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Weder Schnelligkeit noch Perfektion.
Chronik einer SARS-CoV-2-Infektion in Südtirol

Autor:a

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Sometimes we over-extrapolate from one event to the other and sometimes we don’t learn enough lessons and we don’t adapt enough. I think what we’ve learnt in Ebola outbreaks is you need to react quickly, you need to go after the virus, you need to stop the chains of transmission, you need to engage with communities very deeply; community acceptance is hugely important.

You need to be co-ordinated, you need to be coherent, you need to look at the other sectoral impacts, the schools and security and economic. So it’s essentially many of those same lessons but the lessons I’ve learnt after so many Ebola outbreaks in my career are be fast, have no regrets; you must be the first mover. The virus will always get you if you don’t move quickly and you need to be prepared and I say this.

One of the great things in emergency response – and anyone who’s involved in emergency response will know this – if you need to be right before you move you will never win. Perfection is the enemy of the good when it comes to emergency management. Speed trumps perfection and the problem in society we have at the moment is everyone is afraid of making a mistake, everyone is afraid of the consequence of error.

But the greatest error is not to move, the greatest error is to be paralysed by the fear of failure and I think that’s the single biggest lessons I’ve learnt in Ebola responses in the past.

— Dr. Michael Ryan auf einer WHO-Pressekonferenz am 13. März 2020 angesichts der sich anbahnenden Corona-Pandemie

Hervorhebungen von mir

20., 21. & 22. Oktober

Am Nachmittag des 20. Oktober 2020 (Dienstag) entwickelte ich Krankheitssymptome: Muskel- und Gliederschmerzen, Müdigkeit und allgemeines Unwohlsein. Am Mittwoch kontaktierte ich sofort um 9 Uhr in der Früh telefonisch meinen Hausarzt für eine Krankschreibung. In Anbetracht der Beschreibung meiner Symptome ordnete dieser auch gleich einen PCR-Test an, um mich auf SARS-CoV-2 zu testen.  Der Südtiroler Sanitätsbetrieb würde sich diesbezüglich telefonisch bei mir melden, hieß es. Den restlichen Tag sowie den ganzen Donnerstag (22. Oktober) verbrachte ich mit erhöhter Temperatur, Gliederschmerzen und ziemlicher Erschöpfung im Bett. Gegen Ende der Woche verabschiedeten sich Geruchs- und Geschmackssinn und mir wurde bewusst, dass ich mich wohl mit dem Coronavirus angesteckt hatte. Meine Immuni-App hat bislang (heute ist der 3. 11.) keinen positiven Kontakt angezeigt.

26. Oktober

Am Montag, 26. Oktober um ca. 14 Uhr – also fünf Tage und fünf Stunden nachdem mein Hausarzt um einen PCR-Test angesucht hatte, wurde ich telefonisch kontaktiert und für den 27. Oktober um 9.15 Uhr für einen Drive-in-Test vorgemerkt.

27. Oktober

Exakt sechs Tage nach der Meldung wurde der Test schließlich durchgeführt. Ich persönlich habe das Haus freilich seit Auftreten der Symptome nicht mehr verlassen und hatte meinen letzten Kontakt außerhalb der Familie am 20. Oktober um 14.45 Uhr. Meine Frau und meine Kinder, die bis heute keine Krankheitsanzeichen aufweisen, hingegen gingen weiterhin zur Arbeit beziehungsweise in den Kindergarten und in die Schule.

Bei der Teststation in Brixen wurde der Abstrich von einer Frau durchgeführt, die Deutsch mit mir sprach. Der Herr, der für den Papierkram verantwortlich war, sprach mit mir nur Italienisch, obwohl ich auf Deutsch kommunizierte. Ich erhielt einen zweisprachigen Zettel, auf dem erklärt wurde, wie man das Ergebnis online abrufen kann. Darauf klebte ein Sticker: “Ritiro il: 30-10-2020”.

28. Oktober

Aus Neugier loggte ich mich bereits tags darauf – also am 28. Oktober – ein und siehe da, das Ergebnis (datiert mit 28. Oktober 10.04 Uhr) aus einem Innsbrucker Labor der Uni-Klinik war bereits abrufbar. SARS-CoV-2 sei bei mir nachweisbar. Der CT-Wert (ein Wert, der die Virenlast und somit die Infektiosität angibt) lag bei 35. Je höher dieser Wert, desto geringer die Infektiosität. Ab einem Wert von 35 ist – einer kurzen Internet-Recherche meinerseits zufolge – die Ansteckungsgefahr für andere ziemlich gering.

Informationen, was nun das Prozedere sei, gab es auf dem Befund keine und auch auf den Webseiten des Landes und des Sanitätsbetriebes habe ich keinen klaren Iter gefunden, was man als positiv Getesteter nun genau machen muss. Also habe ich wieder meinen Hausarzt kontaktiert. Dieser hat mir eine Telefonnummer (0471 435700) mitgeteilt, die ich anrufen solle. Ich habe dann mehrere Stunden versucht durchzukommen. Ohne Erfolg. Auch der Brixner Covid-Dienst war ständig nur besetzt. Um 14 Uhr schaffte ich es schließlich über die grüne Nummer (800 751 751) jemanden zu erreichen. Ein Herr teilte mir auf Deutsch mit, dass man mich kontaktieren werde. Mehr konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

29. Oktober

Tags darauf, am Donnerstag, 29. Oktober habe ich neuerlich meinen Hausarzt kontaktiert, da ich es für eine gute Idee hielt, dass Frau und Kinder das Haus nicht mehr verlassen. Da meine Frau berufstätig ist, braucht sie dafür aber eine amtliche Bestätigung. Der Hausarzt meinte, dass er ohne offizielle Quarantänemeldung aber nichts machen könne. Wir müssten warten, bis sich der Sanitätsbetrieb melde. Meine Frau blieb also vorerst “illegalerweise” zu Hause.

Nach stundenlangen Versuchen in Bozen und Brixen habe ich dann am Nachmittag die Covid-Stelle in Brixen erreicht. Die deutschsprachige Frau am Telefon teilte mir mit, dass sie nicht befugt seien, die Quarantäne auszusprechen. Sie werde meinen Fall aber an Bozen weiterleiten und die dortige Stelle würde sich bei mir melden. 9 Tage nach dem Auftreten von Symptomen bin ich also immer noch nicht offiziell in Quarantäne. Geschweige denn meine Familie. Auch für die Immuni-App existiert mein Fall noch nicht – entsprechend wird 9 Tage nach meinem Letzkontakt immer noch niemand gewarnt.

Am Abend erreicht mich schließlich ein Anruf aus Bozen. Die Frau am anderen Ende der Leitung versteht kein Wort Deutsch und meint auf Italienisch, dass sie jemanden suchen müsse, der Deutsch spräche – ehe sie dann auflegt. Die Suche der Frau war offenbar an diesem Abend nicht von Erfolg gekrönt, da kein weiterer Anruf mehr kam.

30. Oktober

Meine Frau kontaktiert den Hausarzt, da sie ja illegaler Weise der Arbeit fernbleibt. Ohne Quarantäneverordnung könne dieser nichts machen, hieß es neuerlich. Sie erhält aber eine E-Mail-Adresse (coronavirus@sabes.it), an die wir uns wenden sollten. Ich schreibe also ein E-Mail bezüglich meines Falles. Antwort darauf habe ich nie eine bekommen. Meine Frau erwirkt zudem bei ihrem Arbeitgeber eine Kulanzlösung, bis die Verordnung aus Bozen eintrifft.

Um 12 Uhr erreicht mich neuerlich ein Anruf aus Bozen. Der ziemlich gestresst wirkende Herr in der Leitung versteht abermals kein Wort Deutsch. Er vertröstet mich mit einem kurzen “un attimo” und tatsächlich habe ich wenige Sekunden später einen überaus freundlichen, empathischen Herren in der Leitung, der mich auf Deutsch über die Quarantänebestimmungen informiert und meine Fragen beantwortet. Ich erwähne auch, dass ich die Immuni-App installiert habe und dass man meinen Status aktivieren müsste. Der Mann meinte, dass sich diesbezüglich jemand anderes bei mir melden werde. Um 12.17 Uhr erreicht mich schlussendlich die Quarantäneverordnung per E-Mail. 10 Tage nach Ausbruch der Krankheit. Die Quarantäne läuft bis zum 8. November. Am 6. November soll die gesamte Familie getestet werden. Abgesehen von einem unangenehmen allgemeinen Erschöpfungszustand, der hartnäckig und offenbar recht typisch für diese Virusinfektion ist, habe ich kaum noch Symptome und bin wohl auch nicht mehr ansteckend.

Am Abend des selben Tages erhalte ich neuerlich einen Anruf aus Bozen. Eine Frau, die sehr gut Deutsch spricht, erkundigt sich nach meinem familiären und beruflichen Umfeld. Nach der Immuni-App fragt sie nicht.

31. Oktober

Seit diesem Tag erhalte ich und meine Familie regelmäßig automatisierte Anrufe, bei denen unser Gesundheitszustand abgefragt wird. Meiner bessert sich langsam. Ich bin aber 14 Tage nach Auftreten der ersten Symptome immer noch ziemlich geschlaucht und benötige viel Ruhe.

Fazit
  • Von der Schnelligkeit und Organisiertheit, die Dr. Ryan oben einmahnt, ist in Südtirol nichts zu merken. Von der Testanfrage bis zum Test hat es fast eine Woche gedauert. Vom positiven Testergebnis bis zur Quarantänemeldung weitere zwei Tage. Die Immuni-App ist 14 Tage (!) nach meinem Letztkontakt noch nicht mit meinem Fall gespeist. Von anderen positiven Fällen in meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass obige Zeitspannen kein Einzelfall sind und bisweilen sogar noch länger ausfallen können.
  • Ich kann verstehen, dass man bezüglich der Testungen Kapazitätsgrenzen hat, da es für die Durchführung und Auswertung spezialisiertes Personal braucht, welches sich nicht innerhalb weniger Wochen ausbilden lässt. Aber dass Telefonnummern stundenlang nicht erreichbar sind, auf E-Mails nicht geantwortet wird und eine rein technische Sache wie die Statusaktualisierung der Immuni-App nicht gemacht wird, ist ein grandioses organisatorisches Versagen – mit all den entsprechenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen. Kommunikations- und Informationskanäle bzw. die entsprechende Organisation und Logistik hätte man angesichts der Erfahrungen im Frühjahr und der eindringlichen Warnungen bezüglich einer möglichen zweiten Welle im Herbst durchaus vorbereiten können.
  • Es gibt offenbar auch kein standardisiertes Prozedere, um zumindest ansatzweise ein Case-Tracking zu versuchen und in der Folge eine Priorisierung vorzunehmen, um die knappen vorhandenen Kapazitäten effizient und sinnvoll zu nutzen. Nach der Immuni-App wurde zumindest in meinem Fall nicht gefragt und sie wird auch nicht bespielt.
  • Zu gu­ter Letzt ist die gesetzlich vorgeschriebene Zwei- bzw. Dreisprachigkeit der Dienste nicht gegeben. Ebenfalls positiv getestete deutschsprachige Bekannte haben mir bestätigt, dass auch sie von einsprachigem Personal auf Italienisch kontaktiert wurden. Ob ladinischsprachige Südtiroler auf Ladinisch mit der Covid-Stelle kommunizieren können, entzieht sich meiner Kenntnis. (Ich vermute aber, dass das nicht der Fall ist.) Das Recht auf Muttersprache darf kein Schönwetterrecht sein. Die Verhängung einer Quarantäne ist für die Betroffenen ein schwerwiegender Eingriff und eine SARS-CoV-2-Infektion eine komplexe medizinische Angelegenheit. Bürgernahe, niederschwellige, klare und verständliche Kommunikation ist diesbezüglich von entscheidender Bedeutung, da sie nicht zuletzt Vertrauen stiftet. Der Wert der im Autonomiestatut verankerten Rechte zeigt sich also gerade in Krisenzeiten. Der Europarat hat seine Mitglieder aufgefordert, die mehrsprachige Kommunikation während der Pandemie auszubauen – zum Wohle der Bürger/-innen in einer Zeit großer Verunsicherung. Im “mehrsprachigen” Südtirol ist das Gegenteil der Fall und das ist nicht nur illegal, sondern zutiefst beschämend.

Serie I II III

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