von Florian Dreher1Florian Dreher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am KIT – Karlsruher Institut für Technologie, Architekturfakultät, Institut für Architekturtheorie.
Italien erfährt seit 1994, dem Amtsantritt Silvio Berlusconis, dem Cavaliere und seiner Mitte-Rechts-Koalitionen, eine anhaltende “Entfaschistisierung des Faschismus” (Mattioli). Jedoch muss festgehalten werden, dass eine konsequente Aufarbeitung des Ventennio nero, der Ära der Mussolini-Diktatur, selbst in der Nachkriegszeit nie stattgefunden hat. Erste Anzeichen einer kritischen Diskussion über die italienischen Verbrechen in Äthiopien und Libyen entflammten beim Staatsbesuch in Rom 2009, als Revolutionsführer Gaddafi am Revers seiner Uniform, für alle gut sichtbar, ein Foto von libyschen Zwangsarbeitern befestigte. Durch einen geschickt eingefädelten Ablasshandel darf sich nun Berlusconi als bester Freund Gaddafis sehen (Spiegel-Interview, 3.1.2010) und sich die Vorkaufsrechte der libyschen Ölkonzessionen für Italien vorbehalten.
Mag diese Grund- und Verweigerungshaltung den Nährboden für das Wiederaufkeimen faschistischen Irrglaubens bereitet haben, geht es heute vor allem um die Meinungs- und Deutungshoheit politischer Bilder und Orte – Szenarien der Macht. Die Bilder der Vergangenheit werden wiederbelebt und nachgestellt, in ihrem Inhalt entkernt und neu codiert. Dabei, aus Gründen der Legitimation und ihrer Rückverankerung in der Gesellschaft, spielt der öffentliche Raum als Bühne eine entscheidende Rolle. Bild und Raum sind wesentlicher Bestandteil dieser Handlung.
Für die rechte Szene in Italien ist der öffentliche Raum Wiederentdeckung und Laboratorium zugleich. Ihre Aktionen werden geduldet und wahrgenommen. Um sich dauerhaft im kollektiven Gedächtnis einzunisten wird der Heldenkult und Märtyrertod, also die Erinnerungskultur, gefordert wie bespielt.
Jugendverbände, wie die zum rechten Spektrum zuzuordnende Berlusconi-Bewegung Azione Giovani in Rom, verlangen öffentlich für ihre im “Kampf gefallenen Kameraden” die Umbenennung von Straßenzügen. Letztendlich ist das bereits gang und gäbe, selbst wenn der vorherige Namensträger aus den Kreisen der Resistenza, des faschistischen Widerstandes kam. Die Grabenkämpfe zwischen Links und Rechts, den Veteranen der Resistenza und den Sympathisanten der letzten Mussolini-Regierung von Salò, werden immer noch offen ausgetragen. Als ebenso gute Patrioten sollen die übriggebliebenen Mussolini-Brigaden im Bewusstsein der Gesellschaft ankommen. Unterfüttert werden all diese Reklamationen durch aktive Beteiligungen von Regierungsmitgliedern, wie der Ministerin für Jugend, Giorgia Meloni, die 2009 öffentlich Kränze für Neofaschisten niederlegte oder der Tourismusministerin Michela Brambilla, die auf Wahlveranstaltungen ihren Arm zum “Römischen Gruß” gen Himmel streckt. Selbst die Duce-Verehrung erfreut sich seit Jahren wieder höchster Beliebtheit und geht bis an die Grenzen des erträglichen. Neben beliebten “iMussolini-Apps” fürs Telefonino, einem Taschen-Führer to go, werden die Duce-Rufe, mit denen sich Berlusconi auch von seinen Parteianhängern hochfeiern lässt, immer lauter. Grund für die ansteigende Faszination des Duce, nicht nur der Apps wegen, sei die Neugier, wie diese Person es geschafft habe, ein Volk zusammenzuhalten und Italien an den Fortschritt anzubinden. Bei der historischen Rekonstruktion ginge man eben nicht nur die traditionellen Wege, so Michele Pigliucci von Azione Giovani im Interview mit Kulturzeit.
Im italienischen Fußball, unter anderem bei AS und insbesondere Lazio Rom, gehört der Rechtsextremismus zur etablierten Fankultur. Mit eigenem Merchandising und Devotionalienhandel zeigt sich der Duce-Warenkatalog äußerst konsumfreudig und absatzstark – ein wahrer Kassenknüller.
Spieler wie Cannavaro, Buffon oder Di Canio brüsten sich, mit Begeisterung für den großen italienischen Führer zu schwärmen, kunstfreudige Sammler von Duce-Büsten zu sein oder ihre Überzeugung mit einem Dux-Tattoo (lat. Führer) zur Schau zu stellen. Der Rechtsextremismus wird zum sakralen beziehungsweise göttlichen Moment erhoben, wenn Mannschaft und Publikum im gefassten Raum des Stadions unter der speziellen Dramaturgie und Atmosphäre miteinander verschmolzen und zu einem Volkskörper geschmiedet werden.
Welche Rolle kommt der Architektur zu, wenn sie mehr als nur Hintergrundfolie darstellen will? Politik und Architektur gingen seit jeher ein symbiotisches Verhältnis miteinander ein. Kein Medium ist prädestinierter, die Klaviatur des Symbolischen zu bespielen und als Bedeutungsträger zu fungieren. Seit den Neunzigerjahren gilt die Architektur, so Michael Mönninger, als kulturelles Leitmedium in unserer Mediendemokratie. Es sind jedoch nicht die Ikonen der Stararchitekten wie Zaha Hadid mit ihrem Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo (MAXXI) oder Richard Meiers Ara-Pacis-Schutzbau in Rom, die der Medienjongleur Berlusconi für seine Staatsreklame rekrutiert. Gehen von den neueren Architekturikonen die falschen Signale aus, falls überhaupt Inhalte vorhanden sind? Zeigen sich doch in Zeiten der Krise erste Ermüdungserscheinungen was den Ikonenkult betrifft (Kramer, NZZ, 19.4.2010). Diesbezüglich strahlen sie den Makel einer Modeerscheinung mit dem Label des Vergänglichen aus und sind mit dem politischen Ewigkeitsanspruch nicht kompatibel.
Die historischen Bauzeugnisse der Mussolini-Diktatur sind, mangels Kriegszerstörungen, weitgehend erhalten geblieben und erfahren im Rahmen der Wiederaufwertung des Faschismus ihre kosmetische Revitalisierung. Erinnern wir uns, dass unter Mussolini ein gewaltiges Bauprogramm in Italien vonstatten ging. Bis in die letzten Winkel des Landes sollte durch den Bau von Infrastrukturen und vor allem Erinnerungsstätten die Herrlichkeit und Macht der Diktatur demonstriert werden. Die Bauten der Macht sollten Präsenz zeigen, und Mussolini wusste nur zu gut die Suggestivkraft der Architektur zu nutzen. Die Architekten zeigten sich kooperativ. Beide Hauptströmungen in der Architektur, die Architettura razionale und die Scuola Romana mit den Protagonisten Guiseppe Terragni und Marcello Piacentini, im übrigen vehement überzeugte Faschisten, gingen mit dem Regime einen “Faustischen Pakt” (Sudjic) ein. Hierbei dürfte Piacentini die glücklichere Hand gehabt haben, denn er stieg zum “Reichsarchitekten” (architetto del regime), wie später Speer unter Hitler auf. Dennoch baute er in der Nachkriegszeit ungehindert weiter. Terragni opferte sich hingegen für seinen Duce in den vierziger Jahren an der Ostfront – Treue bis in den Tod.
Neben Sabaudia, dem Mussolini-Forum oder den südlich von Rom gelegenen Agrarstädten auf dem trockengelegten Agro Pontino, zählt das heutige EUR-Gelände (Esposizione Universale di Roma oder Quartiere XXXII. Europa) zu den bedeutesten in Stein manifestierten Überlieferungen des Ventennio nero. Ursprünglich als Weltausstellungsgelände E 42 (Esposizione Universale 1942) nach den Veranstaltungsstätten Paris (1937) und New York (1939) auserkoren, tritt hier das fatalistische Verhältnis von Repräsentationsarchitektur und politischer Propaganda am Deutlichsten hervor. Eigentlich sollte Rom 1941, gemäß zweijährigem Turnus, Austragungsort der Weltausstellung werden. Doch das Regime sah in der Großveranstaltung die Möglichkeit, den Faschismus und seinen Machtanspruch Hand in Hand mit dem technischen Fortschritt zu präsentieren. So wurde aus Propagandazielen die Eröffnung der Weltausstellung um ein Jahr auf das zwanzigste Jubiläum des “Marsches auf Rom” verschoben. Bereits 1932 hatte Mussolini mit einer gewaltigen Parade die neue Machtachse Via dell’Impero (heute: Via dei Fori Imperiali) im historischen Zentrum von Rom, vom Kolosseum zum Palazzo Venezia, im Setting einer Ruinenlandschaft antiker Foren eröffnet. Die im Regierungsbezirk liegenden Bauten, egal, ob es sich um archäologische Reste oder Armenbehausungen handelte, fielen einer radikalen Politik der Spitzhacke zum Opfer. E 42 sollte als Stadterweiterungsgebiet an diese Achse angeschlossen werden, das Tor zum Meer aufschlagen und die Expansionspolitik mit Weltmachtanspruch baulich unterstreichen. Auch entschied man sich für permanente Bauten, denn nach 1936 hatte sich das Selbstverständnis geändert. Man sah sich nicht mehr vor dem Hintergrund einer faschistischen Revolution, sondern proklamierte das neue Italienische Reich.
An den Planungen sollten anfangs als Kollektiv die beiden Architekturhauptpositionen beteiligt werden. Mit der Zeit aber konnte vor allem Marcello Piacentini seine Widersacher aus der rationalistischen Fraktion verdrängen. Unter Piacentini erhielt der Masterplan seine bis heute gültige Prägung, eine an der Antike Roms orientierte Monumentalarchitektur mit Plätzen, Achsen und Foren neoklassizistischer Ausformulierung. Inmitten eines Systems orthogonaler Achsen- und Sichtbezüge bilden drei Projekte bis dato das Herzstück der Gesamtanlage: der Palazzo della Civiltà Italiana (gemeinhin bekannt als Colosseo quadrato) von Guerrini, La Padula und Romano von 1938-1943, der Palazzo dei Congressi von Adalberto Libera von 1937-1942 sowie der Palazzo dello Sport von Piacentini und Pier Luigi Nervi von 1956. Zuvor hatte Piacentini an dieser Position einen Palazzo della Luce, einen Tempel mit liturgischer Funktion sowie mit Licht- und Wasserspielen als inszenierten Endpunkt der Hauptachse der Via Imperiale entworfen.
Die Geschichte zeigt an diesem Beispiel den nahtlosen Übergang von der Diktatur zur Nachkriegsdemokratie und ihren unbeschwerten Umgang mit dem politischen Erbe. Piacentini konnte mit dem Palazzo dello Sport dort fortfahren, wo er 1941 kriegsbedingt aufhören musste. An der Gesamtplanung gab es keine Korrekturen. Die Vierziger und frühen Fünfzigerjahre ließen E 42 zu einer Nekropole, einer Geisterstadt erstarren, bis man sich zum Weiterbau entschlossen hat und schließlich für die Olympischen Spiele das Gebiet wiederentdeckte und rehabilitierte. Glanzstück der Verharmlosung ist der bronzene Jüngling Genio del Fascismo. Anstatt die Staue mit dem römischen Gruß aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, befand man es als ausreichend, einen Boxhandschuh über die Hand zu stülpen. Aus dem Genio del Fascismo wurde der Genio dello Sport.
Für die Feierlichkeiten der Weltausstellung sowie für die Partei, entwarf Libera in Anlehnung an einen römischen Doppeltempel den Palazzo dei Congressi, einen Komplex aus Fest- und Empfangshalle, Konferenzsaal und einem Freilichttheater auf dem Dach, welches mit seinen Marmorbänken an die Gräber eines Soldatenfriedhofs erinnern. In der Gesamtbetrachtung ist der Prestigebau ein einziger Bühnenraum. Öffnet der Empfangssaal seine Pforten, so durchdringen die beiden Foyers und die Galerien sämtliche Ebenen. Sehen und Gesehen werden lautet die Maxime — oder: Kontrolle von allen Seiten.
In axialer Sichtbeziehung steht der Palazzo della Civiltà Liberas Gebäude gegenüber, verbunden mit einer breiten Prachtstraße und an einer weiträumigen Esplanade gelegen. Die Eingangssituation wird von einer kolossalen Säulenordnung dominiert, darüber thront ein monumentaler schneeweißer Kubus aus Carrara-Mamor, bekrönt von einer segmentförmigen Kuppelkonstruktion. Unter Mussolini war Marmor zum einzig wahren italienischen Baumaterial auserkoren, mit dem Subtext einer nationalistischen Kundgebung. 2003 wählte Berlusconi das Areal und den Palazzo dei Congressi für die EU-Regierungskonferenz unter seiner Ratspräsidentschaft aus und empfing im Habitus eines Großimperators seine Staatsgäste. Diese durften nach dem politischen Protokoll die weitläufige leicht ansteigende Esplanade emporschreiten, sich währenddessen von den Monumentalbauten beeindrucken lassen, bis sie an der Schwelle der Kolossalordnung vom Cavaliere persönlich abgeholt wurden. In der Vorhalle empfing sie ein erhaltenes Großmosaik mit dem Zyklus “Alle Wege führen nach Rom mit der Göttin Roma”, um danach durch kleine, fast niederdrückende Türöffnungen in den großen Empfangssaal zu gelangen. Erst nach ein paar Schritten im Inneren des Kubus erschließt sich einem dessen maßstabssprengende Raumdimension. Zur Tagung im Palazzo dei Congressi Riccione bildet das Idealstadtpanorama von Francesco di Giorgio das Hintergrundbild. Der gewünschte historische Bezug ist eindeutig und bespielt eine Entwurfsidee Liberas, die zwar geplant, aber nicht mehrausgeführt wurde. Die dunklen Innenseiten des Kubus sollten mit vier Großmosaiken auf circa 3.000 Quadratmetern ausgestattet werden. Jede Front sollte von einer römischen Glanzzeit verkünden: die des römischen Ursprungs, die des Imperiums, der Wiedergeburt und Universalität der Kirche und zum schließlich die des Zeitalters von Mussolini. Später sollte Libera sein Versagen eingestehen und seinen Bau mit der gesamten E 42 Anlage als “Friedhof unserer Niederlagen” bezeichnen.
In einer Achse mit dem Palazzo dei Congressi, auf einer Anhöhe weit über die Dächer der Umgebung ragend, strahlt der Palazzo della Civiltà Italiana als mystisch wirkender Monolyth. Seine klare äußere Erscheinung zeigt eine rationalistische Grundhaltung auf, die ihre Verneigung vor der römischen Antike, der Romanità, nicht verleugnet. Die extreme Nüchternheit wie Strenge eines starved classicism, gepaart mit einem kontrastreichen Licht- und Schattenspiel, vermitteln beeindruckend und auch für den Laien spürbar Machtdemonstration und Einschüchterungspolitik des Regimes. So verwundert es nicht, dass der seit April 2008 amtierende Bürgermeister Roms, Gianni Alemanno, ein verurteilter Rechtspopulist und Mitglied der Berlusconi-Partei Popolo della Libertà als eine seiner ersten Amtshandlungen die Sanierung des EUR-Gebäudes in Auftrag gab, dessen Umbenennung zurücknahm und die ursprüngliche Bezeichnung aus der Mussolinizeit, Palazzo della Civiltà Italiana, wieder einführte. Nun sollen in dem leerstehenden Koloss Shops, Boutiquen und Loungezonen im Lifestyleformat entstehen. Pläne für ein nationales Technikmuseum blieben Fragment. Der strahlende Sakralbau des Faschismus, der auch bei Rossis Gebeinhaus in San Cataldo bei Modena Pate stand, wird historisch entkernt, geliftet und banalisiert. Seinen großen Auftritt erlebt der Prachtbau im Werbespot zur Parlamentswahl 2008. Eine Horde junger, begeisterter Berlusconi-Jünger jeglicher Metiers, aber ohne Migrationshintergrund oder anderer Hautfarbe, also sinnbildlich nur der reine “neue Mensch”, singen eine Lobeshymne auf ihren Präsidenten: “Presidente siamo con te. Meno male che Silvio c’è.” (Präsident wir sind mit dir. Zum Glück gibt es Silvio.) In den Schlusssequenzen, dramaturgisch aufbauend, aus der Froschperspektive aufblickend, zoomt die Kameraeinstellung auf den jubelnden Chor, welcher sich auf einer Freitreppe gruppiert und in die Höhe staffelt. Als Hintergrundmotiv zeigt sich nun in der Totalen ein kraftstrotzender, blendend frisch sanierter Palazzo della Civiltà Italiana. Für den “ewig junggebliebenen” Berlusconi ein naheliegendes Bild und zugleich eine Kampfansage. Der Faschismus ist frisch, dynamisch, hübsch, kommt aus der gehobenen Mittelschicht und macht eindeutig klar, dass die Zeiten der Schmuddelkinder und der Schwarzhemden vorbei sind — er wird und ist salonfähig. Dies ist längst Alltag in Italien und hat das Stadium einer Postdemokratie (Mattioli) erreicht.
Die Parteiclips sind mit ihren eigens komponierten Liederparolen Ohrwürmer und oscarverdächtige Kurzfilme zugleich. Parallelen zu Hollywood werden bewusst aufgegriffen und unterschwellig in einzelne Sequenzen eingewoben, von der Musik bis zum direkten Bildzitat. So werden u.a. in einem Propagandspot von Azione Giovani, neben den Floskeln von Ehre, Patriotismus, Opferbereitschaft usw., Filmausschnitte mit Dialog und Musik (Sequenz der Kampfeinschwörungsrede) vom Hollywood-Blockbuster Gladiator mit Russel Crowe hineinmontiert. Wie wir wissen, stirbt Crowe am Schluss des Films. Als getreuer Patriot und Soldat Roms unterliegt er einer Intrige und muss als Gladiator im Kolosseum ums Überleben kämpfen, bis er den Aufstand gegen die Ungerechtigkeit probt, Rache nimmt und seine Ehre zurückfordert.
Unter dem Blickwinkel der propagandistischen Inszenierungen mit allem Prunk und Gloria nimmt die faschistische Inszenierung groteske Züge an, wo Mussolini 1922 selbst Bedenken äußerte: “Jetzt ist es nötig, dass die Geschichte von morgen, die wir eifrig schaffen wollen, nicht zum Kontrast oder zur Parodie der Geschichte von gestern wird.” Mit ihren aufgesetzten Verweisen antiker Vorbilder stellen die Bauten des EUR Geländes ein Sammelsurium architektonischen Größenwahns dar — blieben sie letztendlich doch nur Kulissen einer sinnentleerten Monumentalarchitektur, die nicht den Menschen, sondern nur den historischen Bezug suchte. Verheerend bleibt, dass die Komödie hinter dem Vorhang der Geschichte sich als Tragödie zeigt.
Aber selbst diese wird von Berlusconi, wie im Falle des Erdbebengebiets um L’Aquila 2009, noch medial verwertet. Eigentlich sah man für den G8-Gipfel ein neues Kongressareal auf der Insel La Maddalena bei Sardinien vor, welches extra nach den Plänen des Mailänder Architekten Stefano Boeri innerhalb von zehn Monaten aus dem italienischen Sand gestampfte wurde. Der Komplex, bestehend aus einem gläsernen Kongressgebäude und einem Ausstellungsbau, integriert Restbestände des ehemaligen Militärgeländes und gibt sich in seiner Ästhetik modernistisch und mit dem Zeitgeschmack kompatibel — ornamentale Gitterstrukturen für den Konferenzbau, sowie eine filigrane Tempelkonstruktion mit Mauerrestbeständen für den Ausstellungsbereich.
Natürlich zeigte sich das katastrophale Bild der Zerstörung L’Aquilas als zeichenhafter, emotionaler und einprägsamer sowie für die Inszenierung der Person Berlusconis geradezu als geeigneter Schauplatz. Die Gunst der Stunde wurde genutzt und der Gipfel kurzerhand ins Krisengebiet verlegt. Gleichzeitig konnte Berlusconi damit nachträglich seinem politischen Kontrahenten und Amtsvorgänger Prodi, dem Auftraggeber des Maddalena-Areals, sein bauliches Erbe streitig machen und ihn der Bühne verweisen. Abgesehen davon, verweigert sich Boeris Architektur dem Verlangen nach einem großen Auftritt und medialer Präsenz. Seit diesem Zeitpunkt fristet La Maddalena das Dasein einer Geisterstadt ohne jegliche Nutzung. La Maddalena verkümmert zum Gedenkstein einer nicht erfüllten Vision; der von Boeri erhoffte “Maddalena Effekt” wurde zur Illusion. Diese Tatsache scheint es mit den liegengebliebenen Aufbauarbeiten L’Aquilas zu teilen. Zwar wurde die Peripherie in großem Stil mit Notunterkünften bebaut, der zerstörte alte Kern ist jedoch nach wie vor eine verlassene Ruinenlandschaft.
Nach Berlusconis Ansicht sollten die Bewohner ihre Notunterkunft einfach wie einen Campingurlaub begreifen: Zum Glück gibt es Silvio! Er ist für alle da, wenn nicht leibhaftig, dann zumindest auf der Leinwand. Wir können heute an Berlusconis politischem Körper und dessen Kommunikationsstrategie der Liebe (z.B. die zum Wahlkampf geschaltete Telefonseelsorge “Silvio risponde”) teilhaben und können seine Bestrebungen, im Anti-Aging-Zeitalter der Sterblichkeit entgegenzutreten, mitverfolgen. Mittels Schönheitschirurgie und Medienwelt zeichnet sich neuerdings ein dritter, zusätzlicher, autonom agierender “medialer Körper” neben dem “doppelten Körper”, so Parotto, der Figur Berlusconi ab. Es entsteht eine Projektionsfläche für unterschiedlich wahrnehmbare Identitäten und Rollen. Ein Kaleidoskop an Berlusconi-Figuren öffnet sich, und alles scheint im Repertoire vorhanden zu sein: der Märtyrer, der gewiefte Geschäftsmann, der Macher, der treu liebende Vater, der Fußballfanatiker oder der Womanizer. Sein politisches Handeln entspricht demnach der Inszenierung einer bella figura. In einer Studie zum “doppelten Körper” unterscheidet Ernst Kantorowicz zwischen einem sterblichen und einem unsterblichen Körper. Der natürliche Körper verweist uns auf die Endlichkeit des Lebens. Gleichzeit koexistiert der sogenannte “politische Körper”, welcher losgelöst vom Tod mit der Aura des Ewigen verbunden ist, gemäß der Parole “der König ist tot, lang lebe der König”. Der Mensch Berlusconi vergeht, doch die Kunstfigur bleibt uns erhalten und findet im Faschismus seine Gleichzeitigkeit. Dieser war nie wirklich weg, immer latent vorhanden und überlebte stets seine Kritiker.
Weiterführende Literatur:
- Simonetta Falasca-Zamponi, Fascist Spectacle. The Aesthetics of Power in Mussolini’s Italy, Berkeley/Los Angeles/London 2000
- Giuliana Parotto, Silvio Berlusconi – Der doppelte Körper des Politikers, München 2009
- Aram Mattioli, Viva Mussolini! Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn/München/Wien/Zürich 2010
Erschienen in: Archithese 4/2010 (»Szenografie«); veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors. Dieser Beitrag unterliegt dem Urheberrecht.
- 1Florian Dreher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am KIT – Karlsruher Institut für Technologie, Architekturfakultät, Institut für Architekturtheorie.
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