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Eine vielgepriesene, aber unvollständige Autonomie.

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Beim dichten politischen Weihrauch am Tag der Autonomie fällt die überfällige Reform des Statuts unter den Tisch. Warum geht an dieser Baustelle nichts weiter?

Der Tag der Autonomie am 5. September ist ein Tag des Feierns. Man beglückwünscht sich gegenseitig und unter dem Weihrauch geht unter, dass Südtirol von 1946 bis 1972 auf eine echte Landesautonomie warten musste, dann nochmals bis 1992, bis diese Autonomie voll anwendbar war, dass seit der Verfassungsreform von 2001 Einiges rückgängig gemacht worden ist und seit 2013 Reformbemühungen stecken geblieben sind. Reformforderungen an diesem Tag anzusprechen, würde die Feierstimmung stören.

Es fällt auch unter den Tisch, dass der Pariser Vertrag eher ein Diktat Roms als ein Kompromiss zwischen Italien und Österreich, zwischen Degasperi und Gruber war. Bei Friedensverträgen wird selten das Volk gefragt, doch in Paris ist 1946 nicht nur das Volk, sondern auch die politische Elite Südtirols komplett übergangen worden. Mehr noch: wie Rolf Steininger in den Dolomiten vom 31. August darlegt, ist das Abkommen weder vom Nationalrat in Wien ratifiziert (was selbst Völkerrechtler im Außenamt für notwendig gehalten hatten), noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden. So ist der Pariser Vertrag nur durch eine Resolution des Nationalratsausschusses für Auswärtiges angenommen worden, der es als Zwischenlösung betrachtete. Auch zur Abgrenzung des Autonomiegebiets (Degasperis geschickter Schachzug zur Einbindung des Trentino), noch zum 2. Statut ist die Bevölkerung Südtirols jemals befragt worden. Wenige Autonomielösungen weltweit beruhen auf zwischenstaatliche Verträgen. Insofern ist der Pariser Vertrag zweifellos ein Glücksfall, doch gibt diese Absenz breiter demokratischer Legitimation auch zu denken.

Wie geht es nun weiter mit der Autonomie? Wird es bei der alljährlichen Preisung des „Modells Südtirol“ bleiben oder wird eine Weiterentwicklung konkret auf die Agenda gesetzt? „Credo che la faticosa esemplarità rappresentata dal sistema altoatesino sia una certezza anche per il futuro,” sagt Romano Prodi im SaltoInterview: er lobt die Autonomie als realtà consolidata, sagt nichts zu ihren Lücken, zu den Rückschritten seit der Verfassungsreform 2001 noch zu blockierten Autonomieverhandlungen anderswo in Italien (auch weil von Salto dazu nicht befragt). Nur als „konsolidierte Realität“ gelten zu dürfen, wird vielen Südtirolern etwas wenig scheinen.

Dass eine Autonomiereform eigentlich fällig ist, aber auch wie diese ausgestaltet sein könnte, das zeigen nicht nur die Ergebnisse des Autonomiekonvents von 2016/17, sondern auch ein Verfassungsentwurf der SVP. Dieser ist 2013 erstmals von Zeller, Berger und Brugger und 2018 von neuem in Rom eingebracht worden und würde mehr als die Hälfte der Statutsartikel abändern. Allein, er ist nie zum Gegenstand von Koalitionsverhandlungen geschweige denn der politischen Debatte in Südtirol gemacht worden. „Wir müssen den Mut haben, das zu fordern, was wir wollen,“ sagt denn Luis Durnwalder zur Autonomiereform in einem Interview mit mir (T.B., Autonomie weltweit, LIT Verlag 2021, 99-105)… „Ein Schmusekurs bringt in diesem Fall nichts. Es braucht jedenfalls die Unterstützung der Bevölkerung. Wenn von unten kein Druck kommt, dann haben es auch die politischen Vertreter schwerer, das am Verhandlungstisch geltend zu machen.“ Mit dem Autonomiekonvent wurde etwas Druck aufgebaut, die politische Phantasie und Bedarfslage der Bürger und Bürgerinnen dieses Landes artikuliert. Doch die Ergebnisse des Konvents sind seit vier Jahren tief in der Schublade gelandet.

Warum geht dann bei der Autonomiereform nichts weiter? Auf dem Hintergrund anderer politischer Prioritäten zwischen Pandemie, Recovery Plan und Klimaschutz haben solche Themen derzeit eine schlechte Konjunktur. Auch die Autonomiebestrebungen der großen Regionen mit Normalstatut des Nordens sind blockiert, und der Autonomieausbau aller Regionen mit Sonderstaut anscheinend ganz in den Wartestand auf unbestimmte Zeit versetzt worden. Andererseits werden weder Rom noch Trient ein Reformvorhaben anpacken, wenn Südtirol den Status quo nur preist und die Reform nicht anmahnt. Auf Südtiroler Seite spielen freilich auch finanzielle Abhängigkeiten eine größere Rolle. Weder ist die Konzessionsverlängerung für die A22 schon in trockenen Tüchern, noch steht das Nachfolgeabkommen des 2022 auslaufenden Finanzabkommens zwischen der Region, den autonomen Provinzen und Rom. Eine sichere und stabile Finanzierung und der reibungslose Finanzfluss sind für ein autonomes Land ganz wichtig, aber auch zweischneidig. Zum einen hat der italienische Staat bei der heutigen Regelung immer auch ein gewisses Drohpotenzial in der Hand. Zum anderen kann das autonome Land finanziell und in der Folge politisch abhängig werden. Beides ist für die politische Eigenständigkeit gefährlich.


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Comentârs

One response to “Eine vielgepriesene, aber unvollständige Autonomie.”

  1. Domprobst avatar
    Domprobst

    Südtirols Bürger zeigen nach der “Ära Langer”, während welcher ein gewisser Linksruck in der Bevölkerung zu vernehmen war (vielleicht auch modebedingt), doch einen gewissen Drang zu konservativen Werten. So sind im heutigen Parteienspektrum, bezogen auf die deutschsprachige Bevölkerung, doch einige nicht unbedeutende Teile darunter, die von der altbekannten Sammelpartei abkehren und zu den sog. konservativen Kräften flüchten. Diese Kräfte äußern sich vorwiegend als Systemkritiker (Team K), Brauchtumsnostalgiker (STF) und Rechtsgelagerte (F), die v.a. mit den Phänomenen des 21. Jahrhunderts (Migration, EU, Euro usw.) versuchen Wählerschaft anzulocken.
    Es ist der fehlenden Weitsicht, dem Versäumnis einer programmatischen Allianz und dem schlechten Personal der genannten Parteien zuzuschreiben, dass jene Bestrebungen, die so wichtig für Südtirol wären, sich im Sande verlaufen. Ich meine hier v.a. das geschlossene und selbstbewusste Auftreten gegenüber dem italienischen Staat um den altbekannten Themen, die glücklicherweise nur bei BBD medial (korrekt) thematisiert werden, jene Schubkraft zu verleihen, die die SVP, die hauptsächlich damit beschäftigt ist, die Pfründe der allseits bekannten Lobbys zu sichern, schmerzlich vermissen lässt.
    Damit meine ich Themen wie Zweisprachigkeit, wahre Autonomie (z.B. bei gewissen Polizeikräften), größtmögliche Unabhängigkeit vom italienischen Staat (Schulprogramme, Wirtschaftsprogramme, Energiepolitik, Bildungspolitik usw.); die Liste wäre beliebig lang, glücklicherweise pocht BBD hier auf nahezu alle brennenden Themen, sodass ein Verweis darauf durchaus legitim erscheint.
    “Institutionen” wie dem Konvent kann ich hingegen nichts abgewinnen, da dort Menschen berufen wurden, die sich einerseits wichtig machen wollten, ohne je ein Programm verfasst zu haben und andererseits jene ausgewählt wurden, die der bestehenden Machtriege ihren Erhalt sichern sollte. Ich plädiere für einen demokratischen Prozess, der durch demokratisch herbeigeführte Wahlen vollzogen werden soll und dort herrscht im Moment einigermaßen Stillstand, weil sich kaum Kandidaten finden lassen.
    Der Südtiroler steht somit vor der Wahl weiter der auf Versorgung der Lobbys ausgerichteten Politik der Sammelpartei zu vertrauen oder durch kontinuierliche Abwahl derselben auf jene Entscheidungsträger zu hoffen, die – im Unterschied zu den Vertretern der erwähnten Lobbys – das Tiroler Herz auf dem rechten Fleck tragen und mit breiter Brust und dem nötigen Verstand – und nicht gebückt wie aktuell – Rom entgegentreten und jene Rechte einfordern, die einer Minderheit im 21. Jahrhundert im Herzen Europas gebührt.

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