Wir könnten behaupten, dass die deutsche Sprache in Südtirol eine dominante Rolle einnimmt und einer goldenen Zukunft entgegensieht. Dass sie eine Killersprache ist, vor deren unaufhaltsamer Expansion die anderen Sprachen im Land geschützt werden müssen. Dass es hier bald kein Italienisch mehr geben wird, schon gar nicht auf dem Lande. Und dass wir — auch deshalb — ganz dringend die Immersion in der Staatssprache Italienisch gewährleisten müssen.
Oder wir schauen die realen Zahlen an und erkennen, dass auch die deutschsprachigen Südtirolerinnen gegen die Entwicklungen, die die Zugehörigkeit zu einem monolingualen Nationalstaat für gewöhnlich mit sich bringt, keineswegs immun sind. Dass der Trend also in die genau entgegengesetzte Richtung läuft.
Das zeigen die Erhebungen zur Missachtung der Zweisprachigkeitspflicht und zu Status und Bedeutung der Sprachen — aber auch die für Minderheiten extrem wichtigen Zahlen über den Schulbesuch, die in Südtirol zu den wenigen für längere Zeiträume verfügbaren, offiziellen Daten zur Sprachentwicklung gehören.
Viele Erhebungen zum tatsächlichen Sprachgebrauch, wie sie in anderen multilingualen Gebieten üblich sind, werden hierzulande nämlich gar nicht oder erst seit wenigen Jahren durchgeführt. Die Datenlage ist dünn und die häufig zitierten Sprachgruppenzugehörigkeitszahlen sagen über die wirkliche Situation kaum etwas aus.
Ich habe mir also angeschaut, wie sich die Schülerzahlen in den letzten 24 Jahren (1995-2019) entwickelt haben. Das ist der Zeitraum, für den ich beim Astat umfangreiche Daten gefunden habe.
Grundschule
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Die Zahl der Kinder, die eine deutsche Grundschule besuchen, stagniert seit 24 Jahren (+1,6%), obschon heute rund 80.000 Menschen mehr in Südtirol leben als 1995. Gleichzeitig boomt die italienische Schule: sie hat heute fast 50% Schülerinnen mehr als zu Beginn des Zeitraums.
Dies hat dazu geführt, dass der Anteil der Grundschulen mit deutscher Unterrichtssprache an der Gesamtschülerzahl von 78,9% um fast 6 Punkte (bzw. 7,4%) auf 73% gefallen ist. Währenddessen ist der Anteil der italienischen Schulen von 16,9% um 6 Punkte (bzw. 35,4%) auf 22,9% gestiegen.
Dass eine derartige Entwicklung für eine Minderheit höchst verhängnisvoll ist, braucht hier wohl nicht gesondert ausgeführt werden.
Mittelschule
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In der Mittelschule ist die Entwicklung sogar noch akzentuierter: Die Schülerzahl in den Einrichtungen mit deutscher Unterrichtssprache ist seit 1995 bei steigender Bevölkerungszahl sogar um 3,8% gefallen. Die italienische Mittelschule ist hingegen nocht stärker gewachsen (+55,8%) als die italienische Grundschule.
Das bedeutet für die deutschen Mittelschulen, dass ihr Anteil in 24 Jahren von 79,3% um 7,9 Punkte (oder 10%) auf heute nur noch 71,4% gesunken ist. Dagegen konnte die italienische Schule ihren Anteil von 16,7% um 7,6 Punkte (bzw. 45,7%) auf 24,3% steigern.
Oberschule
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Weniger aussagekräftig sind die Zahlen der Oberschulen, da der Besuch freiwillig ist. Die Anzahl der Schülerinnen ist sprachgruppenübergreifend gestiegen, was vermutlich mit der Verlängerung der Schulpflicht zusammenhängt. Die Zunahme war aber bei den italienischen Schulen (+47,5%) deutlich stärker als bei den deutschen Schulen (+11,4%).
Der Anteil der deutschen Schulen an den Oberschülerinnen ist von 71,1% um 5,7 Punkte (oder 8,1%) auf 65,4% gefallen. Gleichzeitig ist der der italienischen Schulen von 26,4% um 5,8 Punkte (bzw. 21,7%) gestiegen. Auch die Oberschulen fügen sich also ins Gesamtbild.
All dies geschieht, obwohl es ja heißt, dass angeblich so viele Italienerinnen wie nie zuvor ihre Kinder in eine deutschsprachige Schule schicken.
Das einzige Glück, das wir in Südtirol haben (bzw. hatten), ist, dass wir von einem aus Sicht des Minderheitenschutzes vergleichsweise günstigen Verhältnis zwischen den Sprachen gestartet sind, die Fallhöhe dementsprechend groß war und diese Entwicklung folglich länger dauert.
Umso weniger ernst wird sie genommen. Im Gegenteil, übermütig scheinen viele zu denken, Minderheitenschutz sei Luxus, uns sei nichts anzuhaben.
Wichtige Hinweise:
Einige Zahlen sind Rundungen, deshalb ergeben etwa die Summen aller Anteile nicht notwendigerweise genau 100%.
Die ladinischen Schulen wurden in diesen Betrachtungen nicht etwa aus mangelndem Interesse vernachlässigt, sondern weil es so etwas wie eine ladinische Schule streng genommen gar nicht gibt. In den ladinischen Ortschaften besuchen alle Schülerinnen dieselben, paritätischen Schulen (mit hauptsächlich deutscher und italienischer Unterrichtssprache), in denen Ladinisch eine eher geringe Rolle spielt. Aussagen über die Minderheit lassen sich daraus m. M. n. kaum extrapolieren.
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