die Immersion niemals den Fortschritt in anderen Fächern aufhalten dürfe, wie dies offenbar in Südtirol der Fall ist:
No time has to be taken from the major task of developing competence in the critical content subjects that make up a solid and demanding educational curriculum. The development of skills in two languages and two cultures need not get in the way of providing a thorough education in science, math, creative language arts, etc.1Wallace E. Lambert, Issues in Foreign Language and Second Language Education, 1990
Er betonte ferner die enorme Wichtigkeit einer dauerhaften, nahen und akribischen wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation jedes einzelnen Immersionsprojekts. Auch damit nimmt es Südtirol leider nicht so ernst.
Zwei Wissenschafter der Universität Moncton (New Brunswick), Rodrigue Landry und Réal Allard, gingen in einer Studie, die sie in mehrheitlich anglophoner und mehrheitlich frankophoner Umgebung in Kanada durchführten, auf die Entwicklung der sogenannten additiven und subtraktiven Zweisprachigkeit ein. Die Ergebnisse stellten sie in Ethnolinguistic Vitality and the Bilingual Development of Minority and Majority Group Students (1992) vor, wo sie beschreiben, dass die L2-Leistungen der Frankophonen mit abnehmender Vitalität der Erstsprache (Französisch) steigen, wobei bessere Kenntnisse der Zweitsprache (Englisch) zu einem subtraktiven Bilingualismus führten. Letzterer wirke sich nicht nur — wie vermutet — auf Sprachkompetenz und Sprachverhalten aus, sondern auch durch die Schwächung der ethnolinguistische Identität (ergo Assimilation).
Individuum und Gesellschaft seien in Vergangenheit typischerweise unabhängig als isolierte Facetten des Zweisprachigkeitsphänomens analysiert worden. Es sei jedoch wichtig, die sogenannte Makro-Mikro-Dichotomie zu erforschen.
Dabei sei der Weg zur Erlangung einer additiven Form von Zweisprachigkeit für Mehrheits- und Minderheitengruppen jeweils unterschiedlich. Nur für Individuen, die der (anglophonen) Mehrheit angehören, sei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Kontakte mit der Zweitsprache zu additivem Bilingualismus führen. Für Individuen der Minderheit sei hingegen ein starkes L1-Umfeld in Schule und Familie ausschlaggebend, damit sich die Zweisprachigkeit additiv und nicht subtraktiv entwickelt und die Identität der Minderheit nicht kippt.
In der wissenschaftlichen Literatur zur Zweisprachigkeit sei bekannt, dass die meisten Individuen einer Minderheitengruppe die Mehrheitssprache erlernen und zweisprachig werden, während dies umgekehrt in deutlich geringerem Maße der Fall sei. Die Erlernung der Mehrheitssprache sei aber häufig nur ein Zwischenschritt hin zur Assimilierung oder wenigstens zur Schwächung der Erstsprache (also der Minderheitensprache). Angehörige von Minderheiten hätten insbesondere durch muttersprachliche Schulen Zugang zu additivem Bilingualismus.
Ihre Erkenntnisse vertief(t)en und verfeiner(te)n Landry und Allard bis heute weiter, indem sie etwa der Frage nachgingen2Rodrigue Landry, Réal Allard, Kenneth Deveau, Sylvain St-Onge, Minority Language Learning and Use: Can Self-Determination Counter Social Determinism? (2021), DOI: 10.1177/0261927X211041153, ob Minderheiten durch eigenes Zutun (sogenannte Selbstbestimmung) die negativen Auswirkungen objektiver Faktoren wie einer allfälligen begrenzten ethnolinguistischen Vitalität bekämpfen können. Auch diesbezüglich kommt jedoch der (einsprachigen) minderheitensprachlichen Schule eine wichtige Rolle zu.
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- 1Wallace E. Lambert, Issues in Foreign Language and Second Language Education, 1990
- 2Rodrigue Landry, Réal Allard, Kenneth Deveau, Sylvain St-Onge, Minority Language Learning and Use: Can Self-Determination Counter Social Determinism? (2021), DOI: 10.1177/0261927X211041153
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