Ich hab es nicht leicht im Moment. Auf der einen Seite würde ich gerne – wie bereits an dieser Stelle öfters getan 01
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– die Südtiroler Verantwortlichen für ihr Corona(miss)management schelten, da unser Land im Vergleich zu anderen europäischen Regionen eine schlechte bis grottenschlechte Performance abliefert. Auf der anderen Seite sehe ich mich gezwungen, die Landesregierung gegen nunmehrige Angreifer zu verteidigen, da diese meist ausschließlich die Tatsache geißeln, dass Südtirol einen eigenen Weg gegangen ist, anstatt sich an den römischen Vorgaben zu orientieren. Dabei ist nicht der “Südtiroler Sonderweg” an sich das Problem – denn auch der “Römische Weg” ist im Vergleich zu anderen Ländern schlecht bis grottenschlecht – sondern dass auf diesem Sonderweg des Öfteren falsch abgebogen wurde. Das wäre zu kritisieren.
Zudem würde ich gerne – wie bereits an dieser Stelle öfters getan 01
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– die wertvolle journalistische Arbeit von Qualitätsmedien hervorheben und sie gegen die Schwurbler und Verschwörungsgläubigen verteidigen, die in jedem, der nicht bei drei auf einem Baum ist, einen Vasallen der Pharmaindustrie oder von Bill Gates erkennen wollen und die ganzen “Schlafschafe” unermüdlich auffordern, doch endlich aufzuwachen und sich “im Internet” zu informieren, wie wir alle belogen, betrogen und manipuliert werden. Dabei wird in vielen Redaktionen unter schwierigen Bedingungen Großartiges geleistet und tapfer gegen die Fake-News-Schleudern angekämpft. Doch dann kommt ein Oliver Meiler mit einem vor Chauvinismus triefenden sowie mit Bauchgefühlen und unbelegten bis falschen Behauptungen gespickten Artikel in der Süddeutschen und dem Tagesanzeiger daher, dass einem ganz schwindelig wird. Solche Artikel sind Wasser auf die Mühlen der Querdenker, weil sie deren obskure Auffassung befeuern, dass die Massenmedien ohnehin nur Propaganda und Falschnachrichten verbreiten würden. Tatsächlich habe ich auf meinen Facebook-Kommentar beim Tagesanzeiger, in dem ich auf die Unkorrektheit der folgenden Behauptung aufmerksam gemacht hatte, sofort Zuspruch einer Person bekommen, die meinte, dass man den Massenmedien ohnehin nicht glauben könnte und dass dies wiederum ein Beweis wäre. Woraufhin ich mich wieder bemüßigt fühlte, dem zu widersprechen.
Die Impfkampagne kommt nur schleppend voran, was vielleicht auch daran liegt, dass es in Südtirol traditionell viele Impfgegner gibt.
Woran der Autor diese Behauptung festmacht, ist unklar. Tatsache ist, dass in Südtirol bislang 6.410 Dosen pro 100.000 Einwohner verimpft wurden. Das ist der höchste Wert aller Regionen/Provinzen Italiens. In Deutschland liegt man bei 3.700 pro 100.000 Einwohner. Allzu sehr können die Impfgegner, die es zweifelsfrei gibt (ein großer Prozentsatz an Pflegekräften wollte sich nicht impfen lassen), nicht gebremst haben. Oder sie bremsen halt andernorts noch viel mehr. Oder es liegt an der Organisation. Was aber wiederum hieße, dass Südtirol seine Impfkampagne dann doch nicht so schlecht organisiert hat, wenn man vor allen anderen in Italien und vor Deutschland liegt.
Ich habe übrigens beide Zeitungen auf diese – zumindest irreführende – Behauptung aufmerksam gemacht. Der Schweizer Tagesanzeiger hat reagiert und die Passage etwas umformuliert.
Überhaupt wollten die Südtiroler in dieser Pandemie mal wieder alles nach dem eigenen Kopf machen, um sich selbst und der Welt zu beweisen, dass man die Dinge nun mal besser im Griff hat als Rom.
Eine auf regionale Gegebenheiten angepasste Reaktion hat sich in dieser Pandemie oftmals als erfolgbringende Strategie erwiesen. Auch geben die ausschlaggebenden Kennzahlen (Todesopfer, Auslastung Gesundheitssystem, Wirtschaft) in dieser Krise den Befund nicht her, dass man mit einer unhinterfragten Übernahme der römischen Vorgaben notwendigerweise besser gefahren wäre. Im Vergleich zu den anderen Regionen/Provinzen Norditaliens hat Südtirol die geringste – wenngleich immer noch hohe – Todesrate seit Pandemiebeginn. Es kann auch gut sein, dass der immer wieder getätigte Widerstand gegen den römischen Sparzwang im Gesundheitssystem dem Land nun in dieser Situation zum Vorteil gereicht.
Auch die allgemeine Disziplin war in Südtirol immer etwas lockerer als in anderen Teilen Italiens. […] In einem bekannten Lokal im Val Gardena (sic) unterbrach die Polizei neulich eine Party – mit 155 Gästen. Vor allem in den kleinen Berggemeinden hielt man sich nicht so gern auf mit dem lästigen Maskentragen und dem Abstandhalten.
Sollte es tatsächlich belastbare Daten den vermeintlich lockereren Umgang der Südtiroler im Vergleich zu anderen italienischen Regionen betreffend geben, fresse ich einen Besen. Andernfalls sind das alles dumpfe Bauchgefühle, die als solche kein Südtiroler Alleinstellungsmerkmal sind und schon gar nicht als “Beleg” für irgend etwas gelten können. Corona-Partys gab und gibt es überall. Menschen, die auf AHA-Regeln pfeifen auch. Was den organisierten Widerstand gegen die Coronaregeln betrifft, ist Südtirol sogar sehr spät dran. Erst am vergangenen Wochenende gab es die erste ernstzunehmende nicht ernstzunehmende Kundgebung in Bozen, während in andern Teilen Italiens, in Deutschland, Österreich, Frankreich und anderen Ländern seit Monaten zu Tausenden demonstriert wird.
In Südtirol selbst schlagen manche Vielkommentierer in die gleiche Kerbe und garnieren das Ganze auch noch mit bizarren Kriegsphantasien.
Es ist wirklich schade, dass wir es offenbar nicht schaffen, einen vernünftigen Diskurs zu führen, den gefährlichen Irrläufern nüchterne und vor allem korrekte Argumente entgegenzuhalten und die Verantwortlichen in der Sache zu kritisieren, anstatt mit primitivem Chauvinismus oder absurden Schlussfolgerungen aufzufahren.
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